Was rechte und linke Kritiker der Freihandelsabkommen eint

Chlorhuhn schlägt Schinken

Die Angst vor dem Verlust der nationalen Souveränität Deutschlands eint rechte und linke Kritiker der Freihandelsabkommen.

Die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta werden nicht nur von Gewerkschaften, Umweltverbänden und im weitesten Sinne linken Organisationen und Parteien kritisiert. Auch von der Rechten hagelt es Kritik an den Abkommen. Die Spannbreite reicht von der »Alternative für Deutschland« (AfD) bis zu den Neonazis vom »Antikapitalistischen Kollektiv«. Eins haben die meisten TTIP- und Ceta-Kritiker jedoch gemein: die Sorge um die nationale Souveränität.
Als die AfD Ende April zu ihrem Parteitag in Stuttgart zusammenkam, ging es nicht nur um Kopftücher, den Islam und Flüchtlinge. Bei der Programmdebatte wurde auch über die transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und CETA gesprochen. Die Diskussionen waren längst nicht so erhitzt wie die Auseinandersetzungen über Flucht und Terror, aber auch hier prallten Welten aufeinander. Marktradikale, die kein Wort gegen Freihandel im Programm lesen wollten, Ökonationalisten, die über TTIP den Einzug von Genmais und Fracking in der deutschen Heide befürchteten, Russland-Freunde, die im Abkommen einen Affront gegen die Partner im Osten sahen, und natürlich der nationalistische AfD-Mainstream, der für den Fall des Abschlusses eines Abkommens zwischen der Europäischen Union und den USA den Untergang Deutschlands prophezeite. Herausgekommen ist ein Kompromiss: Die AfD bejaht den Freihandel, das TTIP-Abkommen lehnt sie allerdings ab. Die Verhandlungen hinter »verschlossenen Türen« werden kritisiert, da man die »Verwässerung« des Verbraucher- und Umweltschutzes sowie die Herabsetzung von Sozialstandards befürchtet. Außerdem spricht die AfD der EU ab, über das Abkommen überhaupt entscheiden zu können. Es sei nötig, dass die Mitgliedstaaten, und dort Unternehmer- und Verbraucherverbände, mit am Verhandlungstisch säßen. Dass die französische Regierung die TTIP-Verhandlungen abbrechen will und auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sie für »de facto gescheitert« erklärt, deutet AfD-Vorstandsmitglied Georg Pazderski als Zeichen dafür, dass die rechtspopulistische Partei »wirkt«. Die AfD habe »von Anfang an die intransparenten Verhandlungen über die Köpfe der Bürger hinweg scharf kritisiert«. Wenn die SPD nun TTIP kritisiere, springe sie auf den fahrenden Zug auf, aber die Wähler ließen sich nicht »für dumm verkaufen«.
Auch die NPD ist gegen TTIP, denn wie es so schön in ihrem Werbeslogan heißt: »Sozial geht nur national«. Schwerpunkt der nationaldemokratischen Anti-TTIP-Agitation ist die »deutsche Souveränität«. Es gehe nicht nur um »ekelerregende Chlorhühner und gesundheitlich bedenkliche Masthormone«, sondern darum, dass den europäischen Staaten durch das Freihandelsabkommen jegliche Handlungsfähigkeit geraubt werde. Die NPD sorgt sich um die Zukunft »deutscher Bauern«, die von »US-Aggrarkonzernen überrollt« zu werden drohen. In einer Erklärung, die der Parteivorstand der Nationaldemokraten im Mai abgab, wird das TTIP-Abkommen als »Wirtschafts-Nato« bezeichnet. Und ähnlich wie bei der echten Nato seien nicht die »europäischen Völker« Nutznießer des Freihandelsabkommens, sondern ausschließlich die USA. Die deutsche Regierung mache sich, wenn das Abkommen zustande käme, einmal mehr zum »Erfüllungsgehilfen international operierender Konzerne«.
Die rechtsextreme Kleinstpartei »Der dritte Weg« bezieht ebenfalls Stellung gegen TTIP. Debatten um »Chlorhühnchen« oder »Schwarzwälder Schinken« hält die Partei aber für unzureichend. Wenn diese Beispiele von »etablierten Politikern« angeführt würden, gehe es nur um zwei Dinge. Einmal solle die Position der Europäischen Union durch öffentlich geäußerten Widerwillen gegenüber den USA gestärkt werden. So seien »die Herrschenden« hier in der Lage, bessere Ergebnisse zu erzielen. Außerdem seien die Politiker so in der Position, sich als »Schutzmacht« der deutschen Wähler zu inszenieren, indem sie unbedeutende Siege, etwa im Falle des »Ami-Chlorhuhns«, einfahren könnten, ohne an dem Abkommen an und für sich etwas zu verändern. Die Neonazis von »Der III. Weg« befürchten, dass durch TTIP »jahrhundertelang organisch gewachsene, regionale Wirtschaftskreisläufe« zerstört würden. Der gute deutsche Familienbetrieb stünde damit vor dem Aus. Auch drohten riesige landwirtschaftliche Monokulturen, da nur so Profite zu machen seien. »Der III. Dritte Weg« sorgt sich, ähnlich wie die NPD, um den deutschen Bauern. Aber im Gegensatz zu NPD und AfD hat die Truppe von »Der III. Weg« eine Idee, wie man sich praktisch gegen TTIP wehren kann. Bewusster Konsum ist die Lösung. Man solle die »heimische Wirtschaft« stärken, um dafür zu sorgen, dass die »völkische Substanz auch unter den Bedingungen der Globalisierung für uns, unsere Kinder und Enkel erhalten bleibt«.
Von der »Identitären Bewegung« und dem neonazistischen »Antikapitalistischen Kollektiv« gibt es zu TTIP und CETA nicht viel zu lesen, was nicht in ähnlicher Form schon bei AfD, NPD oder »Der III. Weg« steht. Aber beide Gruppierungen versuchen, praktisch an der Anti-TTIP-Bewegung teil­zunehmen. »Identitäre« versuchten, bei der großen Demonstration gegen das Freihandelsabkommen im Oktober 2015 mitzumarschieren. Dies gelang nicht, da Teilnehmer und Polizei keine Lust auf eine öffentlichkeitswirksame rechte Beteiligung hatten. Für ein paar Bilder auf der »identitären« Facebook-Seite und einen Propagandaerfolg reichte es dennoch. Das »Antikapitalistische Kollektiv«, ein Zusammenschluss vorrangig von Neonazis aus dem Südwesten, ruft nun abermals zur Teilnahme an den Anti-TTIP-Demonstrationen am 17. September auf. Bereits bei »Blockupy« 2015 in Frankfurt hatten sich einzelne Nazis aus diesem Umfeld unentdeckt unter die Demonstranten gemischt. Am 17. September will man die Rechten jedenfalls nicht auf den Demos haben, man werde sie »nachdrücklich auffordern« zu gehen, heißt es auf der Mobilisierungsseite des ­Demobündnisses.
Linke TTIP-Kritiker sollten sich dennoch die Frage stellen, warum ihre Kritik der von AfD, NPD und Co. so sehr ähnelt. Denn auch in linken Kreisen kursieren Verschwörungstheorien über die mangelnde Souveränität der europäischen Staaten, und die Angst vor »nordamerikanischem Kapital« ist weitverbreitet.