»Die Gefahr, uns aufzuspalten«

»Gegen jede Vereinnahmung von sexuellen Minderheiten durch Rechtspopulisten« – das fordern Elmar Kraushaar, Jan Schnorrenberg, Parissa Chagheri und andere im »Berliner Manifest«, das vergangene Woche veröffentlicht wurde. Der Kulturwissenschaftler Jan Schnorrenberg hat mit der Jungle World gesprochen.

Erhält die AfD in der LGBTIQ-Szene tatsächlich Zustimmung?
Wir beobachten, dass sich in der AfD einige Menschen bemühen, LGBTIQ-Themen in den Wahlkämpfen zu benutzen. Die Partei hat es eher nicht explizit, sondern am Rand getan. Es gibt aber die Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD, die es mit Nachdruck versucht. International sieht es schon anders aus. Einer Umfrage zufolge unterstützt jeder vierte Homosexuelle in Paris den Front National. Donald Trump hat kürzlich in einer Rede gesagt, er wolle LGBTIQ vor Bedrohungen aus dem Ausland schützen. Der Tenor ist immer: Die Linken haben euch verraten, die Linken schützen euch nicht vor dem Islam. In der Mehrheitsgesellschaft funkti­oniert es, Angst vor Muslimen und Flüchtlingen zu erzeugen. Zumindest anhand unserer Beobachtungen glauben wir, dass es auch Menschen innerhalb der LGBTIQ-Community gibt, die an dieser Schwelle stehen.
Gab es konkrete Vereinnahmungsversuche der AfD in Berlin?
Die einzige LGBTIQ-freundliche Forderung der AfD in Berlin ist die Rehabilitierung der nach Paragraph 175 verurteilten Homosexuellen. Zudem hatte die AfD an der CSD-Strecke ein Werbeplakat aufgestellt, das aber ziemlich ramponiert wurde. Auf dem CSD hatten viele Leute ein Problem damit. Die AfD hat als Gesamtpartei noch keine klare Strategie gefunden. Deshalb ist jetzt eine gute Gelegenheit, Kritik zu äußern – bevor wir damit konfrontiert werden, dass die AfD professionell LGBTIQ-Themen aufnimmt und in ihre Wahlprogramme einbringt.
Welche Rolle spielt die Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD?
So wie wir das beobachten, übt die Gruppe keinerlei Kritik an homo­feindlichen Ausfällen von Parteimitgliedern. Sie ist also kein Korrektiv. Ganz im Gegenteil: Die Gruppe relativiert alles. Nur an einem Punkt sagen die Homosexuellen in der AfD, ihre Partei müsse sich ändern, und zwar beim Adoptionsrecht. Es ist aber bis jetzt nicht dazu gekommen, dass sie auf einem Parteitag eine Debatte oder ähnliches darüber angestoßen haben. Einen relevanten inhaltlichen Einfluss haben sie nicht. Aber es ist kein Wahlkampf vergangen, bei dem Kandidatinnen und Kandidaten der AfD nicht darauf hingewiesen hätten, dass ihre Partei nicht homofeindlich sein könne, da es ja die Homosexuellen in der AfD gebe. Die Bundesinteressengemeinschaft erfüllt also einen strategischen Zweck.
Wird Schwulenhass unter Muslimen, den die AfD für ihre Propaganda instrumentalisiert, ausreichend thematisiert?
Der LSVD hat Plakatkampagnen in der Umgebung von Flüchtlingsheimen geschaltet, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Miles, das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule in Berlin, und andere Organisationen bieten Programme für Flüchtlinge an. Es gibt Sozialarbeit in Stadtteilen, die von muslimischen Migranten geprägt sind. Überall dort wird versucht, Homofeindlichkeit anzusprechen. Die Homosexuellen in der AfD und ähnliche Gruppen versuchen aber, so zu tun, als gäbe es diese Arbeit nicht, als würden die LGBTIQ-Institutionen Homofeindlichkeit unter Muslimen totschweigen. In unserem Manifest steht aber nirgendwo: Wir verurteilen Homo­feindlichkeit, außer die von Muslimen. Wir sehen diese Einstellungen selbstverständlich als Problem, so wie die in einigen anderen Milieus auch. Solche Vorwürfe und Diskussionen bergen die Gefahr, uns aufzuspalten, und geben der AfD und der gesellschaftlichen Rechten die Möglichkeit, die Deutungshoheit über LGBTIQ-Feindlichkeit zu gewinnen.