50 Jahre »Star Trek«

In den unendlichen Weiten des Fernsehweltraums

50 Jahre unterwegs im »Star Trek«-Universum.

2006, also vor zehn Jahren, konstatierte der Physiker Stephen Hawking, dass es sich mit dem menschlichen Leben auf der Erde, wenn es ökologisch und ökonomisch so weitergeht wie bisher, alsbald erledigt haben wird; über Yahoo fragte Hawking damals in den virtuellen Raum hinein: »Wie kann die Menschheit die nächsten 100 Jahre überleben?« Hawkings persönliche Antwort ist lapidar: »Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht!« Seine andere, »wissenschaftliche« Antwort appelliert an die Forschung: »Wir müssen darauf vorbereitet sein, die Erde zu verlassen, und Planeten anderer Sonnensysteme zu besiedeln.«
So sehr Hawking Pessimist ist, was die unvermeidbar drohende Selbstzerstörung der Zivilisation angeht, so sehr ist er dessen ungeachtet Optimist im Vertrauen auf den zivilisatorischen Fortschritt: Unbeirrbar ist Hawking überzeugt, dass es in naher Zukunft Technologien geben wird, die ohne weiteres Weltraumfahrten und -besiedelungen ermöglichen. Doch auch wenn bereits ein Projekt ins Leben gerufen ist, mit Lasern angetriebene Sonden mit nur 20 Jahren Reisezeit statt der bisherigen 30 000 Jahre zum nächsten Sonnensystem zu schicken – neben Mark Zuckerberg und Juri Milner ist an diesem Vorhaben auch Hawking beteiligt –, bleiben die Visionen der Raumfahrttechnik zur Rettung der Menschheit grundsätzlich noch Science-Fiction. Milliarden Menschen werden elendig auf der Erde verrecken, bis wirklich die ersten Expeditionen in neue Welten aufbrechen.
Allerdings wäre Science-Fiction eben nicht Science-Fiction, wäre sie nicht zwar Ausgedachtes, damit aber eben doch wissenschaftlich Denkmögliches; und überdies nämlich ein Denkmögliches, das mit dem Wirklichen stimmig, »logisch« adäquat verbunden ist (im Sinne von Darko Suvins Charakterisierung von Science-Fiction als »erkenntnisbezogener Verfremdung«).
Das gilt insbesondere für »Star Trek«, ein Franchise-Unternehmen unterschiedlicher Kulturwaren der Medienindustrie, das vor 50 Jahren mit »Raumschiff Enterprise« am 8. September 1966 im US-amerikanischen Fernsehen begann. Bis heute umfasst das sogenannte »Star Trek«-Universum fünf Fernsehserien mit insgesamt 703 Episoden, 13 Kinofilmen, einer Zeichentrickserie sowie »über 1 000 Comics und in mehr als 700 Bänden erschienene Romane und Kurzgeschichten«, heißt es auf Wikipedia. Für 2017 ist eine weitere Serie angekündigt, die zunächst im Fernsehen, dann über Streaming-Dienste vermarktet werden soll; auch werden weitere Filme ins Kino kommen.
Die zuletzt produzierte Serie hieß einfach »Star Trek – Enterprise« und kam zwischen 2001 und 2005 ins Fernsehen, wurde jedoch schließlich wegen ihres nur mäßigen Erfolgs nicht weitergeführt. Sie war zukunftszeitlich der sogenannten Originalserie »Raumschiff Enterprise« unmittelbar vorgeordnet, spielte also auch wie die Originalserie im 23. Jahrhundert. Tatsächlich ging es hier ein wenig trocken zu, war man vom Plot zu sehr bemüht, den Anschluss an die Gegenwart zu bekommen – Raumschiff und Uniformen hatten mehr Ähnlichkeit mit heutiger Astronautik als mit dem bewährten »Star Trek«-Design –, außerdem waren die Figuren eher fade und bloß billig stereotypisiert aufgemotzt. Allen voran die laszive Vulkanierin T’Pol, die sich mit Schmollmund und Schlafzimmerblick in Logik und emotionaler Zurückhaltung übte.
Der große Erfolg war indes die auf sieben Staffeln beziehungsweise 178 Folgen verteilte Serie »Star Trek – The Next Generation«, deutsch: »Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert«, die zwischen 1987 und 1994 erstmals im Fernsehen gesendet wurde. Nunmehr im 24. Jahrhundert ist unter dem Kommando von Captain Jean-Luc Picard eine neue Enterprise (»Enterprise-D«) mit einer über 1 000 Frauen und Männer zählenden Besatzung in den »unendlichen Weiten« des Weltalls unterwegs, um – ja, warum eigentlich? Der berühmte Episodenvorspann sagt dazu: »Dies sind die Abenteuer des neuen Raumschiffs Enterprise, das viele Lichtjahre von der Erde entfernt unterwegs ist, um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen. Die Enterprise dringt dabei in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.«
Der narrative Rahmen der »Star Trek«-Geschichte ist also eine Forschungsreise, ein Unternehmen. Nichts anderes bedeutet »Enterprise«. Mit jeder Episode der Serie stellt sich die Besatzung der Enterprise den Herausforderungen und Widrigkeiten dieser »fremden Welten«; immer wieder sind das lebensbedrohliche Situationen, sich gewaltig und schrecklich anbahnende Katastrophen, die aber schließlich allesamt erfolgreich abgewendet werden.
Mit anderen Worten: Die Enterprise-Besatzung ist andauerndem Stress ausgesetzt, sie lebt unter den Bedingungen permanenter Gefahr, was eigentlich psychisch und physisch kaum auszuhalten sein könnte. Von Episode zu Episode konfrontiert mit dem Unbekannten, Unheimlichen, Ungewöhnlichen, sind – ganz dem Zeitgeist folgend – kreative Lösungen gefragt; und das sind Lösungen, die bei aller Originalität die geltende Normalität der sozialen Enklave der Raumschiffreisegruppe zu keinem Augenblick infrage stellen. Die Lösungen, die geboten werden, müssen funktionieren (so wie alles im »Star Trek«-Universum zu funktionieren hat); und sie funktionieren häufig technisch, manchmal auch diplomatisch – mithin immer kommunikativ.
Kommunikation ist gleichsam das Programm, mit dem die ununterbrochenen, aber nur selten miteinander verbundenen unwägbaren Ereignisse bewältigt werden. Was darüber hinaus aber auch auffällt: Weder Kommunikation noch die allenthalben erforderte Resilienz sind Bildungsresultate, Lernergebnisse. Die in den Episoden als Abenteuer dargebotenen Ereignisse bedeuten nichts Neues, keine Erweiterung, Ergänzung oder Korrektur des Wissens. Wie die Ereignisse selbst bleiben auch die aus ihnen gezogenen Schlüsse völlig arbi­trär. Obwohl in vielfacher Lichtgeschwindigkeit Entfernungen überbrückt werden, bleibt der konkrete Erfahrungsraum begrenzt: Sowenig für die Lösung der Schwierigkeiten Bildung notwendig ist, sowenig ergibt sich aus den Ereignissen ein geschichtlicher Fortgang, der mit der Bildung der Beteiligten korrespondiert; jede Episode rekapituliert eine Wiederkehr des ewig Gleichen. Geschichte als »Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit« (Hegel) ist suspendiert: Im »Star Trek«-Universum gibt es kein Bewusstsein, keinen Fortschritt, und somit auch keine Geschichte mehr. Nichtsdestotrotz bleibt aber eine allseits verbürgte und immer wieder verteidigte »Freiheit« das große Ideologem der Weltraumpilger; eine Freiheit, die philosophisch entkernt, nicht mehr als eine Plakette ist, ein Reklame-Signet – nicht nur für die Welt von morgen, sondern für das Individuum von morgen.
Damit definierte »Star Trek« mit »The Next Generation« und später dann »Voyager« (1995 bis 2001) das Genre Science-Fiction neu: Es ist nicht mehr der in die Zukunft verlegte Western oder Piratenfilm – statt mit Revolver mit Phaser, statt mit Segel-Kogge mit Warp-Antrieb –, sondern im Rahmen einer Phantomzeit-ähnlichen Projektion, die viel mit den Phantasmagorien des Theaters wie überhaupt mit dem Theater zu tun hat, eine adäquate Postmodernisierung von Western und Piratenfilm.
Die einzelnen Rollen der Raumschiff-Crew bestätigen und verstärken nicht mehr in jeder Episode ihre im Grundgerüst stabile Identität (wie in der Originalserie, angelehnt an das klassische Heldenepos), sondern erkennen gleichsam mit jedem Abenteuer, dass für die je individuelle Identität ihrer Rolle ein substantielles oder essentielles Stabilitätsgerüst namens Subjekt gar nicht mehr nötig ist.
»The Next Generation« führt mit dem Holodeck quasi das Theater im Theater ein; Subjektivität wird hier auf Algorithmen reduziert, die immer wieder die Hochzeit der Moderne, nämlich das ausgehende 19. Jahrhundert und frühe 20. Jahrhundert simulieren – digitale Guckkastenmetaphysik des 24. Jahrhunderts; »Star Trek Voyager« setzt dem noch einen drauf – der Plot: das Raumschiff Voyager ist lost in space, ist in den Delta-Quadranten katapultiert worden und bewegt sich nun auf der Suche nach möglichen, entfernungsmäßig aber unmöglichen Rückwegen. Der Zwang zur Kommunikation, die technisch mit unserer Galaxie nicht mehr funktioniert, verweist die einzelnen Charakter auf eine permanente Selbstbefragung, und ist damit auch auf der Suche nach der verlorenen Subjektivität, indem auf technisch höchstem Niveau das cartesianische »cogito ergo sum«, ich denke, also bin ich, immer wieder experimentell überprüft wird. Und zwar ganz materialistisch nachfragend, ob das Ich, das denkt, wirklich das Ich ist, das ist. Virulent ist das vor allem für die beiden Hauptfiguren MHN (Medizinisch-holographisches Notfallprogramm), ein holographischer Arzt, der sich als Existenz verselbstständigt, und die aus dem Borgkollektiv »befreite« Borgfrau Seven of Nine, die immer wieder ihre Individualität doch noch als Kollektivität erfährt …
Aber zurück zur »Next Generation«. Im Spiegel der achtziger Jahre – vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Realsozialismus – bediente dieses Serienformat ähnlich wie Clarkes und Kubricks »2001« für die Endsechziger ein futurologisches Narrativ, jedoch ausgeweitet in eine für ein Millionenpublikum ebenso wie für den Trekkie-Fan tauglichen populären Gestalt. Ein wesentlicher Unterschied zu »2001« ist dabei, zumindest was »The Next Generation« angeht, das Gebot, unbedingt alles zu kommunizieren, weil alles kommunizierbar ist …
Andreas Rauscher hat in seiner fulminanten Studie »Das Phänomen Star Trek« in dem Gesamtserienentwurf, vor allem aber dann in »The Next Generation« gleichwohl einen futurologischen Sozialismus entdeckt: »Die ›Next Generation‹ setzte den einfachen Freund-Feind-Schablonen des damaligen Mainstreams einen utopischen Entwurf entgegen, der im weiteren Verlauf der Serie immer deutlicher die Züge einer sozialistischen Gesellschaft unter amerikanischen Vorzeichen annahm.« Zwar bleibt die gesamte Sozialorganisation auf dem Schiff und auch innerhalb der Föderation hierarchisch nach militärischen Rängen organisiert, doch setzt sich langsam ein neues – wenn man so will – verständigungsorientiertes Verantwortungsbewusstsein durch: Statt offener Feindseligkeit und Brutalität ist nun Diplomatie und Aufklärung gefragt.
Allein wird dies schon durch den neuen Captain herausgestellt: Jean-Luc Picard ist ein Aufklärer par excellence. Seine Waffe ist der Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen – eine Rolle, die der Picard-Darsteller Patrick Stewart bestens ausfüllt. Der britische Schauspieler ist festes Mitglied der Royal Shakespeare Company, beherrscht nicht nur das Filmset wie die Theaterbühne, sondern bringt vor allem auch – nicht zuletzt durch Gestik und Haltung – immer wieder Shakespeare’sche Elemente mit in die Serienhandlung. Um es so zu sagen: Dass die Shakespeare-Figuren, allen voran Hamlet, das moderne bürgerliche Subjekt in all seinen Konfliktlagen antizipieren, spiegelt sich bei Picard und Stewart unter zwei nun wesentlich transformierten Bedingungen in den Achtzigern und Neunzigern. Einerseits steht mit der Postmoderne Subjektivität und die mit ihr einmal verbindliche Identität überhaupt infrage; andererseits hat der Behaviorismus menschliche Subjektivität ohnehin entkernt und um das Bewusstsein wie Unbewusstes gebracht. Die Frage »Wer bin ich?« erscheint nun nicht nur als Problem, sondern als Chance. Heraus kommt ein Programm, das Selbstverwirklichung um der Selbstverwirklichung willen propagiert. Und in »The Next Generation« wurde das exemplarisch in allen Rollen der Hauptdarstellerinnen wie -darsteller umgesetzt, allen voran Picard.
Einen theatralischen Höhepunkt bilden die beiden Episoden »In den Händen der Borg« (Staffel 3, Folge 26, USA 1990) und »Angriffsziel Erde« (Staffel 4, Folge 1, USA 1990), wo die Borg im »Star Trek«-Universum erstmals als fundamentale Bedrohung auftreten – und Picard auch gleich von ihnen gefangengenommen wird. Die Borg – kybernetische, technoanthropomorphe Wesen, deren organischer Körper mit allerhand Metallgeräteteilen »verbessert« ist – versuchen Picard zu »assimilieren«, das heißt in ihr Kollektiv zu integrieren. Picard sträubt sich.
Borg: »Captain Jean-Luc Picard – sie kommandieren das stärkste Schiff der Föderationsflotte. Sie dürfen jetzt sprechen!«
Picard antwortet, ohne Angst und voller Gewissheit, in diesem Konflikt zumindest den moralischen Sieg davonzutragen, verweigert kommunikativ die Kommunikation (denn auch die Borg obliegen offenbar dem Kommunikationsdiktat): »Ich habe Ihnen nichts zu sagen! Aber ich werde mich Ihnen mit all meiner Kraft entgegenstellen!«
Dann die Borg-typische Antwort: »Kraft ist irrelevant! Wir wollen uns weiterentwickeln. Wir werden ihre biologischen und technologischen Besonderheiten unserer Kultur hinzufügen. Sie werden sich daran gewöhnen, uns zu dienen.«
Schließlich Picard: »Unmöglich! Unsere Kultur basiert auf Freiheit und Selbstbestimmung!«
Wieder die Borg: »Freiheit ist irrelevant. Selbstbestimmung ist irrelevant. Unterwerfen sie sich!«
Und nun Picard mit der alten Freibeuterparole: »Lieber sterben wir!«
Und wieder typisch Borg: »Der Tod ist irrelevant!«
Bezeichnend ist Picards rhetorischer Wechsel vom Ich zum Wir, bezeichnend ohnehin sein Vertrauen in die kommunikative Kraft des – vermeintlich – besseren Arguments, das die Borg überzeugen müsste, von ihrem Tun abzulassen.
Szenenwechsel – auf der Brücke der Enterprise hat jetzt der ohnehin etwas ungestüme William Riker das Kommando und befielt, was nur in dieser Ausnahmesituation zu befehlen ist: die militärisch-operationale Vernichtung der Borg, die Verteidigung mit allen Mitteln. Schließlich geht es nicht nur um Picard, nicht nur um die Enterprise, sondern um das Überleben der Menschheit: Die Borg steuern auf die Erde zu.
Die ist – übrigens nicht erst im 24. Jahrhundert, sondern schon nach dem Dritten Weltkrieg im 21. Jahrhundert, dann auf Initiative der Vulkanier im 22. Jahrhundert – entgegen der düsteren Prognose des Physikers Hawking nachgerade ein Paradies. Illustriert wird das immer wieder durch Szenen, die in der zukünftigen Bay Area angesiedelt sind, also im heutigen San Francisco, Kalifornien: Wie aus dem Bilderbuch der Zeugen Jehovas zeigt jede dieser Szenen immer miteinander redende Menschen, die lustwandelnd ein Areal durchstreifen, das halb Garten, halb Universität Bielefeld ist; im Hintergrund: die Golden Gate Bridge. Der Himmel ist blau, doch niemand empört. Hawking soll nicht recht behalten. Im »Star Trek«-Universum hat die Menschheit glücklich überlebt, trotz eines noch bevorstehenden Weltkriegs. Der Grund übrigens, dass die Vulkanier hier für die Humanisierung der Erde eingriffen: Der 2030 geborene Physiker Zefram Cochrane erfindet den Warp-Antrieb, lässt nach dem Dritten Weltkrieg ein erstes Warpschiff 2063 starten. So scheint es doch, dass Hawkins Hoffnung auf den technischen Fortschritt, der den gesellschaftlichen Rückschritt bezwingen soll, sich bewahrheitet – zumindest in den unendlichen Weiten des Fernsehweltraums.