Berlin Beatet Bestes. Folge 367

Ghetto-Teenager von damals

Berlin Beatet Bestes. Folge 367. VISA-Tonkooperative LP (1980).

»Was ist dein Leben wert?/Hast du’n Recht zu denken?/Unser Staat, der sorgt für uns./Unser Staat, der nimmt uns an der Hand./Unser Staat, der denkt für uns./Unser Staat bescheißt uns nicht./Lug und Trug – Schwindel!/Das Gute am Staat ist der Tod.«

Wütend kommt das Geschrei von Ixtoc-I aus den Lautsprechern. Die Band, benannt nach einer Erdölprobebohrung im Golf von Mexiko, die 1979 die bis dahin größte Ölpest auslöste, entstand im Umfeld des KZ36-Kollektivs und des gleichnamigen »Kommunikationszentrums« in der Waldemarstraße in Berlin-Kreuzberg. An diesem antikommerziell orientierten Konzertort von und für Punks kam es schon früh zum Streit über Geld und politische Ausrichtung. Das Wirken der frühen Berliner Anarcho-Punk-Bands ist auf den von Karl-Ulrich Walterbach veröffentlichten KZ36-Samplern dokumentiert. Auf Teil zwei sind auch die Rucki Zucki Stimmungskapelle, Vitamin A, Stromsperre und Ixtoc-I zu hören.
Während Karl-Ulrich Walterbach wenig später mit seinem Label Aggressive Rockproduktionen die Musik der deutschen Amateurszene erstmalig in die großen Plattenladenketten trug und so überregional bekannt machte, versuchten diese vier Bands einen nichtkommerziellen Weg zu gehen. Sie schlossen sich zur sogenannten VISA-Tonkooperative zusammen und veröffentlichten mit ihrer LP einen der ersten unabhängig produzierten deutschen Anarcho-Punk-Sampler.
»Musik als Waffe« steht als Überschrift auf dem zwölfseitigen Booklet, das kleingedruckt und randvoll ist mit anarchistischen Texten. Karl-­Ulrich Walterback nennen sie darin »Kommerzschwein«. Die Musik ist überraschend vielschichtig. Stromsperre und Vitamin A wechseln zwischen Punk und dem, was wenig später Hardcore genannt wurde. Die Rucki Zucki Stimmungskapelle setzt im Refrain von »Metamorphose« ein Saxophon ein. Ixtoc-I erinnern ein wenig an die frühen Slime. Die politisierten Ghetto-Teenager von Stromsperre und Vitamin A kamen übrigens aus Gropiusstadt, der damals – zusammen mit dem Märkischen Viertel – abgefucktesten Trabantensiedlung Deutschlands.
Das Gesamtwerk von Stromsperre und Vitamin A haben die Punks des Berliner Labels Rotten Totten Records 2002 und 2003 auf zwei LPs wiederveröffentlicht, die leider längst vergriffen sind. Die LP der VISA-Tonkooperative ist bis heute nie wiederveröffentlicht worden.