Frauen bevorzugt

Mit der Absage der ehemaligen Vorsitzenden des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, ist die Suche nach einem Kandidaten für die Bundes­präsident­schaft in die nächste Runde gegangen. Wer die Nachfolge von Joachim Gauck antritt, bliebt ungewiss.

Jeder kennt diese Gedanken, die einen hinterrücks anfallen und zuverlässig aus dem Halbschlaf reißen. Mal geht es um existen­tielle Ängste, öfter um nicht minder quälende Alltagssorgen wie etwa die Leistungen des Lieblingsfußballvereins. In welche Kate­gorie die Vision von Margot Käßmann als Bundespräsidentin fällt, die die Autorin vor einigen Monaten aus einem Nickerchen aufschreckte, mögen andere entscheiden. Unumstritten ist hingegen, dass Deutschlands ideelle Gesamtprotestantin der Menschheit mit ihrer Aussage, nicht für eine Kandidatur zur Verfügung zu stehen, einen größeren Dienst erwiesen hat als mit ihrem gesamten bisherigen Wirken.
Nicht, dass es dadurch nun an Personal für Spekulationen mangelte, wer im kommenden Februar Joachim Gauck im Amt ablösen wird; zumal dieser Mitte Oktober selbst noch einmal daran erinnert hatte, dass man dafür nicht notwendigerweise das gleiche demographische Profil aufweisen müsse wie er und seine Vorgänger. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch Gaucks Hinweis, er könne sich auch einen Moslem, einen Angehörigen einer anderen ­Religion oder – man halte sich fest! – einen Nichtgläubigen im obersten Staatsamt vorstellen, muss in manchen Kreisen geklungen haben, als habe er soeben einen Salafistenprediger als Nachfolger vorgeschlagen. »In einem christlichen Land ein Christ zum Bundespräsident!« twitterte etwa die Junge Union anlässlich der Rede von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer von ihrem »Deutschlandtag« nicht ganz grammatik- und grundgesetzfest.
Weniger klar sind die Jobanforderungen bei der SPD formuliert, die bisher noch nicht mal weiß, ob sie sich mit den Noch- oder den Wunschkoalitionspartnern auf einen Namen einigen soll. Als Vorgabe scheint bisher nur »Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt« festzustehen, allerdings macht der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel derzeit auch offensiv Werbung für Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Wer so früh aufs Kandidatenkarussell gesetzt wird, hat jedoch erfahrungsgemäß wenig Chancen, dort tatsächlich bis zur Wahl zu verbleiben.
Für eine gemeinsame Präsidentensuche von SPD und CDU/CSU spricht, dass es in Zeiten wachsender AfD-Anhängerschaft ein Signal eines breiten politischen Konsenses wäre. Auf der anderen Seite stehen bei den Sozialdemokraten diejenigen, die sich geistig schon im rot-rot-grünen Wahlkampf befinden, während so einige in den Unionsparteien offenbar gar nichts gegen eine weitere gesellschaftliche Eskalation einzuwenden haben: etwa jene Politiker aus CSU und sächsischer CDU, die kürzlich in ihrem »Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur« Heimatliebe und Patriotismus hochleben ­ließen. Als Präsidentschaftskandidat böte sich der Mitautor Werner »Pegida-Professor« Patzelt an. Oder doch lieber Erika Steinbach?
Vielleicht aber findet sich ja auch eine massenkompatible Person des öffentlichen Lebens, mit der alle in der Bundesversammlung vertretenen Parteien außer der AfD glücklich wären. Die Kandidatenscouts könnten sich dabei ein Beispiel am Literaturnobelpreis­komitee nehmen und die bisher von Pfaffen und ehemaligen Politikern definierten Genregrenzen erweitern. Einen Bob Dylan hat Deutschland zwar nicht zu bieten, Helene Fischer ist zum Glück noch keine 40 und Udo Lindenberg nuschelt zu sehr – aber da wäre noch Herbert Grönemeyer. Und das wäre schon deshalb eine Überlegung wert, weil er dann fünf Jahre lang nicht dazu käme, neue Platten aufzunehmen.