Max Rieger über das Musikmachen

»Ich musste mich nur vor mir selbst rechtfertigen«

Max Rieger ist Sänger der Post-Punk-Band Die Nerven. Auf dem zweiten Album seines Soloprojekts All diese Gewalt zeigt er eine andere musikalische Seite.

Die Nerven werden noch immer mit der Stuttgarter Post-Punk-Szene in Verbindung gebracht, dabei leben Sie inzwischen in Leipzig. Hat die Stadt die Aufnahmen zu »Welt in Klammern« beeinflusst?
Ich habe günstig einen großen Raum in Leipzig gefunden, in dem ich ungestört laut Musik machen kann. Das Album hat lange in der Schublade ­gelegen. Aus den 160 Songs, die ich aufgenommen hatte, habe ich schließlich zehn ausgewählt. Es gab eine Vorversion, die ich an das Label geschickt habe. Aber als mir dann bewusst wurde, dass diese Platte ja wirklich von anderen Leuten gehört werden würde, habe ich erst einmal einen Rückzieher gemacht und alles nochmals überarbeitet.
Ich war mir lange Zeit sicher, dass ich der Einzige bin, der mit diesem Album etwas anfangen kann. Früher war es anders, da habe ich Musik immer einfach rausgehauen. Rückblickend waren manche Sachen dämlich.
»Welt in Klammern« wurde überschwänglich gelobt. Wie unterscheidet sich Ihre Herangehensweise als All diese Gewalt von der, die Sie mit Die Nerven pflegen?
Ich habe bereits vor der Bandgründung allein Musik gemacht. In der Band können wir die Erwartungshaltung und Unsicherheit durch drei teilen. Dafür sind die Songs auf »Welt in Klammern« näher an mir dran – es war zwar kein Dogma, aber ich habe alles selbst eingespielt und musste mich nicht vor anderen rechtfertigen, sondern nur vor mir selbst. So konnte ich in Ruhe an etwas arbeiten, dass man nicht so schnell hinrotzen kann.
Im November wird schon die nächste Veröffentlichung mit Ihrer Beteiligung erscheinen, das zweite Album der Band Karies. Was treibt Sie an?
Es hat mich nie gereizt, möglichst viel Geld mit meiner Kunst zu verdienen und ich empfinde das Musik­machen selten als Arbeit. Es ist einfach so: Ich kriege Depressionen, wenn ich mich nicht mit meiner Musik auseinandersetzen kann. Über Plattenverkäufe mache ich mir keinen Kopf, ich kaufe ja selbst kaum noch welche. Wenn mich ein Album begeistert, dann gebe ich Geld dafür aus, weil ich will, dass der Künstler etwas davon hat. Vieles finde ich aber ziemlich scheiße und will es nicht unterstützen.
Welche musikalischen Einflüsse haben Sie für Ihr zweites Soloalbum inspiriert?
Ich bevorzuge experimentelle Musik.
Am prägendsten war »The Inheritors« von James Holden. Das Album hat eine Körnigkeit, die mir sehr gefällt. Außerdem »Mutant« von Arca.
Bands aus Deutschland haben in Ihrer Musik keine Spuren hinterlassen?
Es gibt keine deutsche Band, die mich inspiriert. Dass ich deutschsprachige Texte schreibe, hat auch nichts mit den Bands der Hamburger Schule zu tun. Mit denen kann ich gar nichts anfangen. Es ist hauptsächlich auf den Einfluss meines Mitmusikers Julian zurückzuführen, dass Die Nerven häufig mit den Hamburgern in Verbindung gebracht werden. Er ist ­Tocotronic-Fan und hat mich in deren Musik eingeweiht. An »Ich-Maschine« von Blumfeld gefällt mir, wie dort mit Sprache umgegangen wird. Aber Blumfeld sind für meine Musik keine Referenz, deren Ansatz ist ein völlig anderer.
In vielen Ihrer Stücke sind Field Recordings zu hören. Was reizt Sie am Umgang mit Umgebungsgeräuschen?
Musik versteckt sich überall, man muss sie nur hören. Ich habe es mir abgewöhnt, mit Kopfhörern durch die Stadt zu laufen, damit ich den Alltagssound nicht ausblende. Ich habe auch immer ein Aufnahmegerät ­dabei, das ich mittlerweile sehr häufig benutze.
Die Herkunft der Geräusche ist oftmals unklar und man fragt sich: Was genau höre ich da gerade eigentlich?
Manche Sachen erkennt man nur, wenn man sich sehr konzentriert. Durch die Platte zieht sich Vogelgezwitscher. An anderer Stelle treffen wiederum Gesprächsfetzen aufeinander, verschwinden in der Ferne oder tauchen ab, bis der nächste Song beginnt.
Mögen die Protestsinger von einst auch kanonisiert sein und bedeutende Preise entgegennehmen, so ist noch immer häufig von Rebellion die Rede, wenn es um Musik geht. Sehen Sie sich und Ihre Texte in einer bestimmten Tradition?
Ich will auf keinen Fall ein Sprachrohr für irgendetwas sein – und ich bin auch nicht wütend. Die Nerven wurden anfangs von einer gewissen ­Unzufriedenheit angetrieben, dass andere Bands so schlechte Musik machen. Inzwischen ist es mir egal, welche Musik andere machen. Ich will meine Hörer nicht verarschen. Vielen Bands sind andere Dinge wichtig, vor allem das Geld. Sie biedern sich an, was nicht zuletzt unzeitgemäß ist, weil an die Stelle des Mainstreams viele Leerstellen und Szenen getreten sind.
Denken Sie an eine konkrete Platte?
Ich muss in diesem Zusammenhang ein paar Worte zum letzten Album von Trümmer loswerden. So sehr ich die Band schätze, ich finde dieses Album peinlich, weil es dieses Moment der Anbiederung hat. Die Platte ist dafür gemacht, dass sie den Leuten gefällt, und geht über diesen Punkt nicht hinaus. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht in dieses ­Album reinhöre, aber ich kann nicht andocken. Wir werden immer in ­einen Bottich geworfen, dabei ist dieses Album so kalkuliert und das ­Gegenteil dessen, was ich mache. Die neue Messer-Platte hingegen schätze ich sehr und empfehle sie allen. Die Band hat sich Gedanken gemacht, wie sie weitergehen kann. Ich mag es nicht, wenn jemand Schindluder mit seinem Status treibt.

All diese Gewalt: Welt in Klammern (Staatsakt)