Montenegros Demokratie bleibt defizitär

Smells like Erdogan Spirit

In Montenegro kam es noch nie zu einem demokratischen Macht­wechsel. Wegen eines vermeintlichen Putschversuchs bei den Wahlen vor knapp zwei Wochen bleibt das auch so.

In Montenegro wird eine Lektion des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erodğan angewandt: Wenn ein Putsch schiefgeht, dann ist das gut für die amtierende Regierung. Bei den Wahlen am 16. Oktober wurden 20 bewaffnete Serben an der Grenze zwischen Serbien und Montenegro festgenommen, die geplant haben sollen, Ministerpräsident Milo Đjukanović zu kidnappen, die Kontrolle über das Parlament zu ergreifen und den »Sieg gewisser Parteien« zu verkünden.
Gemeint ist wohl die prorussische und proserbische Demokratische Front (DF). Als Anführer der mutmaßlichen Putschisten wurde Medienberichten zufolge der frühere serbische Gendarmeriegeneral Bratislav Dikić identifiziert, der sich in einem Veteranenverband engagiert und öffentlich gegen den Beitritt Montenegros zur Nato ausgesprochen hat. Dikić begann nach seiner Festnahme einen Hungerstreik, den er solange fortsetzen will, bis seine Unschuld bewiesen ist. Das Innenministerium rief die Bürger des Landes auf, nach den Wahlen zu Hause zu bleiben.
Es gibt aber berechtigte Zweifel an der offiziellen Version der montenegrinischen Regierung. Viele glauben, der Putsch sei das Machwerk von Beba Popović, dem Spin Doctor des Machthabers Đjukanović. Ein Regierungskritiker twitterte: »Smells like Erdoğan Spirit.« Die serbische Boulevardzeitung Blic behauptet, Dikić habe für seinen Einsatz möglicherweise 100 000 Euro erhalten. Das Ziel sei es gewesen, möglichst vielen Menschen Angst vor den serbischen Nachbarn einzuflößen, um sie an die Urnen und dazu zu bringen, für Đjukanović zu stimmen. In einem Land, in dem es so schlecht um Pressefreiheit und unabhängige Justiz steht wie in Montenegro, lässt sich schwer nachvollziehen, welche Version die glaubwürdigere ist.
Der proserbische DF-Vorsitzende Andrija Mandić jedenfalls bezeichnete die Erklärung der Polizei als »billige Propaganda«. Serbiens Ministerpräsident Alexander Vučić zeigte sich überrascht, »dass dies heute geschieht«, und sagte, es sei besser, dass »ich mir dreimal auf die Zunge beiße und schweige«.
Die Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro sind seit Jahren angespannt. Montenegro erklärte sich nach einem knappen Referendum im Jahr 2006 für unabhängig und löste sich damit aus dem gemeinsamen Staat mit Serbien. Außerdem hat Monte­negro die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt, das von Serbien weiterhin als Teil des eigenen Staatsgebiets angesehen wird. Ein Teil der Bevölkerung in Montenegro lehnt den Nato-Beitritt des Landes, der bald anstehen soll, vehement ab. Vor allem die proserbischen Kräfte wollen keinen Beitritt zu dem Militärbündnis, das sie 1999 noch bombardierte. Die Wahlen wurden von vielen als ein Referendum über den Beitritt zur Nato gesehen.
Viele deutschsprachige Medien titelten schlicht mit der Agenturmeldung »Proeuropäisches Bündnis hat gewonnen«. Von ihnen wird Montenegro als Land zwischen den Fronten betrachtet, als Schlachtfeld zwischen Russland und dem Westen. Dabei besteht in Montenegro gar nicht die reale Gefahr, dass das Land sich nach Russland ori­entiert. Obwohl russische Touristen und Investoren überlebenswichtig für die Wirtschaft sind, trägt Montenegro die Sanktionen gegen Russland mit. Trotz Wahlkampfhilfe aus Russland kommt die DF auf gerade einmal 20 Prozent der Stimmen. Montenegro ist von allen Beitrittskandidaten am weitesten fortgeschritten bei den Verhandlungen mit der EU.
Die Angst vor russischem Einfluss lässt die EU und die Nato verstummen, wenn es um Demokratiedefizite und organisierte Kriminalität geht. Davon profitiert Đjukanović. Flo­rian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropaforschung in Graz, kritisiert das Schweigen der EU. Im Gespräch mit der Jungle World sagt er: »In Montenegro wird die EU von vielen daher als Komplize eines autoritären Herrschers und nicht als Reformmotor gesehen. Die EU droht es sich mit den eigentlich proeuropäischen Kräften im Land zu verscherzen.«
Am Wahltag stellten viele Montenegriner fest, dass Messenger-Dienste wie Whatsapp und Viber nicht mehr funktionierten. Sie wurden blockiert – auf Anordnung der Behörden, die sich unter der Kontrolle der amtierenden Regierung befinden. Auch die Website des größten Oppositionsmediums ­Vijesti war zeitweise nicht zu erreichen.
Die Wahlbeteiligung war mit 73,2 Prozent für südosteuropäische Verhältnisse verdächtig hoch. Ob Staatsdiener in Montenegro wählen gingen, kontrollierten Personen vor den Wahllokalen, wie die Wahlbeobachter der Nichtregierungsorganisation CDT berichten. Das Kreuz sollten sie selbstverständlich bei der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) des amtierenden ­Ministerpräsidenten Đjukanović machen. Darüber hinaus berichtet die CDT über Stimmenkauf vor den Wahllokalen. Die NGO Mans hat viele Menschen auf den Wählerlisten ausfindig gemacht, die längst verstorben sind. Darüber hinaus waren verschiedene eingetragene Wähler mit denselben Fingerabdrücken registriert. Es deutet viel darauf hin, dass manche zwei Stimmen für die DPS abgegeben haben.
Der Oppositionspolitiker Nedeljko Rudović von der Partei Ključ (Schlüssel) sagte zum Wahlausgang: »Auf uns wurden Attacken unternommen und starker Druck ausgeübt. Diese Wahl kann nie und nimmer als frei und fair bezeichnet werden.« Die Beobachter der OSZE scheinen an diesem Tag allerdings die Wahlen in einem anderen Land verfolgt zu haben. Ihnen zufolge ist die montenegrische Wahl im Großen und Ganzen im Einklang mit den internationalen Normen verlaufen.
Trotz aller Unregelmäßigkeiten erhielt die DPS nur 36 der 81 Mandate im montenegrinischen Parlament. Mit Koalitionspartnern dürfte es für weitere vier Regierungsjahre reichen. Die DPS ist die Nachfolgepartei des Bundes der Kommunisten Montenegros, der somit die Macht nie verloren hat. Es kam in Montenegro noch nie zu einem Regierungswechsel durch demokratische Wahlen. Obwohl es viele Parteien gibt, die sich nominell als »Sozialisten« oder »Sozialdemokraten« bezeichnen, fehlt eine emanzipatorische linke Alternative. Đjukanović regiert seit 1991 abwechselnd als Ministerpräsident oder Präsident. Dieses Wechselspiel ist noch eine Gemeinsamkeit mit dem Kollegen in Ankara.