Der Film »Sausage Party«

Die Götter essen Kinder

Wenn Würstchen und andere Nahrungsmittel in einem Supermarkt gegen Götter und Religionen kämpfen, tobt die große »Sausage Party«. Seinen großen Erfolg hat der US-amerikanische Animationsfilm durchaus verdient.

Gab es in der langen Geschichte des Kinos schon einmal einen Film, in dem eine bösartige, rachsüchtige Vaginaldusche die Kontrolle über den Hintern eines Supermarktangestellten übernimmt? War auf einer Leinwand jemals die detailreiche Darstellung einer sexuellen Orgie zu sehen, an der sich unter anderem ein Würstchen, ein Hot-Dog-Brötchen, ein Fladenbrot, ein Bagel und ein Taco beteiligen? Durfte jemals in einem Film ein benutztes Kondom von seiner schreckenerregenden Begegnung mit einem Menschen erzählen?
Für alle drei Fälle gilt: nein. Was wiederum bedeutet: Die Regisseure Conrad Vernon und Greg Tiernan haben mit diesen und weiteren Szenen, die es in ihrem Film »Sausage Party« zu sehen gibt, Kinogeschichte geschrieben. Dass es sich um den ersten Computeranimationsfilm handelt, den die Motion Picture Association of America mit der Altersfreigabe »R« versehen hat, ist ebenfalls bemerkenswert. Kinder unter 17 Jahren dürfen »Sausage Party« in den USA somit nur in Begleitung Erwachsener sehen. Die Freigabe »R« erhalten Filme, die intensive Darstellungen von Sexualität, Gewalt oder Drogenkonsum enthalten. »Sausage Party« geizt weder mit Sex noch mit Gewalt oder Drogenkonsum. All das wäre außergewöhnlich genug. Doch inmitten eines überbordenden Gewimmels aus sprechenden Würsten, Brötchen, Obst- und Gemüsesorten, Süßigkeiten, Getränken und Haushaltswaren verhandelt der Film durchaus ernste Fragen. »Sausage Party« ist nicht weniger als die erste Wurstallegorie der Menschheitsgeschichte, in der es um den Ausgang eines Würstchens aus seiner selbst – und gesellschaftlich – verschuldeten Unmündigkeit geht, um seine Entwicklung vom Gläubigen zum überzeugten Atheisten.
Dieses Würstchen heißt Frank. Es lebt in einem großen Supermarkt und ist zunächst, wie alle Waren, überaus gottesfürchtig. Frank glaubt wie seine Mitwürstchen, Mitbrötchen und weiteren Mitprodukte an »die Götter« und hofft darauf, von diesen auserwählt und in das »Große Jenseits« mitgenommen zu werden – gemeinsam mit seiner großen Liebe, dem Hot-Dog-Brötchen Brenda. Andere erträumen sich ein anderes Jenseits: Das arabische Fladenbrot Kareem Abdul etwa hofft auf 77 Flaschen »extrajungfräulichen Olivenöls« im Himmel.
Allerdings handelt es sich bei den Göttern lediglich um die Menschen, die im Supermarkt ihre Einkäufe tätigen. Auch das »Große Jenseits« hat nichts Überirdisches an sich. Bei den Menschen angekommen landen die Lebensmittel unter Qualen in den Kochtöpfen und Mündern der Einkäufer. »Die Götter lügen wie gedruckt« – das ist die Botschaft, die ein traumatisiertes Senfglas aus dem vermeintlichen Jenseits mitbringt, nachdem sein Käufer vom Umtauschrecht Gebrauch gemacht hat. Eine weitere Botschaft lautet: Die Götter sind in Wahrheit sadistische Monster. »Fickt euch, ihr Götter!« schreit das Senfglas deshalb, ehe es sich aus Verzweiflung in den Tod stürzt.
In Frank keimt nun der Zweifel an seiner Religion. Das Würstchen macht sich in die Katakomben des Supermarkts auf, um die Wahrheit über die Götter herauszufinden. Sein Freund Barry wird derweil auserwählt. Er sieht mit eigenen Augen, was die Götter im »Großen Jenseits« anrichten: Eine drollige Kartoffel wird bei lebendigem Leib gehäutet und in siedendes Öl geworfen, putzige Tomaten werden gevierteilt, Würstchen grausam aufgeschlitzt. Es ist ein Massaker, in dem der mordenden Göttin nichts heilig ist: Sie verschlingt sogar eine Handvoll niedliche Babymöhrchen. So verdichtet sich die Wahrheit über die Götter in einem Satz: »Sie essen Kinder!«
Barry gelingt glücklicherweise die Flucht. Zurück im Supermarkt bemüht er sich mit Frank darum, seine Leidensgenossen davon zu überzeugen, dass es weder Götter noch ein »Großes Jenseits« gibt. Im großen, blutigen und grotesken Finale geht es dann den menschlichen Unterdrückern an den Kragen.
Würstchen vs. Religion – das mag auf dem Papier reichlich bemüht klingen. In den 88 Minuten, die der Film dauert, entfaltet sich die Handlung aber überaus unterhaltsam und derart konsistent, als wäre es die normalste Sache der Welt, einer Schnapsflasche beim Kiffen zuzusehen. Das liegt zum einen an der hohen Dichte an Pointen, wobei Vulgäres, Obszönes und politisch ganz und gar Unkorrektes den Humor bestimmen. Zum anderen ist den Animationskünstlern die Vermenschlichung der Lebensmittel so gut gelungen, dass sich der Zuschauer mühelos in Brötchen, Würstchen und sogar einen Rollstuhl fahrenden Kaugummi einfühlen kann. Vielleicht soll das auch ein Seitenhieb auf die Konventionen der Branche sein: Haben Studios wie Pixar bisher hauptsächlich Tiere und Spielzeuge zu den anthropomorphen Hauptdarstellern ihrer Animationsfilme gemacht, setzen Vernon und Tiernan noch einen drauf und präsentieren sprechende Würste als den letzten Schrei der Verniedlichungsindustrie.
Dass ausgerechnet drollige Würste in einem Animationsfilm den Kampf für den Atheismus aufnehmen, ist aber sicher der größte Reiz an »Sausage Party«. Man könnte beinahe annehmen, die Drehbuchautoren Seth Rogen, Evan Goldberg, Kyle Hunter, Ariel Shaffir hätten ihrem Skript einige historisch-materialistische Einsichten zugrunde gelegt. Religion ist in »Sausage Party« die legitimierende Ideologie der Unterdrückung, die die Gläubigen auf das Glück im »Großen Jenseits« vertröstet – Religion als Opium der Nahrungsmittel. Doch wie das Würstchen Frank sehen muss, wollen sich etliche Leidensgenossen auch dann nicht von ihrem Glauben verabschieden, als die Wahrheit über die Götter längst zum Vorschein gekommen ist. Ihre Begründung: Die Menschen werden sie weiterhin quälen und verspeisen. Warum dann den Trost aufgeben, wenn der Schrecken der gleiche bleibt? »Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt«, schrieb Karl Marx über dieses Problem. Erst wenn die Welt geändert wird, verschwindet die Religion. Weshalb sich Frank und seine Mitstreiter in einen blutigen Endkampf Wurst gegen Mensch begeben, um die ehemaligen Götter endgültig zu erledigen.
Solche religiösen beziehungsweise atheistischen Implikationen wecken das Interesse von Kreisen, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte. Sogar in Christianity Today, einem evangelikalen Magazin in den USA mit monatlich über 200 000 Lesern, wurde »Sausage Party« wohlwollend und mit einer gewissen Faszination besprochen, wenn auch die Autorin gleich zu Beginn ihres Artikels einräumte: »Ich glaube nicht, dass viele CT-Leser sich das ansehen werden.« Zudem warnte sie: »Ich kann das nicht ausdrücklich genug wiederholen: Nehmen Sie nicht Ihre Kinder mit!«
Doch auch wenn keine Kinder zu den Zuschauern gehören: Über mangelnden Zuspruch können sich die Macher von »Sausage Party« nicht beschweren. Die Produktion des Films kostete 19 Millionen US-Dollar. Schon am ersten Wochenende nach seiner Veröffentlichung in den USA hatte er 33 Millionen US-Dollar eingespielt, mittlerweile sind es über 120 Millionen US-Dollar – noch bevor er überhaupt in Europa angelaufen ist. Der große Andrang dürfte auch der Tatsache zu verdanken sein, dass »Sausage Party« zwar Fragen des Atheismus und der Theologie verhandelt. Dabei bleibt der Film aber stets in Obszönitäten und kruden Einfällen schwelgendes Popcornkino. Und abgesehen davon: Wie ein armes Würstchen sich fühlt, kann eben jeder Kinogänger nachempfinden.

Sausage Party (USA 2016). Regie: Greg Tiernan, Conrad Vernon. Kinostart: 6. Oktober