Ein Hamburger Spielesoftware¬unternehmen entlässt Mitarbeiter. Ein Sozialplan ist nicht vorgesehen

Evil Empire

Bei dem Hamburger Software-Unternehmen »Goodgame Studios« werden derzeit zahlreiche Beschäftigte entlassen. Ein Betriebsrat, der einen Sozialplan verlangen könnte, existiert nicht. Seine Gründung war zuvor verhindert worden.

»Es ging mit den Goodgame Studios schon länger bergab, die ganzen Kündigungen kamen nicht wirklich überraschend«, sagt Petra Huwe* im Gespräch mit der Jungle World. Doch sie räumt ein: »Dass jetzt Hunderte entlassen werden, damit habe ich nicht gerechnet.« Auch Huwe wurde gekündigt. Wie viele der insgesamt etwa 1 200 Beschäftigten entlassen wurden, ist unklar. Bei einem Meeting verkündete die Geschäftsführung im August überraschend, dass die Belegschaft erheblich verkleinert werde. Neben der Nichtverlängerung zahlreicher Zeitverträge soll unbefristet Beschäftigten angeboten worden sein, gegen eine Abfindung von anderthalb Monatsgehältern pro Anstellungsjahr aus dem Betrieb auszuscheiden. Für die Abfindung würden aber maximal drei Jahre berücksichtigt. Viele Mitarbeiter dürften angesichts der hohen Fluktuation im Unternehmen nicht einmal auf diese Zahl kommen. Parallel zu diesem bescheidenen Angebot begann das Unternehmen, erste Kündigungen auszusprechen. Es wird offenbar immer nur einigen Mitarbeitern gleichzeitig gekündigt.
Ein Unternehmenssprecher teilte mit, man könne noch nichts zur genauen Zahl der Entlassungen sagen. Erst »nach Beendigung des vorgeschalteten höherdotierten freiwilligen Abfindungsprogramms« sei »ersichtlich, wie viele Mitarbeiter entlassen werden«. In einer Presseerklärung hieß es, es werde Kündigungen voraussichtlich in »einem unteren dreistelligen Bereich« geben. Von Umstrukturierung und Konzentration auf ein »sehr profitables Kerngeschäft« ist da die Rede.
Die Goodgame Studios wurden 2009 von den Brüdern Kai und Christian Wawrzinek sowie einem weiteren Partner gegründet. Ein typisches Start-up, alle duzen sich, die Chefs tragen keinen Schlips, man ist locker. Als vor fünf Jahren in der Alten Oper in Frankfurt mit einer festlichen Gala fünf mittelständische Unternehmen als »Entrepreneure des Jahres 2011« ausgezeichnet wurden, waren die Goodgame Studios eines davon. Es sollte nicht die einzige Auszeichnung bleiben. Rasch wuchs Goodgame: »Mit über 1 100 Mitarbeitern aus über 60 Nationen sind wir Deutschlands größtes Spieleunternehmen«, heißt es in der Selbstdarstellung. Spezialisiert ist Goodgame auf Spiele, die als App auf mobilen Geräten oder über den Browser am Rechner laufen. Die Games sind kostenlos, Geld verdient das Unternehmen mit eingeblendeter Werbung und kostenpflichtigen Extras. Das bekannteste Good­game-Spiel heißt »Empire« – ein Strategiespiel, bei dem es pseudohistorisch um mittelalterliche Burgen, Armeen und eben die Schaffung eines »Empire« geht.
Noch 2014 erzielten die Goodgame Studios einen Gewinn von 30 Millionen Euro, 2015 brach der Gewinn ein. »Die Geschäftsführung hatte eine schlechte Strategie, die Umsätze gehen schon länger zurück«, so Lars Eckhoff*, der ebenfalls entlassen wurde. Geschäftsführer Christian Wawrzinek stellte noch im Mai in dem Magazin Berlin Valley die Lage von Goodgame höchst positiv dar. »Nur die besten Leute bauen die besten Produkte, die wiederum die besten Umsätze machen«, das habe sich bei Goodgame bewahrheitet. Man wolle weiter wachsen und glaube »auch, dass wir eine gewisse Größe brauchen, um ganz nach vorne zu kommen«.
Als ebenso erfolgreich stellte sich im Juli auf der firmeneigenen Website die »Mitarbeitervertretung« dar, die in Absprache mit dem Management als vermeintlich bessere Alternative zu einem regulären Betriebsrat eingerichtet wurde. Die Mitarbeiter hätten sich gemeinsam für eine »eigene maßgeschneiderte Lösung für eine Mitarbeitervertretung entschieden«. Ein Mitglied dieses Gremiums gibt sich »zuversichtlich, dass wir noch bessere Arbeitsbedingungen für alle schaffen werden«.
Deutlich grenzte man sich bei Goodgame hingegen von Bestrebungen ab, einen mit gesetzlich garantierten Mitspracherechten ausgestatteten Betriebsrat zu konstituieren. Vertreter der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hatten am 19. Januar auf einer Betriebsversammlung die Einsetzung eines Wahlvorstandes zur Einrichtung eines Betriebsrats vorgeschlagen. Knapp 63 Prozent der Mitarbeiter stimmten jedoch dagegen. So konnte kein Betriebsrat gewählt werden, die betriebsgemeinschaftlich vereinbarte Mitarbeitervertretung hat anders als ein Betriebsrat keinerlei gesetzlich festgeschriebenene Rechte. Sonst gäbe es Einspruchsmöglichkeiten gegen Kündigungen, die Sozialverträglichkeit könnte zumindest geprüft und das Unternehmen zu einem Sozialplan für die Entlassenen verpflichtet werden.
Aber schon bei der Abstimmung über die Einsetzung eines Wahlvorstandes für einen Betriebsrat schwangen Angst und Einschüchterung mit. Knapp zwei Monate zuvor waren ohne Ankündigung quer durch die Abteilungen und Teams 28 Beschäftigte entlassen worden – am selben Tag, an dem die Gekündigten die Einsetzung eines Wahlvorstandes für eine Betriebsratswahl offiziell auf den Weg bringen wollten. Unter den Entlassenen war auch ein Schwerbehinderter, dessen besonderer rechtlicher Status von der Geschäftsleitung erst im Nachhinein anerkannt wurde – ihm wurde fristgerecht erneut gekündigt.
»Das kam sehr plötzlich«, berichtet Marcel Thomsen* im Gespräch mit der Jungle World. Er ist einer derjenigen, die damals entlassen wurden. Eine ihm unbekannte Person habe ihn aufgefordert, sie zu seiner Vorgesetzten zu begleiten. »Im Meeting hat meine Chefin mir dann meine Kündigung ausgehändigt«, so Thomsen. Die sei nicht von ihr, sondern »von ganz oben« gekommen. Auf der Straße habe er dann eine Whatsapp-Nachricht von einem Kollegen erhalten, der ebenfalls gerade entlassen worden sei. »Ein befreundeter, nichtentlassener Kollege hat mir dann die Sachen von meinem Schreibtisch rausgebracht«, erinnert sich Thomsen, »da ich selbst nicht mehr reindurfte. Das ist es dann für mich gewesen.« Viele Kollegen und Kolleginnen seien auf die Straße rausgekommen und hätten sich mit den Entlassenen unterhalten. »Am Tag der Entlassungen wurde de facto nicht mehr gearbeitet«, so Thomsen, »der Schock und die Wut waren den Leuten anzusehen.«
Die meisten der Entlassenen hatten in einer Chatgruppe auf dem Webdienst »Slack« die Betriebsratswahl vorbereitet. Nur blieb der Chat nicht intern. Fast alle der 28 im November kurzfristig Entlassenen hatten auf Slack mitdiskutiert. Geschäftsleitung und Pressesprecher von Goodgame Studios stritten vehement ab, dass die Entlassungen sich gegen eine mögliche Betriebsratswahl gerichtet hätten: Werde »die Gründung eines Betriebsrats gewünscht, stehen wir dem selbstverständlich nicht im Wege«. Dass die Behinderung einer Betriebsratswahl strafbar ist, dürfte der Geschäftsleitung, in der zwei Juristen sitzen, bekannt sein. So beteuerte man, die Kündigungen seien wegen »Leistungs- und Verhaltensdefiziten bei einzelnen Mitarbeitern« erfolgt. Entsprechende Abmahnungen hat es aber nicht gegeben. Nun verlieren bei Goodgame Hunderte ihren Job, ohne dass ein Betriebsrat etwas dagegen unternehmen könnte. »Ganz übel«, resümiert Verdi-Sprecher Björn Krings.
* Namen von der Redaktion geändert.