»Absurde Theorien«

Am Mittwoch vergangener Woche schoss der »Reichsbürger« Wolfgang P. im mittelfränkischen Georgensgmünd auf vier SEK-Beamte. Die Polizisten sollten ihm rund 30 Schusswaffen abnehmen, deren Besitz ihm nach Behördenangaben wegen seiner »Unzuverlässigkeit als Waffenbesitzer« verboten worden war. Einen Tag später erlag einer der Beamten im Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Jungle World sprach mit Johannes Baldauf, Experte für Rechtsextremismus bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, über das Phänomen der »Reichsbürger«.

Nach den tödlichen Schüssen von Georgensgmünd diskutiert die Öffentlichkeit über das Gewaltpotential der »Reichsbürger«. Wie gefährlich sind diese Leute?
Wenn man sich die Ereignisse der vergangenen Jahre ansieht, ist definitiv eine latente Gefahr vorhanden. Wir hatten erst vor zwei Monaten den Fall Adrian Ursache, ein »Reichsbürger« in Sachsen-Anhalt, der sich einen Schusswechsel mit der Polizei lieferte. Wir hatten schon vor knapp vier Jahren den Fall des sogenannten Deutschen Polizeihilfswerks, das in Sachsen einen Gerichtsvollzieher bei der Ausübung seiner Tätigkeit gefangennahm. Im Sommer 2012 verschickte eine Gruppe namens »Reichsbewegung – neue Gemeinschaft von Philosophen« Drohbriefe an jüdische, türkische und muslimische Einrichtungen und forderte die betreffenden Bevölkerungsgruppen auf, Deutschland zu verlassen. Gewalt wird im Milieu der »Reichsbürger« als legitime Option betrachtet.
»Reichsbürger« – das klingt etwas skurril, aber auch irgendwie harmlos. Ist diese Bezeichnung nicht verharmlosend?
Ja, bestimmt ist sie verharmlosend. Experten fordern zum Teil, den Begriff nicht mehr zu benutzen. Aber das Problem haben wir ja häufiger, auch mit Begriffen wie »Rechtsradikalismus«, »Rechts­extremismus« oder »Verschwörungstheorien«. Es gibt begründete Kritik an solchen Begriffe, aber »Reichsbürger« ist eben der Begriff, unter dem dieses Phänomen zusammengefasst wird und mit dem wir momentan arbeiten. Man hat es dabei tatsächlich mit einem skurrilen Phänomen zu tun. Es sind extrem absurde Theorien, die da gepflegt werden, was sie aber nicht weniger gefährlich macht.
Was für absurde Theorien sind das?
Man kennt »Reichsbürger« in der breiten Öffentlichkeit ja in erster Linie, weil sie Phantasieausweise oder – führerscheine benutzen, weil sie keine Rundfunkgebühren und keine Steuern bezahlen – das macht sie natürlich attraktiv für bestimmte Leute. Die Begründungen dafür, haarsträubende Interpretationen völkerrechtlicher Zusammenhänge, sind abstrus. Das sollte aber nicht davon ablenken, dass es sich im Kern um eine rechtsextreme Ideologie handelt. Sie ist gebietsrevisionistisch, völkisch-nationalistisch, rassistisch; sie ist eng mit Verschwörungstheorien von einer »Neuen Weltordnung« verknüpft und damit auch antisemitisch.
In einigen Bundesländern, etwa in Brandenburg, gibt es inzwischen eigene Handbücher für Verwaltungsmitarbeiter zum Umgang mit den vielen »Reichsbürgern«. Wie groß ist dieses Milieu zahlenmäßig?
Für viele Behörden ist das tatsächlich ein riesiges Problem. Aber wie viele »Reichsbürger« es genau gibt, ist schwer zu sagen. Für Brandenburg schätzt das Landesamt für Verfassungsschutz die Zahl auf etwa 300. Bundesweit gibt es keine verlässlichen Zahlen, auch weil das Bundesamt für Verfassungsschutz sie bislang nicht in ihren Berichten berücksichtigt. Man muss aber von mindestens 1 000 »Reichsbürgern« in Deutschland ausgehen.