Letzte Tinte

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Berlin ist bekanntlich eine Metropole mit 3,5 Millionen Einwohnern und etwa ebenso vielen Handyshops. Das sah vor 400 Jahren noch ganz anders aus. Damals gab es noch keine Telefone, das Dorf an der Spree bestand aus rund zehn Straßen und, ja, man hatte noch nicht einmal mit dem Bau des BER-Flughafens begonnen. Dies war die Zeit, als ein kürzlich verstorbener Grönlandhai das Licht der Welt erblickte. Seitdem ist viel geschehen: Der ausziehbare Regenschirm wurde erfunden, Satelliten wurden ins All geschossen, Atome gespalten, Alpengletscher kamen und gingen, in Berlin begann man, ­einen Flughafen zu bauen – irgendwie hat man das Gefühl, als habe dieser alte Hai uns dabei die ganze Zeit beobachtet, also uns, die Menschheit.
Umgekehrt mag es den Kraken ergehen. Denn wir beobachten sie. Kraken gelten als megagescheit. Lernfähigkeit und Gedächtnis der Kraken sollen derart hochentwickelt sein, dass man sie mit Wirbeltieren vergleicht. Die Forschung an Kraken ist daher faszinierend, allerdings auch ambivalent: Denn je mehr über ihre kognitiven Fähigkeiten bekannt wird, desto lauter werden die Stimmen, die Experimente mit diesen uns doch ach so ähnlichen Mittieren verbieten wollen. Tatsächlich dürfen Tintenfische zwar ohne weiteres in Massen gefischt werden, um sie zu essen, will man aber mit ihnen experimentieren, ist das ein Tierversuch und der ist, von Ausnahmen abgesehen, nur an speziell dafür gezüchteten Tieren erlaubt, und auch das nur unter erheblichen gesetzlichen Einschränkungen.
So klug die Kraken sein mögen, ganz anders als der dumme Grönlandhai werden sie nur ein bis drei Jahre alt. Sie sterben, wenig smart, nachdem sie sich fortgepflanzt haben – sozusagen mit letzter Tinte. Allerdings wird Tinte in der Regel nicht, oder nur noch selten, aus dem Sekret von Tintenfischen hergestellt. Nicht einmal bei Montblanc. Deren Füller sind aus anderen Gründen umstritten. Die Bild-Zeitung wettert gegen Bundestagsabgeordnete, die die 400 Euro teuren Schreibgeräte aus dem Katalog der Bundestagsverwaltung geordert haben. Sie wurden aus dem Sachleistungsbudget bezahlt, also »von unseren Steuergeldern«, empört man sich. Das ist aber nicht ganz konsequent. Denn es könnte ja sein, dass sich ein anderer Abgeordneter 1 000 Kugelschreiber von Bic für je 40 Cent bestellt hat. Das wäre keine geringere Belastung der Steuerkasse, aber hat natürlich nicht den Charme der Geschichte von den dekadenten Bonzen da oben, die im Luxus leben, während wir mit armseligen Füllern von Pelikan oder Geha oder Werbekulis der SPD unseren Hartz-IV-Antrag unterschreiben müssen.
Die Eltern unseres Grönlandhais waren noch Zeitgenossen Martin Luthers und hättten beobachten können, wie er ein Tintenfass auf den Teufel warf und ihn damit erfolgreich vertrieb. Wenn Tinte derart effektiv ist, dann sollte der Politik dies auch ein paar Euro wert sein.