Die letzte Festung

Noch bevor der Kampf um Mossul ernsthaft begonnen hat, wird erbittert darüber gestritten, wem die Stadt nach der Vertreibung des »Islamischen Staats« gehören soll.

Wenn ein Staat 700 Soldaten nebst Panzern und Artillerie die Grenze zu einem Nachbarland überschreiten lässt, sie dort trotz der Aufforderung von dessen Regierung, sich zurückzuziehen, stationiert und dann auch noch Kampfhandlungen anordnet, ist das ein Kriegsgrund. Dennoch hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der anlässlich der Belagerung Mossuls ebendies tat, ­wenig Grund zur Sorge.
Die irakische Regierung hat die Kontrolle über die betroffene Region verloren und mehr als genug mit dem Kampf gegen die Jihadisten in Mossul zu tun. Die US-Regierung ist zwar nicht begeistert von Erdoğans Eigenmächtigkeit, möchte türkische Truppen aber am Kampf um Mossul beteiligen, weiß also einmal mehr nicht so recht, was sie will. Auch die nordirakisch-kurdischen Peshmerga rücken auf Mossul vor, doch besteht die irakische Regierung darauf, dass sie die Stadt selbst nicht betreten. Das wünscht sich auch die türkische Regierung, obwohl sie auf ein angebliches Ersuchen der Peshmerga hin angebliche jihadistische Stellungen beschießen ließ – ein Vorgang, den das irakische Militär bestreitet. Erdoğan will keine Schiiten in Mossul dulden, sein Interesse ist die Schaffung einer ihm hörigen sunnitischen Machtbasis in der Region. Zu diesem Zweck unterhielt die Türkei auch dubiose Beziehungen zum »Islamischen Staat« (IS), es muss daher bezweifelt werden, dass Erdoğan wegen der Jihadisten ins Nachbarland einfiel.
Einig ist man sich in der von US-Präsident Barack Obama 2014 gegründeten Koalition allein darüber, dass es nun an der Zeit ist, Mossul dem IS zu entreißen. Doch es geht nicht darum, in der Millionenstadt endlich wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Um Mossul ist ein Machtkampf entbrannt. Mit dem Iran verbündete irakisch-schiitische Milizen wollen ihren Machtbereich ausdehnen, Erdoğan baut turkmenisch-sunnitische Milizen auf und schafft so eine neue Kriegspartei. Er will offenbar mit den Dörfern, sun­nitischen Clanführern vom Land, die Stadt einkreisen und »tribalisieren«. Der »letzten Festung der Urbanität im Irak«, so der Blogger Mosul Eye, der in der Stadt ausharrt, droht mit der Befreiung von der IS-Herrschaft die Zerstörung.
Die Tragödie in Mossul ist ein weiteres Beispiel dafür, wie von den Regionalmächten unterstützte ethnisch-konfessionelle Milizen mehrere Probleme schaffen, wenn sie eines lösen. Falls sie es lösen, denn die Befreiung der Stadt ist nicht so sicher, wie es derzeit erscheinen mag. Es ist unklar, ob der IS sich weitgehend zurückziehen und seine Kräfte nun in Syren konzentrieren oder versuchen wird, in Mossul mit eineinhalb Millionen Einwohnern als Geiseln und Schutzschild standzuhalten – in der Hoffnung, der Streit unter den Belagerern werde deren Kräfte zersplittern oder gar neutralisieren. Abwegig wäre diese Hoffnung der Jihadisten nicht.