Islamkritik ist nicht kulturalistisch

Große Scheuklappen

Die Kritik am Islam ist nicht kulturalistisch. Denn Zivilisation und Barbarei sind weder geographische Angaben noch kulturelle Eigenheiten.

Es gibt ein Missverständnis in der linken Abwehr der Islamkritik, das ihre Anhänger mit den reaktionären Islamfeinden teilen. Dass es sich hierbei um ein interessiertes Missverständnis handelt, zeigt der Artikel von Jonas Fedders (Jungle World 42/16).
Fedders will auf die Fallstricke linker Islamkritik hinweisen, bei deren Nichtbeachtung die Kritiker unweigerlich in einen »kulturellen Rassismus«, einen »antimuslimischen Rassismus« oder direkt in die »rechtsextremistische Hetze« hineinstolperten. Die linke Islamkritik nämlich konstruiere in Artikeln, Aufrufen und Flyern eine homogene islamische Kultur, der Antisemitismus, Misogynie und eine patriarchale Familienordnungen exklusiv zur Last gelegt würden. Der Westen hingegen werde in einer dichotomen Gegenüberstellung zum Hort der Zivilisation und der menschlichen Freiheiten stilisiert. Solch eine Gegenüberstellung entspreche bereits der wesentlichen Logik des Rassismus, wie Fedders mit einem Zitat des »Rassismusforschers Wulf D. Hund« belegen will.
Nun muss man nicht unbedingt auf den akademischen Hund gekommen sein, um die Rede von den Kulturen als Rassifizierung im neuen Gewand zu erkennen. Gegen sie haben Stichwortgeber der Antideutschen wie Wolfgang Pohrt, Lothar Baier und Eike Geisel bereits in den frühen neunziger Jahren argumentiert. Und nichts anderes kri­tisieren auch heute die antideutschen Islamkritiker an jenen Linken, die den Islam durch den Rassismusvorwurf an seine Kritiker zur unveräußerlichen Eigenschaft aller Muslime erklären. Neuerdings werfen sich nun beide Fraktionen gegenseitig Kulturalismus vor. Eine argumentative Pattsituation?
Offenkundig geht auch Fedders davon aus, dass die linke Kritik des Islam auf einem Kulturbegriff basiert, unter den alle Muslime subsumiert werden sollen. Dies zumindest ist die implizite Prämisse, mit derer die polemischen Zitate antideutscher Publikationen umstandslos zu rassistischen Parolen erklärt. Der Islam aber ist – wie schon im vermeintlich entlarvenden Zitat, mit dem Fedders seinen Artikel eröffnet, festgehalten – weder als Religion noch als Kultur, sondern zuerst als Ideologie zu begreifen. Als solche bleibt er für alle Muslime eine Option unter vielen, von der sie sich als Individuen selbstverständlich auch abwenden können.
Die Kritik an dieser Ideologie, an ihren materiellen Bedingungen und an den gesellschaftlichen Konsequenzen, die sie für ihre Anhänger zeitigt, rassi­fiziert diese ebenso wenig wie die Kritik an der deutschen Dorfgemeinschaft jeden Landbewohner zum Nazi macht. Der Hinweis auf diese selbstverständ­liche und notwendige Differenzierung ist aber kein Grund, etwas an der anti­faschistischen Kritik an Heidenau und Clausnitz zurückzunehmen. Ebendies aber scheint Fedders’ Anliegen bezüglich des Islam zu sein, dessen terroristische Gewalt er zwar »nicht bagatellisieren« will, über die er aber auch kein weiteres Wort verliert. Er delegiert sie an »islamistische Kreise«, die mit dem Islam so wenig zu tun haben sollen wie das »Pack« (Sigmar Gabriel) von Heidenau mit Deutschland.
Wichtiger ist Fedders der Hinweis auf die Vielfalt von »Milieus und Gesellschaften«, deren »soziale und kul­turelle Normen und Praktiken« durch den Islam geprägt sind. Die von den ­Islamisten beschworene Umma gebe es eigentlich nicht und deshalb spiele die linke Islamkritik letztlich gerade den Islamisten in die Hände. Nun ist die globale Anhängerschaft des Islam dieser Tage sicherlich durch vieles geprägt, nicht aber durch Widerspruchslosigkeit. Dass die muslimische Umma als identitäres Angebot deshalb keine Abnehmer fände, ist eine Feststellung, die nur getroffen werden kann, wenn man die großen Scheuklappen trägt, die Fedders bereits erwähnt hat.
Denn wie nicht erst der Sommer 2014 gezeigt hat, findet sich eben jene islamische Gemeinschaft dann zusammen vereint auf der Straße, wenn es gegen den jüdischen Staat, wenn es gegen Israel geht. Ähnlich der deutschen Volkgemeinschaft ist der wahnhafte Antisemitismus der psychody­namische Kern, um den sich die ansonsten bis aufs Messer verfeindeten muslimischen Gruppen im projektiven Hass vereinen. Insofern ist die Umma keineswegs als empirische Gesamtheit aller Muslime zu verstehen. Sie ist vielmehr Fluchtpunkt einer ideologisierten Verfolgergemeinschaft. Die Einheit des Islam ist ein sozialpsychologisches Phänomen. Sie beruht auf einer geteilten Ideologie, die selten religiös, aber fast immer politisch auftritt. Für die Kritik ist ihre Annahme eine begriffliche Notwendigkeit, wenn man sich nicht grundsätzlich von der Dialektik von ­Besonderem und Allgemeinem in der Sprache und der Wirklichkeit verabschieden will.
Den notwendigen Bezug auf eine Einheit des Islam mit dem Bezug auf eine einheitliche Kultur gleichzusetzen und zugleich die Vielfalt der Muslime zur Grundlage des eigenen Rassismusvorwurfs zu nehmen, kann man dennoch als kleines Meisterstück linksradikaler Diskursgaunerei betrachten. Die dahinterstehende Haltung ist beispielhaft für diejenigen, die jede Differenzierung fahren lassen, wenn sie zu Recht auf die ideologischen Verbindungen der freien Kameradschaften zu AfD, CSU und zum deutschen Alltagsrassismus hinweisen, aber jede begriffliche Verrenkung in Kauf nehmen, wenn der Islam als vielfältige und veränderbare Religionsgemeinschaft vor Kritik in Schutz genommen werden soll.
Denn andernfalls, so schreibt auch Fedders, verärgere man die emanzipatorisch gesinnten Muslime in aller Welt. Die Gegenüberstellung des aufgeklärten Westens mit dem rückständigen Islam sei »ein Schlag ins Gesicht für manche fortschrittliche, säkulare und feministische Kräfte in den islamischen Communities und Gesellschaften«. Nun erfahren aber gerade jene Muslime, die sich um eine Reform und Liberalisierung ihrer Religion bemühen, dass es mit der großen Vielfalt muslimischer »Normen und Praktiken« so weit nicht her ist. In den als Communities verharmlosten muslimischen Zwangsgemeinschaften werden Homosexualität, die formelle Gleichheit der Geschlechter, Alkoholkonsum und jede Art der individuellen Selbstbestimmung mindestens geächtet, wenn nicht verfolgt bestraft.
Hat sich eine »islamische Community« erst einmal etabliert, ist es also schnell vorbei mit den säkularen und feministischen Kräften. Denn sie konstituiert sich maßgeblich durch gegenseitige Kontrolle ihrer Mitglieder und eine permanente Mobilisierung nach innen, in der die Abgrenzung gegen jene libertinage im Vordergrund steht, die sich in der historischen Entwicklung des Kapitals geographisch trotz aller Halbheiten und Defizite im Westen etabliert hat. Mit dieser Feststellung werden Zivilisation und Barbarei aber noch lange nicht zu geographischen Angaben und schon gar nicht zu einheitlichen »Kulturen«, wie es Fedders der linken Islamkritik unterstellt.
In diesem Kurzschluss aber besteht das eingangs erwähnte Missverständnis der antirassistischen Kritiker. Interessiert ist es deshalb, weil nur so der akademisch aufgemöbelte Erfolg der urdeutschen Multikulti-Agenda zur antirassistischen Intervention geadelt werden kann. Erst wenn der universalistische Anspruch der Islamkritik auf einen geographisch-kulturellen Geltungsbereich eingegrenzt wird, kann jede Gegenüberstellung von Ideologie und Wahrheit, von Mythos und Aufklärung in der Kritik des Islam zur Neuauflage des europäischen Kolonialismus gemacht werden.
Der Verweis auf die säkular gesinnten Muslime ist ähnlich perfider Natur. Denn insofern ihre antirassistische Verteidigung auf der Verteidigung einer Vielfalt des Islam fußt, verschwindet darin jeder Gegensatz zwischen individuellen Ansprüchen und dem islamischen Zwangskollektiv, ganz so, wie es die etymologische Definition des ­Islam als Frieden und Hingabe fordert. Die fortbestehenden Unterschiede zwischen den Muslimen begründen deshalb keine Vielfalt des Islam, sondern stehen vielmehr seinem totalitären Anspruch entgegen. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die unter ihm leiden, ist es, wenn ihn antirassistisch motivierte Linke zur veränderbaren Religion oder Kultur erklären, deren gesellschaftliche Erscheinungsformen ob ihrer Veränderbarkeit aber nicht kritisiert werden dürften.
Die antirassistische Linke hat offenbar gelernt, dass in der Rede von der Kultur die Rasse schlummert. In der Konsequenz wird die Kultur lediglich aus dem eigenen Wortschatz verbannt. Offenkundig treibt sie in antirassistischen Köpfen aber weiter ihr Unwesen und wird dann denunziatorisch aus dem Hut gezogen, wenn es darum geht, mit Dr. Hund und Theodor W. Adorno in den Kampf gegen die Islamkritik zu ziehen. Dabei geht es in der derzeitigen politischen Situation um eine historisch-materialistische Analyse und die folgerichtige kommunistische Kritik am Islam.