Nazis wollen aus Bautzen eine »national befreite Zone« machen

Allein unter Bautzenern

Die Hetzjagd auf Flüchtlinge in Bautzen zeigt: In der Stadt üben Nazis nicht nur Gewalt aus, es gelingt ihnen auch, die öffentliche Debatte nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen.

Der Kornmarkt in Bautzen liegt zwischen der mittelalterlichen Altstadt und dem größten Einkaufszentrum der Oberlausitz. Seit Monaten ist er Schauplatz rassistischer Hetze und rechter Gewalt. Die sogenannte Platte, wie der Platz von den Einwohnern der Stadt meist genannt wird, ist einer der wenigen Orte im Zentrum, an denen es Bänke, einen W-Lan-Hotspot und Geschäfte gibt, in denen man sich ein Bier mitnehmen kann. In dieser Stadt ohne Jugendzentren und mit wenigen Anlaufpunkten für nichtrechte Jugendliche ist es nicht verwunderlich, dass die »Platte« auch ein Treffpunkt für Flüchtlinge wurde.
Das Ende der deutschen Hegemonie an diesem Ort rief jedoch lokale Neonazis und rechte Jugendliche auf den Plan. Dies gipfelte am Mittwochabend vergangener Woche in einer Hetzjagd von Polizeischätzungen zufolge etwa 80 gewalttätigen Deutschen auf 20 minderjährige Flüchtlinge. Die Bautzener Polizei bekam die Lage erst unter Kontrolle, nachdem sie zusätzliche Einsatzkräfte aus den umliegenden Direktionen angefordert hatte. Die sächsische Polizei verkündete tags darauf auf einer Pressekonferenz, die erste Flasche sei am Abend zuvor von einem unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden – in der Beamtensprache kurz: Uma – geworfen worden, was die Ausschreitungen provoziert habe. Kein Wort verlor die Polizei über die seit Monaten andauernden rassistischen Beschimpfungen und die rechte Gewalt. Die dem Wurf vorausgegangenen stundenlangen rassistischen Beleidigungen und Provokationen wurden ebenfalls ausgespart.
Die nach den rassistischen Jagdszenen verhängten Maßnahmen trafen ausschließlich die in der Stadt wohnenden Asylsuchenden. Eine Ausgangssperre ab 19 Uhr für alle unbegleiteten Flüchtlinge, eine Verschärfung der Hausordnungen, ein Alkoholverbot in den Heimen sowie die Verlegung von vier angeblichen Rädelsführern in andere Städte wurden beschlossen. Nach Aussagen von Anwälten und Sozialarbeiterinnen haben Flüchtlingshelfer seit Mittwoch vergangener Woche so gut wie keinen Zugang mehr zu den Heimen. Den Asylsuchenden werden Berichten von Unterstützerinnen zufolge Rechtsberatung und Gespräche mit Helferinnen und Helfern seither vollständig versagt. »Hier wurde eine alltagsrassistisch motivierte Eskalationsspirale entwickelt, als deren Sündenbock nun auch vom örtlichen Polizeiführer eine Handvoll geflüchtete Jugendliche stigmatisiert werden. Gleichzeitig verharmlost dieser Bautzener Polizeichef auf der Pressekonferenz die rechten Hassverbreiter als ›eventorientierte‹ Leute«, kommentierte die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linkspartei) die Lage.
Die Opferberatung der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Sachsen verzeichnet seit Monaten rechte Angriffe in Bautzen. So kam es bereits während der Fußballeuropameisterschaft der Männer im Juni und Juli auf der »Platte« zu Attacken von 50 Einheimischen auf junge Asylsuchende. Örtliche Flüchtlingshelfer berichten außerdem von einer gestiegen Anzahl von Polizeikontrollen in der Innenstadt, denen die Flüchtlinge ausgesetzt waren. Hotel- und Gaststättengewerbe am Kornmarkt klagten über eine Belästigung ihrer Kundschaft und forderten seit Längerem ein Eingreifen der Behörden. Plante die Stadt zunächst noch, die Lage durch Streetworker zu befrieden, griffen der Landkreis Bautzen und die sächsische Polizei am Donnerstag vergangener Woche mit einer strikten Law-and-order-Politik ein.
Auftakt der rassistischen Eskalation der vergangenen Woche war eine Demonstration unter dem Motto »Bautzen war nie bunt, ist nicht bunt, wird nicht bunt« am Freitag, dem 9. September. Gegen diese Veranstaltung angekündigte Proteste riefen wiederum organisierte Neonazis auf den Plan, die zu einer Gegenkundgebung gegen diese Protestdemonstration aufriefen. Die Lage drohte bereits an diesem Abend zu eskalieren. Schon damals sprach die Polizei von »gegenseitigen Provokationen«, die für die bedrohliche Lage verantwortlich seien. Die Festnahme eines Asylsuchenden an diesem Tag, die von einer Augenzeugin auf dem Blog »Lauterbautzner« als »Verhaftungszeremonie« beschrieben wurde, sorgte nach Angaben der Blogbetreiber auf Seiten der Neonazis und Rassisten »für Stimmung und Bestätigung«. Die verbleibenden Gegendemonstranten mussten später unter Polizeischutz ins nahegelegene soziokulturelle Zentrum »Steinhaus« eskortiert werden. Der einzige Anlaufpunkt in der Kleinstadt für alternative Jugendliche und Bürger, die sich für Flüchtlinge engagieren, wurde anschließend von Neonazis belagert.
In Bautzen haben sich in den vergangenen zwei Jahren Nazis organisiert, die Flüchtlingshelfer, Linke, Sorben und Asylsuchende einschüchtern, bedrohen und angreifen. Schon 2014 attackierten sie Veranstaltungen sorbischer Jugendlicher, 2015 machten Nazis am Rande einiger Demonstrationen Jagd auf Gegendemonstranten. Regelmäßig finden in der Region Veranstaltungen dieses rechten Milieus statt. So luden die lokalen Nazikreise am vergangenen Wochenende zum »deutschen Sport- und Familienfest« in Ostsachsen, auf dem unbehelligt von der sächsischen Polizei bis zu 200 gewaltbereite Nazis »sportliche Wettkämpfe« austrugen, unter anderem gab es Luftgewehrschießen für Kinder.
Seit einiger Zeit ist es das erklärte Ziel des neonazistischen Milieus, aus Bautzen eine »national befreite Zone« zu machen. »Seit langem versuchen Neonazis, in Bautzen den Ton anzugeben. Gruppen wie Stream Bz machen im Internet keinen Hehl daraus, ihren Anspruch auf Bautzen gewaltsam durchsetzen zu wollen«, heißt es in einer Erklärung der RAA. Der Kornmarkt sei anscheinend »zum symbolischen Ort dieses für die Naziszene typischen Hegemonieanspruchs« geworden. Dem Ziel einer »national befreiten Zone« sind diese Kreise nach den behördlichen Maßnahmen der vergangenen Woche und dank der polizeilichen Ignoranz gegenüber rechter Gewalt einen großen Schritt näher gekommen. Angesichts der Ausgangssperre für junge Flüchtlinge sagten organisierte Neonazis ihre für das vergangene Wochenende geplante Demonstration in Bautzen ab und riefen ihre Anhänger dazu auf, zunächst ruhig zu bleiben. Diese Abmeldungen erfüllt einen strategischen Zweck: Die Nazis versuchen, in der Öffentlichkeit als friedliche und besonnene Zeitgenossen zu erscheinen, während die Flüchtlinge in der öffentlichen Debatte als Ursache des Problems gelten, dem man nur mit einer Ausgangssperre beikommen kann. Ihre Rolle als Friedensengel hielten die Neonazis aber nicht ganz ein: Die Absage der Demonstration ging mit der Drohung einher, weitere Schritte zu ergreifen, sollte die Situation auf der »Platte« nicht in ihrem Sinne geklärt werden. Die Tatsache, dass der Polizei zufolge »unschöne Szenen« wie am Mittwochabend vergangener Woche vorläufig ausblieben, brachte die Nazis in die Position scheinbar ernstzunehmender Verhandlungspartner. So reagierte der parteilose Oberbürgermeister Alexander Ahrens auf ein Gesprächsangebot von rechten Gruppen wie »Nationale Front Bautzen« und »Rechtes Kollektiv BZ« mit der Aussage, gern über »Versäumnisse und Missstände« sprechen zu wollen.
Die Situation in Bautzen ist daher nicht das Ergebnis eines Flaschenwurfs, sondern einer längerfristigen Provokation des Bautzener Neonazimilieus und einer rassistischen Grundstimmung. Diese geht einher mit einer konsequenten Ignoranz auf Seiten der Verwaltung und Polizei. Das rechte Milieu hat es so in Bautzen geschafft, nicht nur die Debatte in der Stadt zu bestimmen, sondern auch den Kampf um die Straße zu führen. Zeichneten sich neonazistische Proteste im vergangenen Jahr etwa in Heidenau nur durch gewalttätige Ausschreitungen aus, sind die Nazis in Bautzen mittlerweile zum Gesprächspartner avanciert – trotz einer Menschenjagd. Sie verfolgen eine Strategie zwischen Gewalt und rassistischem Diskurs. Das hat in Bautzen zu einer bedrohlichen Ausnahmesituation geführt.