»Affektives Kapital« – eine Studie über Gefühle und Neoliberalismus

Gefühlsregeln am Schalter

In ihrer Studie »Affektives Kapital« untersuchen Birgit Sauer und Otto Penz die Bedeutung von Affekten und Gefühlen für das neoliberal geprägte Arbeitsleben am Beispiel der seit 2006 börsennotierten Österreichischen Post.

Das Lächeln des Kellners, der Trost der Krankenschwester, die Ermutigung der Kindergartenpädagogin: Emotionen sind schon lange Bestandteil der Erwerbsarbeit. Waren sie bislang allerdings eher ein Randphänomen, weitgehend beschränkt auf bestimmte Dienstleistungen und auf Berufe, in denen vor allem Frauen arbeiten, rücken sie nun ins Zentrum kapitalistischer Ökonomie. Mit der neoliberalen Wende seit Ende der siebziger Jahre sind Gefühle und Affekte integraler Bestandteil der Wertschöpfung.
Wie es dazu kam, das rekonstruieren die Politikwissenschaftlerin ­Birgit Sauer und der Soziologe Otto Penz, beide aus Wien, in ihrem ak­tuellen Buch »Affektives Kapital«. Aber sie tun darin noch viel mehr. Ihr von ihnen selbst so bezeichneter »Beitrag zum Verständnis neolibe­raler Erwerbsarbeitsverhältnisse« besteht nicht nur in der Rekonstruktion des Bedeutungsgewinns affektiver Arbeit. Es ist sowohl ein theoretisches Werk als auch eine empirische Studie.
Der empirische Teil widmet sich den Folgen der Privatisierung der Österreichischen Post. Das Beispiel ist gut gewählt. Denn zum einen galt Österreich lange Zeit als Musterland keynesianischer Wirtschaftspolitik, in dem die Schlüsselindustrien und der Dienstleistungssektor fest in staatlicher Hand waren. Zum anderen war die Post in diesem Kontext ein typisches Amt. Es zeichnete sich nicht nur durch gesicherte Jobs mit relativ hoher Anerkennung aus. Hier walteten auch die Prinzipien moderner Staatlichkeit schlechthin, in denen das vermeintlich interesselose, geregelte Verfahren immer über den persönlichen Gefühlen der Angestellten stand. Als die Post 1996 aus der staatlichen Hoheitsverwaltung ausgegliedert und vom Amt zur Aktiengesellschaft wurde, änderte sich dies. Wie jede Privatisierung ging auch diese mit Beschäftigungsabbau und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse einher. Zudem aber wurde auch ein neuartiges Engagement der Angestellten gefordert. Nicht nur immer mehr Aufgaben in immer weniger Zeit gilt es seither zu erledigen. Auch die eigene Person samt ihrer kommunikativen und affektiven Fähigkeiten sollte eingebracht werden. Fehlen diese, müssen sie ausgebildet werden. Dafür hat die Post sogar sogenannte feeling rules aufgestellt. Die Kundinnen und Kunden sollen sich wohlfühlen und damit zum Kauf angeregt werden. »Hallo, Grüß Gott oder so. Er soll merken, ich habe ihn gesehen«, fasst eine der Befragten ihre Charmeoffensive prosaisch zusammen. Der streng rationale Charakter der bürokratischen Arbeit hat sich schließlich in das verwandelt, was Sauer und Penz ein »Affektmanagement im Dienste der Profitmaximierung« nennen.
Die Ökonomisierung der Gefühle beschränkt sich allerdings nicht auf Zeit und Ort der Erwerbsarbeit. Die Postangestellten beenden die Arbeit nicht mit Schalterschluss. Termine werden außerhalb der Arbeitszeit vereinbart, Konflikte werden zu Hause bearbeitet und ständig wird daran gefeilt, ein effektiveres Mitglied der Firma zu werden. Selbst auf der untersten Hierarchiestufe verhält man sich unternehmerisch. Das bringt ein neoliberales Modell mit sich, das Sauer und Penz zu Recht nicht nur ökonomisch fassen. Sie weisen vielmehr darauf hin, dass Neoliberalismus auch »eine Umbildung des Alltags und die Neuregelung der Zusammenhänge sozialer Erfahrung« bewerkstelligt.
Um die Prozesse auch theoretisch zu fassen, in denen sich die Menschen wie Unternehmerinnen und Unternehmer aufführen, bedienen sich Sauer und Penz der Ansätze von Pierre Bourdieu und Michel Foucault. Mit seinem Konzept des kulturellen Kapitals hatte Bourdieu ganz grundsätzlich auf die nichtökonomischen Bedingungen für Klassenzugehörigkeiten und soziale Anerkennung hingewiesen. Bildung, Titel, Umgangsformen und vor allem das praktische Wissen, wie man sie einsetzt, sind demnach mit entscheidend für sozialen Auf- wie Abstieg. Dieses Wissen ist nach Bourdieu auch ein verkörpertes: ein sozusagen antrainiertes Können, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. An diese körperliche Dimension knüpfen Sauer und Penz an, wenn sie das »affektive Kapital« als Grundlage für Wahrnehmungen und Bewertungen beschreiben und es eine »körperliche Handlungsressource« nennen. Wie andere Ressourcen auch, kann diese innerhalb von Machtverhältnissen gewinnbringend eingesetzt werden. Das hatte auch Bourdieu schon aufgezeigt.
Hinsichtlich der Machtbeziehungen zusätzlich noch auf Foucault zurückzugreifen, erscheint dennoch sinnvoll. Denn der französische Philosoph hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die Menschen sich selbst in diese Machtverhältnisse integrieren. Sie sind ihnen nicht nur unterworfen, sondern sie gestalten sie mit. Auch die Regulierung von Affekten gehört zu dieser Art von Gestaltung, die Foucault als Regierungstechnik beschreibt. Er nennt sie Gouvernementalität. Weil die Einbeziehung von Emotionen und Affekten nun die neoliberale Phase des Kapitalismus besonders kennzeichnet, sprechen Sauer und Penz von »affektiver Gouvernementalität«. Der etwas sperrige Begriff ist durchaus nützlich, um Herrschaft zu beschreiben, die nicht mehr im Wesentlichen im Staat lokalisiert werden kann.
Ein fundamentales Anliegen des Buchs liegt darin, verständlich zu machen, wie Macht und Herrschaft sich unter neoliberalen Bedingungen formieren. Dafür richten Sauer und Penz den Blick auch auf Geschlechterverhältnisse. Die Studie ist von einer geschlechtersensiblen Perspektive durchzogen. Das bedeutet ­einerseits, etwa darauf hinzuweisen, dass die Steuerung von Affekten in der Moderne immer auch in die Konstruktion von Geschlechtlichkeit verwoben war. Die Trennung von Rationalem und Emotionalem ist durch und durch geschlechtlich konnotiert. Und dieser Modus der Steu­erung »machte moderne Staatlichkeit und Gesellschaft überhaupt erst möglich«.
Andererseits wird der Fokus auf Geschlechterverhältnisse auch auf die empirische Untersuchung an­gewandt: Dass dabei auch Männern nun jene soft skills abverlangt werden, die früher vor allem als weibliche Eigenschaften galten – Freundlichkeit und Höflichkeit, Geduld und Empathie –, führt Sauer und Penz zufolge nicht zu einer »Erosion der Geschlechterbilder, -identitäten und -strukturen«. Während Männer sich die neuen Fähigkeiten als Zuwachs an Kompetenz gutschreiben können, werden sie Frauen als »natürlich« unterstellt und nicht besonders gewürdigt.
Gerade weil Sauer und Penz diese Prozesse immer wieder als machtvoll durchgesetzte Regierungs- und Herrschaftstechniken benennen, verwundert doch ihre durchweg unkritische Bezugnahme auf die Soziologin Eva Illouz. Zwar hatte auch Il­louz sich mit der neuen Bedeutung von Affekten in der Arbeitswelt aus­einandergesetzt und dabei von »emotionalem Kapital« gesprochen. Als Auslöser dieser Veränderungen hatte sie allerdings nicht Konzepte von Think Tanks, Managementleit­linien und andere Strategien der ökonomischen Führungsschichten ­ausgemacht, sondern vor allem den psychologischen Diskurs und den Feminismus.
Auch wenn Sauer und Penz den »Gestus der Betroffenheit«, den die neuen sozialen Bewegungen in die Politik gebracht hätten, ebenfalls erwähnen: Von antifeministischen Impulsen wie jenen bei Illouz ist das Buch von Sauer und Penz völlig frei. Im Gegenteil, es verknüpft auf anspruchsvolle Weise Geschlechtertheorie mit staats- und kapitalismuskritischer Gesellschaftsanalyse. Es ist insofern definitiv eine Bereicherung für die Auseinandersetzung um Genese und Funktionsweisen des Neoliberalismus.
Dessen auf Optimierung des Selbst ausgerichteten Herrschaftsformen funktionieren offenbar ­dermaßen gut, dass selbst Sauer und Penz sich am Ende ihrer Studie überrascht davon zeigen, »wie wenig ­offenen oder auch kollektiv organisierten Widerstand« sie vorfanden.
Birgit Sauer / Otto Penz: Affektives Kapital. Die Ökonomisierung der Gefühle im ­Arbeitsleben. Campus, Frankfurt am Main / New York 2016, 245 S., 34,95 Euro