Zwei europäische Comics blicken auf den Fernen Osten

Die Schönheit des Unzugänglichen

Zwei Comiczeichner begeben sich in den Fernen Osten: Der Hamburger Sascha Hommer reist nach China, Igort, geboren im italienischen Cagliari, nach Japan. Ihre Eindrücke reflektieren sie auf sehr unterschiedliche Weise.

In die Vergangenheit zurückschauend fühlen wir uns stolz. Auf die Zukunft blickend sind wir voller Leidenschaft. Shangsheng Sports betritt die Bühne mit dem Traum und ruft mit Zuversicht an die Welt. Die Sport­industrie wird wegen Shangsheng Sports viel wunderschöner!« Den Comiczeichner Sascha Hommer hat es nach China verschlagen, er verbringt 2011 vier Monate in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, wo er seinem Freund Karl und dessen Frau Linda bei der Produktion des einzigen englischsprachigen Stadtmagazins Citylife aushilft. Nebenbei verdient er Geld durch das Einsprechen von Werbetexten für Shangsheng Sports und andere Firmen, Texten, die durch »zertifizierte Übersetzer« erstellt wurden.
Die zertifizierten Übersetzungen stehen mit ihren schiefen Bildern und einer immer leicht am Sinn vorbeistolpernden Sprache spiegelbildlich für das Anliegen Hommers, sich einerseits scheinbar naiv in die fremde Kultur zu stürzen, dabei aber andererseits eine Menge theoretischen Rüstzeugs im Gepäck zu haben, das sich mit Fragen der Annäherung an das kulturell Fremde, den Grenzen und Stolpersteinen dieser Begegnungen beschäftigt. Ebenso wie in den Texten für die Werbespots bleibt ­immer ein kleiner Rest bestehen, der sich nicht erfassen lässt, eine Differenz, aus der sich die Faszination wie auch die – oftmals produktiven – Missverständnisse speisen.
»Hast du nicht das Gefühl, der Barkeeper bemüht sich angestrengt, den Wilden zu spielen, den wir, wie er glaubt, von ihm erwarten?« fragt in seinem Buch »Forschungsbericht« Hubert Fichte, der nicht nur im bisherigen Werk Sascha Hommers immer mal wieder aufgetaucht ist, sondern damit auch jene Frage formuliert, die sich unterschwellig durch »In China« zieht: Welche Blicke wirft man auf ein fremdes Land, auf die dort lebenden Menschen und ihre Kultur, ihren Alltag, und welche Blicke werden zurückgeworfen?
»Ich habe mir dich ganz anders vorgestellt. Bist du auch wirklich Deutscher?« wird Hommer von einer potentiellen Mitbewohnerin mit diesem Blick zurück konfrontiert. Anderswo inszeniert er seine eigenen Schwierigkeiten, die Perspektive des Touristen vollends abzustreifen. Nach seinem Eindruck von Chengdu befragt, antwortet er: »Es gibt sehr viel Niederschlag und sehr viele Baustellen. Der Verkehr ist krass, das ­Essen finde ich toll. Aber das sind ja nur Klischees. Sicher haben Sie als Einheimische einen ganz anderen Blick auf die Stadt.« »Aber nein«, antwortet Frau Yun, »ich bin nämlich auch nicht von hier, sondern aus Shanxi.«
Hommer irrt durch eine Stadt mit 14 Millionen Einwohnern und einem Kulturangebot wie Tübingen. Er trägt dabei eine Maske, die ihn einerseits versteckt und gleichzeitig sichtbar werden lässt: Seine Identität als Deutscher bleibt verborgen und doch verweist die Verkleidung stets auf das, was hinter ihr steckt. Ge­koppelt werden solche Reflexionen über Identität, Eigen- und Fremdwahrnehmung an literarische und theoretische Werke von Marco Polos »Von Venedig nach China« über Hergés Tim-und-Struppi-Band »Der blaue Lotus« bis hin zu Claude Lévi-Strauss’ »Traurige Tropen«, die jedem Kapitel vorangestellt sind und darin einer Relektüre unterzogen werden.
Hommers langsam erzählter, schwarzweißer Comic versteht es, die Verwirrtheit des Protagonisten in Graustufen zu übertragen, die ihn ein ums andere Mal zu verschlucken drohen. Und trotz des einmaligen Erfolgserlebnisses, mit einem Einheimischen erfolgreich kommuniziert zu haben, wird er vom Zeichner wortwörtlich im Regen von Chengdu stehengelassen.
Sascha Hommers italienischer Zeichnerkollege Igort hat sich ebenfalls in einem Album mit dem ­Fernen Osten beschäftigt, seine Herangehensweise unterscheidet sich jedoch fundamental von der zögernden Reflektiertheit von »In China«. Anders als Hommer ist er in »Berichte aus Japan« auf einer Suche: »Während dieses Aufenthalts ergriff mich die Japan-Sehnsucht in Form einer süßen Schwermut, beinahe wie eine Krankheit. Die antike Schönheit ­eines Hauses aus Holz und Reispapier, wie ich es hin und wieder in meinem Viertel entdeckte, stimmte mich traurig. Es erzählte von längst vergangenen Zeiten. Das alte Japan verschwand vor meinen Augen, hinfortgetragen vom emsigen Treiben des modernen Lebens.«
Igort sucht nach etwas Verlorenem, nach einem Bild von Japan, das der Realität nicht standhalten kann, letztlich nach einem europäischen Klischeebild, das er in den Jahren, die er in Japan lebt, nach und nach abbaut. Stattdessen findet er anderes, die Erzähltechniken des Manga etwa, die er mit seiner Herangehensweise als vom europäischen Comic geprägter Zeichner vermischt. Hier erwachsen aus den wechselseitigen Blicken Möglichkeiten für etwas Neues, für eine Comickultur, die sich in der Aneignung des Fremden, dem Spiel mit der fremden Ästhetik zu ungesehenen und interessanten Erzählformen findet.
»Japan war zur Schatulle meiner Wünsche geworden, ein Koffer gefüllt mit verschiedensten Dingen«, schreibt Igort. Er trifft Zeichnervor­bilder wie Jiro Taniguchi oder Hayao Miyazaki, lernt die Abgründe des Landes kennen, etwa den religiös begründeten Rassismus, und auch die kaum Freizeit lassende Arbeit in einem japanischen Comicverlag. Er war zufällig in Japan gelandet, nachdem er 1991 auf einer Buchmesse in Bologna mit einem japanischen Verleger ins Gespräch gekommen war. Viele Jahre blieb er in diesem »Reich der Zeichen«. Der Comic ist vor allem eine liebevolle Hommage an die dort gewonnen Eindrücke und die Kultur. Virtuos wechselt Igort Stile und Farbgebungen, integriert frühe Arbeiten im Manga-Stil und Reflexionen über japanische Philosophie, Kriegskunst und Symbolik, erzählt Mythen und Geschichten, beschreibt Arbeitsverhältnisse und eigene Erlebnisse.
Während Sascha Hommer die Erlebnisse seines viermonatigen Aufenthalts in reduzierten, kargen Bildern und Texten vermittelt, scheint die Masse der verschiedensten Eindrücke bei Igort den Leser manches Mal zu erschlagen. In beiden Herangehensweisen spiegelt sich jedoch ein ehrliches Interesse an der anderen Kultur, ein Bewusstsein des verzerrten westlichen Blicks verknüpft mit der Reflexion über unerfüllte Erwartungen und unterlaufene Stereotypen – in beiden Richtungen, von West nach Ost wie auch von Ost nach West.

Sascha Hommer: In China. Verlag Reprodukt, Berlin 2016, 176 Seiten, 20 Euro
Igort: Berichte aus Japan. Eine Reise ins Reich der Zeichen. Verlag Reprodukt, Berlin 2016, 182 Seiten, 24 Euro