Die dunkle Raute der Macht

Schlechte Idee

An manchen Tagen scheint es, als sei das Internet keine gute Idee gewesen. Die Kommunikation ist anstrengend und hat eine nur schwer auszuhaltende Dynamik und Raserei in öffentliche Debatten gebracht. Es wird tippend geschrien, mehr geredet als gesagt, manchmal hat man den Eindruck, es gebe ausschließlich missgüns­tige Menschen, die den ganzen Tag nicht mehr zu tun haben, als andere im Internet zu verfolgen und ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Diejenigen, die es wagen, sich dem gesellschaftlichen Normalzustand entgegenzustellen, werden geradezu für vogelfrei erklärt. Mit der ganzen Macht des Volkszorns wird jeder ihrer Versuche, emanzipatorische Ansichten zu verbreiten und politische Verän­derung zu ermöglichen, verhindert. Sie werden von den amalgamierten Trump-, Putin- und AfD-Fans auf wahnwitzige Weise beschimpft und bedroht. Es sind Hetzjagden, die nur so harmlos wirken, weil sie vor allem digital stattfinden, weil es nur selten wirkliche Übergriffe gibt. Aber die Bedrohungen haben Konsequenzen – die Journalistin Jessica Valenti kündigte erst vor kurzem ihren Rückzug aus dem Journalismus an, nachdem die kleine Tochter der New Yorker Feministin mit dem Tod bedroht worden war. Im deutschen Twitter tobt derzeit eine Hetzjagd  – inklusive Morddrohungen – gegen das Kind einer Userin, weil diese sich an genderneutraler Erziehung versucht.
Das ist natürlich kein willkürlicher Prozess, geschweige denn ein unpolitischer. Die Anführer des virtuellen Volksmobs sind konservative bis rechts­extreme Akteure, die ihre Minions anstacheln, in den Kampf gegen jenes Weibsvolk zu ziehen, das sich erdreistet, mehr als ein Accessoire zu sein. Denn eines steht fest: digitale Hetzjagden richten sich sehr oft gegen Frauen, was eine Auswertung des Guardian exemplarisch zeigt. Von den zehn am häufigsten digital angefeindeten Redakteuren waren acht Frauen. Auch die Attentate auf Politiker waren in der letzten Zeit vor allem Attentate auf Politikerinnen. Klar, ­Politik macht Feinde, Politik, die sich gegen konservatives Denken und Leben in Deutschland und Europa engagiert, ist ein Akt der Provokation.
Angela Merkel macht eigentlich keine provokative Politik. Ihr Anliegen war es bislang, es allen so weit es geht recht zu machen, den Deutschen alles vom Hals zu halten. Doch seit sie ein bisschen Menschlichkeit zeigte und dem konservativen Mainstream in Deutschland sagte, dass er zu schaffen hat, was Merkel will, kriegt die Kanzlerin den Hass ab, der allen blüht, die sich nicht anpassen wollen an ein Weltbild, das immer noch aus den dreißiger Jahren zu stammen scheint. Sie hat zwar andere Ressourcen, dem Hass zu begegnen und sich zu schützen. Sie wird ihn weitestgehend ignorieren, kommentieren tut sie ihn ohnehin nicht. Aber an manchen Tagen denkt sie bestimmt auch darüber nach, ob das Internet, die Menschheit, ob das alles wirklich eine gute Idee war.