Keine Einigung im Jemen

Das jemenitische Desaster

Im August wurden die Gespräche zwischen der jemenitischen Regierung und ihren Gegnern abgebrochen. Eine Verhandlungslösung im Bürgerkrieg ist in weite Ferne gerückt.

Humanitäre wie politische Katastrophen unterliegen einer medialen Rangordnung. Das belagerte syrische Aleppo kennt man nun wenigstens aus den Schlagzeilen, auch wenn das den Menschen im syrischen und rus­sischen Bombenhagel nicht wirklich hilft. Aber was ist mit dem jemenitischen Taiz? Die drittgrößte Stadt des Landes in den nordjemenitischen ­Bergen mit über einer halben Million Einwohnern ist seit dem offenen Ausbruch des Bürgerkriegs Anfang 2015 ebenfalls eine belagerte Stadt. Zeitweise war sie nur über Bergpfade erreichbar, dann schien der Belagerungsring in diesem Sommer gesprengt, aber immer wieder wurden die Versorgungswege abgeschnitten. Gerade soll die Stadt durch ein Nebental wieder ­erreichbar sein. Belagert wird Taiz von den schiitischen Houthis und den mit ihnen verbündeten Truppen des ehemaligen jemenitischen Dauerpräsidenten Ali Abdullah Saleh, der durch die Proteste des »arabischen Frühlings« als einer der dienstältesten arabischen Autokraten nach über 30 Jahren Herrschaft zum Rücktritt gezwungen worden war. Taiz, das als modern und kulturell offen gilt, war ein Zentrum dieser Proteste.
Man kann den Konflikt im Jemen als Spiegelbild des Kriegs in Syrien betrachten: Die Akteure und die Konflikte sind zum Teil dieselben, die humanitäre Situation ist im Jemen fast ebenso katastrophal wie in Syrien, im Frühjahr hat die Zahl der jemenitischen Binnenflüchtlinge drei Millionen überschritten, und jedes dritte Kind unter fünf Jahren ist nach Angaben der Hilfsorganisation Save the Children bedrohlich mangelernährt. Doch wo im Falle Syriens die Weltöffentlichkeit immerhin noch tatenloser Augenzeuge dieser Katastrophe bleibt, stößt der Krieg im Jemen auf blankes Desinteresse. Das hat auch mit der geographischen Lage zu tun. Der Krieg in Syrien findet auf der nach Europa offenen Seite des Nahen Ostens statt; der Jemen, das mit über 25 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land der arabischen Halbinsel und gleichzeitig deren Armenhaus, liegt am anderen Ende der Region, eingegrenzt von Wüsten und dem Indischen Ozean. Oder um es zynisch auf den Punkt zu bringen: Die Jemeniten stellen kein Flüchtlingsproblem für Europa dar.
Was die Komplexität und Unübersichtlichkeit der Lage angeht, kann der Konflikt im Jemen locker mit dem ­syrischen Krieg konkurrieren. Grob gesagt stehen sich zwei Machtblöcke gegenüber: hie die Allianz aus Houthis und den Unterstützern Salehs, die nach wie vor die Hauptstadt Sanaa und den größten Teil des Nordjemen kontrolliert, da die international anerkannte Regierung unter dem Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, die im südjeme­nitischen Aden sitzt und militärisch von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt wird. Die schiitischen Houthis berufen sich in Slogans und Organisationsform auf die Hizbollhah und den Iran, wobei das Ausmaß der realen militä­rischen Unterstützung, die sie von dort bekommen, umstritten und faktisch kaum feststellbar ist. Das ist aber nur die erste, grobe Sicht auf den Konflikt.
Genauso wie das Bündnis zwischen Saleh und den Houthis nur ein Zweckbündnis ist – immerhin hat Saleh während seiner Zeit als Präsident, damals noch als Verbündeter der Saudis, ausgiebig gegen die Houthis Krieg geführt –, ist das Regierungslager fragmentiert. Hier finden Verteidiger des jemenitischen Nationalstaats und ­Intellektuelle, Anhänger einer südjemenitischen Unabhängigkeit, salafis­tische Gotteskrieger gegen die Schiiten und diverse Stammesmilizen nur gezwungenermaßen zusammen. Auch in Taiz haben sich unter dem Eindruck, von der Regierung in Aden im Stich gelassen zu werden, bereits Stimmen erhoben, die, unter eigener Fahne, einer Trikolore, für eine Autonomie der Stadt eintreten. Dem nationalen Zusammenhalt nicht förderlich dürften auch die Ausweisungen von Nordjemeniten aus Aden sein, die dieses Jahr vorgekommen sind.
Die Lage im Regierungsgebiet, das heißt vor allem im Südjemen, wird durch einen weiteren Krieg im Krieg noch komplexer: Dort kämpfen diverse Milizen und Truppen vom Golf – vor allem Einheiten aus den VAE – gegen den lokalen al-Qaida-Ableger Aqap, die bedeutendste Gruppe, die von der Organisation Ussama bin Ladens übrig geblieben ist, sowie diverse andere Jihadistengruppen. Auch der »Islamische Staat« (IS) ist mittlerweile im Südjemen präsent und mischt mit, natürlich im Kampf gegen alle anderen; am Montag bekannte sich der IS zu ­einem Suizidautobombenanschlag auf eine Militäreinrichtung in Aden, bei dem mindestens 60 Rekruten ums Leben kamen.
Die Jihadisten haben im Südjemen beachtliche Landstriche unter ihre Kontrolle gebracht, die Hafenstadt Mukalla, eine der größten Städte, war über ein Jahr lang unter der Kontrolle al-Qaidas, bevor die von den Saudis angeführte Militärkoalition im April die Stadt zurückerobern konnte. Hier liegt auch der Schauplatz des US-amerikanischen Drohnenkriegs, der ja auch noch im Jemen stattfindet.
Die saudische Militärintervention, die nun bereits ins zweite Jahr geht – auch wenn sie zwischenzeitlich offi­ziell beendet beziehungsweise umbenannt worden ist –, hat im Frühjahr 2015 die Regierung Hadi gerettet, als es schon so aussah, als würden die Houthis Aden erobern. Die seitdem geführte Bombenoffensive hat zusammen mit dem Einsatz von saudischen Bodentruppen rein militärisch vergleichsweise wenig Erfolg gebracht. Der Vormarsch der Houthis in den Süden wie in die traditionell mit den Saudis verbundenen Stammesgebiete um Marib – hier wohnte einst die Königin von Saba – konnte zwar aufgehalten werden, aber ein wirklicher Einbruch in das Kerngebiet des Nordjemen gelang nicht, schon gar nicht die Eroberung der Haupstadt Sanaa.
Ähnlich wie bei den demonstrativen Bombardierungen der russischen Luftwaffe in Syrien konzentrieren sich die saudischen Flugzeuge im Jemen auf die Zerstörung der Infrastruktur, zumal von Krankenhäusern. Wiederholt waren dabei Krankenhäuser der Organisation Ärzte ohne Grenzen das Ziel, die ihr Personal mittlerweile abgezogen hat. Städte wie das nordjemenitische Saada im Kerngebiet der Houthis scheinen mittlerweile großflächig zerstört zu sein. Die offensichtlich umfassende Unterstützung dieses Luftkriegs durch Großbritannien und die USA wird man wohl auch als Zugeständnis des US-Präsidenten Barack Obama an die Saudis wegen seiner Annäherung an den Iran und seiner Tatenlosigkeit in Hinblick auf Syrien verstehen dürfen.
Im August wurde mit dem Abbruch von monatelangen Gesprächen in Kuwait zwischen der Regierung Hadi und dem Houthi-Saleh-Lager auch die vage Hoffnung auf eine Verhandlungslösung gegenstandslos. Man kann sich im Internet längst Videos von Houthi-Kämpfern ansehen, wie sie saudische Grenzpatrouillen in die Luft sprengen und saudische Orte beschießen. Ali Abdullah Saleh, der scheinbar unzerstörbare arabische Despot, der noch seine eigene Absetzung politisch und mili­tärisch überlebt hat, wollte jüngst wohl schon den gleichen Weg wie Bashar al-Assad einschlagen, als er anregte, einen uralten jemenitisch-sowjetischen Militärvertrag wiederzubeleben, und Wladimir Putins Russland die Nutzung aller von Saleh kontrollierten Militärstützpunkte anbot.