Die dunkle Raute der Macht

Sesselkreis

Kritik an Angela Merkel ist gar nicht so leicht, denn sie ist eine richtige Streberin, die allen gefallen will mit ihrer guten Arbeit und Sauberkeit und Sachlichkeit. Merkel hat die protestantische Ethik tief ver­innerlicht, deutsche Tugenden sind ihr wichtig, sie will eine Gute sein, eine, die nicht angreifbar ist. Sie mag Deutschland, klar, aber das nationalistische Gekreische und Gezeter findet sie anstrengend und unangemessen. Immer schön in der Mitte, lächeln, winken. Diese nüchterne Sachlichkeit hat sie ins Amt gebracht und im Amt gehalten, sie war eine angenehme Vertreterin dessen, was Anfang des 21. Jahrhundert als das »Ende der Geschichte« in einer neoliberalen Sozialstaatsmassakrierung mündete. Zwar übernahm Merkel deren Erbe vom eher kämpferischen Chauvi-Politiker Gerhard Schröder, der aber selbst in diese von ihm kreierte wirtschaft­liche und soziale Alternativlosigkeit nicht mehr reinpasste. Wie so oft sind die Eigenschaften, die zur Macht bringen, genau die, die am Ende zum Ende führen.
Auch bei Angela Merkel ist die nüchterne Sachlichkeit in den vergangenen Wochen und Monaten zu ­einer Farce geworden – sie schweigt, sie duldet, sie will es allen recht machen, Harmonie und Verständnis unter die Leute bringen. Fehlt nur noch, dass sie mit Horst Seehofer und Beatrix von Storch in Bautzen einen Sesselkreis macht. Aber im Kern scheint sie nicht begriffen zu haben, dass Politik so nicht funkti­onieren kann.
Sie hat nicht begriffen, dass es um Interessen geht, die in den meisten Fällen gegeneinander stehen, bis zu einem Punkt, an dem es keine Kompromisse mehr geben kann. Und deswegen hat Merkel in den vergangenen Monaten sehr viel falsch gemacht, so viel wie vielleicht in ihrer ganzen Karriere nicht. Sie hat die Europäische Union endgültig gespalten, hat die Reetablierung deutscher Hegemonie auf dem Rücken der anderen EU-Staaten rücksichtslos durchgezogen, hat die rassistischen und von nationalsozialistischer Ideologie getriebenen Deutschen als besorgte Bürger akzeptiert, hat ihnen sogar ihren Willen gegeben und die härsteste Asylrechtsverschärfung in der Geschichte der Bundesrepublik durchgedrückt. Sie hat, um den gemeinen deutschen Bürgern die schrecklichen Ausländer vom Hals zu halten, ein Abkommen mit der Türkei geschlossen, während das Land zur Diktatur umgebaut wird. Generell hat sie die deutschen Befindlichkeiten, die gerne einmal in Pogromen und Lagern münden, ernst genommen – die Lehren aus Auschwitz sind komplett vergessen, überholt, uninteressant. Alles in allem wird Merkel vielleicht als die Kanzlerin in die Geschichte eingehen, die die EU zerstörte und Deutschland wieder groß machte – eine Rolle, die sie bestimmt niemals haben wollte. Aber Schröder ging damals ja auch nicht in die Politik, um den Sozialstaat zu zerstören.