Die Debatte über die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes in Polen

Druck von rechtsaußen

Die Debatte um ein noch strikteres Abtreibungsverbot in Polen treibt die Radikalisierung der Regierungspartei voran.

Die gescheiterte Parlamentsabstimmung über eine Verschärfung des Abtreibungsverbots in Polen vergangene Woche ist ein Erfolg der feministischen und liberalen Kräfte, die seit März gegen den Gesetzentwurf protestierten. Gleichzeitig verdeutlicht sie jedoch auch, dass die regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in diesem Punkt in sich gespalten und mehr denn je dem Druck ultrakonservativer Organisationen ausgesetzt ist. Der wachsende Einfluss von Bürgerbegehren begünstigt diese Entwicklung.
Bevor die PiS im Herbst vergangenen Jahres mit einer absoluten Mehrheit aus den Wahlen hervorging, versprach sie mehr Bürgerbeteiligung: Zukünftig sollten aus Volksbegehren entstandene Gesetzentwürfe im Parlament durchweg in erster Lesung angenommen und in Fachausschüssen vertiefend diskutiert werden. Um den Zugang zum Gesetzgebungsprozess zu erleichtern, setzte die Partei die Hürde der zu sammelnden Unterschriften mit 100 000 bewusst niedrig an. Umgehend gewannen das ultrakonservative Institut Ordo Iuris und die polnische Bewegung der »Lebensschützer« 460 000 Unterstützer für ihre Kampagne »Stop Aborcji«, die auf eine weitere Verschärfung des polnischen Abtreibungsrechts zielt. Ihr Gesetzentwurf sieht unter anderem Gefängnisstrafen für Abtreibungen vor, auch wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung resultierte. Bestraft werden sollen die betroffenen Frauen selbst, aber auch behandelnde Ärzte und Unterstützer.
Daraufhin reichte das Komitee Ratujmy Kobiety (Rettet die Frauen) einen konkurrierenden Entwurf für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts ein. Diese Ausgangslage brachte die PiS in Bedrängnis: Teile der Partei unterstützen die geplante Verschärfung aus Überzeugung, denn fundamentalistische Katholiken sind eine wichtige Wählerbasis der PiS. Dennoch wäre eine weitere Verschärfung der europaweit härtesten Abtreibungsgesetzgebung für die betont rechtspopulistisch, ihrem Verständnis nach »volksnah« regierende Parteiführung problematisch. Denn etwa 70 Prozent der Polinnen und Polen lehnen ein vollständiges Abtreibungsverbot ab, das Haftstrafen vorsieht, und auch einige Vertreter der katholischen Kirche sind dagegen. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge strebte der Parteivorsitzende der PiS, Jarosław Kaczyński, deshalb eine Neutralisierung beider Entwürfe an. Hätte das Parlament Ende September beide Vorschläge in erster Lesung angenommen und in die zuständigen Ausschüsse verwiesen, wären die widerstreitenden Projekte dort wechselseitig blockiert worden und ein folgenloses Patt wäre wahrscheinlich gewesen. Jedoch verlief die Abstimmung anders als geplant. Zahlreiche Abgeordnete der Regierungsfraktion nahmen den Verbotsentwurf an, lehnten aber den liberalen Gegenentwurf schon in erster Lesung ab, ein Verstoß gegen das Wahlversprechen und eine deutliche Bevorzugung der ultrakonservativen Unterstützer des Abtreibungsverbots. Erst die Massenproteste Anfang Oktober und die als Reaktion darauf erfolgende Kehrtwende der Parteiführung führten dazu, dass die PiS-Fraktion den Gesetz­entwurf in zweiter Lesung mehrheitlich ablehnte.
Dennoch geht die Diskussion um eine Ausweitung des Abtreibungsverbots in Polen weiter. Für den Ausgang entscheidend ist ­einerseits, wie viel politischen Druck die liberale, außerparlamentarische Opposition aufbauen kann, und andererseits, ob sich die PiS von ihr nahestehenden ultrakonservativen Kräften weiter radikalisieren lässt.