Wer darf Kaiser’s Tengelmann aufkaufen?

Kaiser’s und der Monopolkapitalismus

Seit Jahren tobt der Übernahmestreit um die Einzelhandelskette Kaiser’s Tengelmann. Nun will Bundes­wirtschafts­minister Sigmar Gabriel den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder als Vermittler hinzuziehen. Sicher ist nur, dass die Markt­konzentration im deutschen Einzelhandel weitergehen wird.

Vor gut zwei Jahren wurde bekannt, dass Edeka die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann kaufen will. Seitdem zieht sich der Streit um die Übernahme hin. Erst war das Kartellamt dagegen und dann die Monopolkommission. Auch die Erlaubnis von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nützte nichts, denn die Mitbewerber klagten. Kurz vor Beginn der Zerschlagung der Kette begannen diese Woche neue Verhandlungen – Ausgang ungewiss. Gabriel will offenbar den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als Vermittler einsetzen.
Die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka wäre nicht das erste große Geschäft zwischen den beiden Unternehmen. Schon 2009 machten sie gute Abschlüsse miteinander. Die Filialen des Discounters Plus, der zu Tengelmann gehörte, wurden von Edeka übernommen. Danach wurden die Plus-Geschäfte in den Edeka-eigenen Discounter Netto eingegliedert. Ausländische Plus-Filialen wurden von anderen Unternehmen übernommen. Nach der Übernahme von Plus dauerte es bis zum Oktober 2014, bis das nächste große Geschäft zwischen der Tengelmann-Unternehmensgruppe und Edeka bekannt wurde: Edeka sollte die Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann übernehmen.
Allerdings dauerte es nicht lange, bis sich das Bundeskartellamt einschaltete und die Übernahme der 450 Filialen von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka verbot. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, sagte damals, der Wettbewerb sei in Gefahr. In den Regionen München, Oberbayern, im Raum Berlin und in Nordrhein-West­falen würde Edeka eine zu große Markt­macht erhalten. Deshalb drohten Preiserhöhungen, so die Kartellbehörde. Nach der Entscheidung des Kartellamts wäre die Übernahme eigentlich nicht mehr möglich gewesen – wenn nicht Bundeswirtschaftsminister Gabriel eingegriffen hätte. Er nutzte eine Sonderregelung im deutschen Wettbewerbsrecht. Per Ministererlaubnis können Entscheidungen des Bundeskartellamts ausgesetzt werden. Die Ministererlaubnis muss von den an ­einer Fusion beteiligten Unternehmen beantragt werden. In der Geschichte der Bundesrepublik geschah dies in 22 Fällen. Neunmal erteilten die jeweiligen Wirtschaftsminister eine Erlaubnis, zuletzt bei der Übernahme der Ruhrgas AG durch den Energiekonzern Eon.
Gabriel verknüpfte seine Ministererlaubnis im Fall von Kaiser’s Tengelmann mit einer Reihe von Auflagen. So sollten die Arbeitsplätze bei der Supermarktkette für mindestens fünf Jahre gesichert werden und die Filialen erhalten bleiben. Edeka versicherte, die Forderungen zu erfüllen, passte das Übernahmeangebot an, und Gabriel gab seine Ministererlaubnis. Sie führte zu politischen Verwerfungen. Daniel Zimmer, der Vorsitzende der unabhängigen Monopolkommission, die im Auftrag der Bundesregierung eine beratende Funktion in Wettbewerbs­fragen einnimmt, trat aus Protest sogar von seinem Amt zurück. In einer persönlichen Erklärung führte er aus, die Ministererlaubnis diene nicht dem Gemeinwohl. Enttäuscht schloss Zimmer seine Erklärung mit den Worten, dass ihm eine Fortführung seiner Tätigkeit »nicht sinnvoll« erscheine, wenn eine einstimmige Empfehlung der Kommission ignoriert werde. Gabriel warf er eine »äußerst problematische wirtschaftspolitische Entscheidung« vor.
Doch auch mit der Ministererlaubnis endete die Übernahmeschlacht um Kaiser’s Tengelmann nicht. Denn gegen eine Ministererlaubnis kann geklagt werden. Und von diesem Klagerecht machten der Einkaufsverbund Markant, die Discounterkette Norma und die Handelskette Rewe Gebrauch. Am 12. Juli beschloss das Oberlandesgericht Düsseldorf, Gabriels Ministererlaubnis außer Kraft zu setzen. Die Richter nannten dafür drei Gründe. Gabriel habe die Arbeitsplatzsicherung bei Kaiser’s Tengelmann trotz ihm nur unvollständig vorliegender Informationen positiv beurteilt. Außerdem habe der Minister die Arbeitnehmerrechte bei der Supermarktkette als für das Gemeinwohl von Belang beurteilt. Das aber sei falsch. Als bedeutendsten Punkt nannte das Gericht allerdings eine mögliche Befangenheit des Ministers. Gabriel habe mit den Vorständen von Kaiser’s Tengelmann und Edeka verhandelt, andere Kaufinteressenten wie Rewe hingegen außen vor gelassen. Die Nichtbeteiligung von »Verfahrensbeteiligten« habe, so das Oberlandesgericht, ein »transparentes, objektives und faires Verfahren« verunmöglicht und dafür sei Gabriel verantwortlich, der im Interesse des Arbeitsplatzerhalts versuchte, die Übernahme durch Edeka schnell zu ermöglichen. Auf den Befangenheitsvorwurf reagierte Gabriel empört und betonte immer wieder, wie wichtig der Erhalt der Arbeitsplätze sei. Der Minister sowie Edeka und Kaiser’s Tengelmann legten beim Bundesgerichtshof Beschwerde gegen das Düsseldorfer Urteil ein. Mit einer Anerkennung dieser Beschwerde schien allerdings niemand zu rechnen. Deswegen begannen Mitte September neue Verhandlungen um die Supermarktkette.
Auf Initiative der Gewerkschaft Verdi setzten sich die Konzernleitungen von Kaiser’s Tengelmann, Edeka, Rewe, Markant und Norma an einen Tisch. Tengelmann-Inhaber Karl-Erivan Haub warnte, man müsse zu schnellen Entscheidungen kommen, andernfalls werde er damit beginnen, die Geschäfte einzeln zu verkaufen. Alain Caparros, der Vorstandsvorsitzende von Rewe, zeigte sich optimistisch. Sein Ziel sei eine »faire Aufteilung« von Kaiser’s Tengelmann. Dann könne man auch »Arbeitsplätze, Tarifverträge und Mitbestimmung für die Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann sichern«.
Dazu kam es nicht. Ein Angebot von Rewe, Kaiser’s Tengelmann zu übernehmen und die Arbeitsplätze zu erhalten, lehnte Haub ab. Ein solches ­Angebot werde erneut zu kartellrechtlichen Schwierigkeiten führen, das wolle er nicht. Der Streit um die Übernahme wirkte oft wie eine persönliche Fehde zwischen Caparros und Haub. Wichtiger sind allerdings die hand­festen wirtschaftlichen Interessen, die beide verfolgen.
Für Haub geht es darum, einen Verlustbringer loszuwerden. Seit Jahren steckt Kaiser’s Tengelmann in einer wirtschaftlichen Misere. Im laufenden Jahr rechnet die Kette mit Verlusten von 90 Millionen Euro. Für das kommende Jahr wird ein noch höherer ­Verlust prognostiziert. Dieses Problem ist zweifellos hausgemacht. Viele Filialen von Kaiser’s Tengelmann sind klein. Es mangelt oft an Parkplätzen, auch ist ein Ausbau zu modernen Großsupermärkten mit eigenem Café und großer Produktvielfalt ausgeblieben. Schon über Jahre hat Kaiser’s Tengelmann sein Filialnetz ausgedünnt. Ende der neunziger Jahre verfügte das Unternehmen noch über 1 300 Läden. Ein damals erwägter Verkauf an Edeka scheiterte, da der Konkurrent nur die profitablen Filialen übernehmen wollte. Über die Jahre trennte sich Kaiser’s Tengelmann dann von fast 1 000 Läden. Viele wurden geschlossen oder an ­andere Ketten verkauft. Mit der Verkleinerung bekam Kaiser’s Tengelmann allerdings auch neue Probleme. Die Kette konnte nur noch verhältnismäßig kleine Warenmengen abnehmen und musste deshalb bei den Lieferanten höhere Preise zahlen.
Diese Entscheidungen und ihre Folgen sind eng mit Karl-Erivan Haub verbunden. Im Jahr 2000 übernahm er die Europa-Geschäfte der Tengelmann-Holding von seinem Vater Erivan Haub. Sein Bruder Christian leitet die Geschäfte in den USA. Der Vater hatte Tengelmann zu einer der größten Ketten in Deutschland aufgebaut und war, zum Beispiel in den Bereichen Ökologie und Tierschutz, ein Vorreiter. Mitte der achtziger Jahre verbannte Tengelmann Froschschenkel und Schildkrötensuppe aus dem Sortiment, auch bei anderen Waren legte Haub Wert auf ihre Umweltverträglichkeit.
Sohn Karl-Erivan Haub setzt dagegen seit Jahren auf den Online-Handel. Tengelmann stieg früh bei Zalando, Westwing und Babymarkt.de ein. Außerdem ist der Konzern Mehrheitseigentümer der Baumarktkette Obi und des Textildiscounters Kik. Die Familie Haub steht mit einem Vermögen von 2,6 Milliarden Euro auf Platz 48 der Forbes-Liste der reichsten Deutschen. International steht sie auf Platz 596. Den Verlustbringer Kaiser’s Tengelmann möchte Karl-Erivan Haub schnell loswerden. Am liebsten unkompliziert – an Edeka.
Dafür, dass das möglicherweise nichts wird, trägt nach Auffassung von Kaiser’s Tengelmann und Edeka der Rewe-Vorstandsvorsitzende Caparros die Hauptverantwortung. In der Tat zieht der alle Register. Kurz vor der Ministererlaubnis schaltete Rewe Anzeigen in verschiedenen Zeitungen und wandte sich dabei an die »Freunde des Handels«. Caparros behauptete, dass die Ministererlaubnis dem Wettbewerb schade, und wandte sich mit einem Übernahmeangebot an Haub. Fast täglich äußert sich Rewe mit Pressemitteilungen zu einer möglichen Übernahme von Kaiser’s Tengelmann. Dabei inszeniert sich Caparros als fairer Kaufmann und Retter von Arbeitsplätzen. Dabei geht es selbstverständlich auch ihm ums Geschäft. Die Rewe-Gruppe steht im Lebensmitteleinzelhandel klar auf dem zweiten Platz. Edeka führt mit einem Umsatz von über 50 Milliarden Euro. Rewe rangiert mit 37 Milliarden Euro deutlich dahinter, gefolgt von der Schwarz-Gruppe, die die Lidl- und Kaufland-Märkte betreibt. Für Caparros geht es beim Kampf um die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann also darum, den Abstand zu Edeka zu verringern und den zur Schwarz-Gruppe zu vergrößern. Caparros sagt dies in Interviews auch offen: Edeka bekomme schon bessere Einkaufspreise und er fürchte einen noch größeren Unterschied, wenn Edeka die 450 Filialen von Kaiser’s Tengelmann zufallen sollten.
Dass sich Caparros für den Wettbewerb ausspricht, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich gehört auch Rewe zu den Konzernen, die die Marktkonzentration im Lebensmitteleinzelhandel entscheidend vorangetrieben haben. In den vergangenen 25 Jahren teilte sich der Markt immer stärker auf die großen Fünf auf: Edeka, Rewe, Schwarz, Aldi und Metro mit der Kette Real. Schwarz und Aldi setzten vor allem auf neue Filialen auf der sogenannten grünen Wiese und bauten damit ihre Stellung im Discounterbereich aus. Die anderen Konzerne bauten ebenfalls neu, übernahmen aber auch diverse kleine oder regionale Ketten, wobei einige regionale Supermärkte auch unter neuem Eigentümer noch unter ihren Traditionsnamen firmieren.
Nun geht es um die Reste von Kaiser’s Tengelmann. Nachdem alle runden ­Tische gescheitert waren, verkündete Haub am 13. Oktober, dass er mit dem Verkauf beginnen werde. Schnell tauchte eine »geheime Liste« mit 100 Supermärkten in Nordrhein-Westfalen auf, die zum Verkauf stünden. Käufer sind allerdings noch nicht gefunden. Dafür wurde erneut hinter verschlossenen Türen verhandelt. Kaiser’s Tengelmann und Edeka erreichten wichtige Fortschritte: Nacheinander zogen Norma und Markant ihren Widerspruch gegen die Ministererlaubnis zurück. Dafür dürfte Norma mit Geld und einigen Filialen entschädigt werden. In welcher Form der Einkaufsverbund Markant entschädigt wird, ist noch nicht bekannt geworden. Der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann steht also nur noch Rewe im Weg. Das räumte Caparros auch öffentlich ein. Eine Entschä­digung mit Geld sei für ihn ausgeschlossen. Er präferiere eine Aufteilung von Kaiser’s Tengelmann.
Den drei verbliebenen Parteien bleiben nun noch drei Szenarien. Haub könnte ernst machen und wirklich beginnen, die Geschäfte einzeln zu veräußern. Das würde wahrscheinlich Tausende Arbeitsplätze kosten. Die zweite Option ist, dass man sich auf eine Aufteilung einigt. Sie birgt aber die Gefahr einer erneuten kartellrechtlichen Prüfung. Das könnte Monate dauern, was nicht im Interesse Haubs ist. Die dritte und langwierigste Option wäre es, tatsächlich gerichtlich über die Ministererlaubnis verhandeln zu lassen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat für den 16. November einen Verhandlungstermin anberaumt. Der Ausgang eines solchen Verfahrens ist unklar. Vermutlich würde das Gericht allerdings gegen die Ministererlaubnis entscheiden. Dann stünde wieder der Einzelverkauf der Supermärkte auf der Tagesordnung. Sicher ist nur, dass die Marktkonzentration im Einzelhandel weiter zunehmen wird.