Homestory

Hä, das bin doch ich auf dem Foto! Mit Iro (schön aufgepuschelt), Halsband (ein Loch zu eng vielleicht) und einer richtig räudigen Lederjacke voll schrecklicher Stacheln, an denen sich so mancher Spießer piekste. Eine Erscheinung, die die Polizei in Staunen versetzte. Zumindest damals war das so, im Jahr 1987, als gegen das Vorhaben einer Volkszählung bundesweit demonstriert wurde. Na, da werde ich doch gleich mal die Redaktion der Jungle World kontaktieren!
Und so meldete sich der unbekannte Punk, der sich auf einem Agenturbild der Seite 4 unserer vergangenen Ausgabe wiedererkannt hatte. Das Bild gehöre eingerahmt, seine Tochter wolle damit angeben, schrieb er im Scherz. Er wolle die Tage mal vorbeikommen, um sich eine Ausgabe abzuholen. Ob er noch immer einen Irokesenschnitt trägt, hat er uns nicht mitgeteilt. Irgendetwas lässt einen aber vermuten, dass er sich mittlerweile eine andere Frisur zugelegt hat. Um mit den Moden der Rebellion schrittzuhalten vielleicht.
Oder um der Gefahr zu entgehen, sich aus sehr diffizilen Gründen schuldig zu machen. Denn die linke Haartracht von gestern verstößt möglicherweise schon morgen gegen alle guten Sitten der Revolution. Oder gegen den Geschmack der Umstürzler, der sich dahinter verbirgt. Mit großer Finesse und Routine werden die Frisuren der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Zeitung immer schön geföhnt, die Fassonschnitte gelegt – man könnte glaube, sie wären schon immer Schwiegertöchter und -söhne gewesen. Doch eine erste Kollegin erinnert sich. »Es geschah mit 17. Eben noch trug ich ein Gewand mit einem großen Holzkreuz um den Hals, plötzlich waren meine Haare ungekämmt«, sagt sie etwas schüchtern. Auch wenn das Holzkreuz aus heutiger Sicht das irgendwie abgefahrenere Statement war, wir alle sind sehr froh, dass sie dem Pfad der Tugend gefolgt ist und zum Punk gefunden hat. Die Geschichte ermutigt einen Kollegen, von seinem Weg zu berichten. Als braver Bub war er einst auf Klassenreise gegangen – und mit einem Iro nach Hause gekommen. Wie es sich gehört! Nicht aufgestellt und stachelig, dafür aber immerhin schön schräg geschnitten.
Häufiger als der Iro, Mohawk oder wie auch immer wurden nur eine eher unspezifische Frisur namens »die Matte« und eine dieser Tage vieldiskutierte Haartracht getragen: Dreadlocks. Unter den respektlosesten Flegeln auch als Nudel-, Wurst- oder Pommeshaare bekannt. »Mich nannte man damals wegen meiner Frisur Klobürste«, gesteht eine Kollegin und kramt sogleich ein Bild hervor, selbstverständlich schwarzweiß, das die Plausibilität des Vergleichs bestätigt. »Dreads sahen super aus«, sagt eine weitere Mitarbeiterin. »Außerdem mussten sie nur einmal pro Woche gewaschen werden.« Wieso sie heute keine mehr trage? »Ach, die Zeiten haben sich geändert«, sagt sie. »Zur Goldenen Hochzeit meiner Schwieger­eltern gab es eine Kreuzfahrt. Das war ein guter Anlass, die Dinger abzuschneiden.«
Nur ein Mitarbeiter gab an, Zeit seines Lebens trendresistent gewesen zu sein. Aus Pragmatismus, versteht sich: »Ich habe nie eine Frisur gehabt, die Mühe bereitet hätte. Außerdem musste man als Revolutionär unauffällig sein, die Punks landeten immer gleich in der Wanne«, erzählt er. Und mal ganz im Ernst, wer will schon mit lauter Leuten, die stachelige Lederjacken tragen, in die Wanne?

Kreuzworträtsel
Es düfte niemandem entgangen sein: Im Imprint wurde von Avi Pitchon fälschlicherweise behauptet, Sheila E. habe »Singing in the Rain« gecovert. Sheila E. war Percussionistin bei Prince, die genannte Coverversion stammte von Sheila and B. Devotion.