Die Repression in der Türkei geht weiter

Feuern aus dem Glashaus

In der Türkei geht die Repression gegen Oppositionelle weiter. Die türkische Regierung wirft aber lieber den anderen Terrorismus vor.

Fast noch schlimmer als die derzeitigen Ereignisse in der Türkei ist die Kontrolle über die Nachrichten. Zusammenhänge werden gekonnt verschleiert und das Bild bleibt diffus. In der Türkei geht alles drunter und drüber? Ein völlig falsches Bild. Die Ausschaltung der medialen und politischen Opposition folgt einer genau geplanten Strategie.
Ein Beispiel dafür ist die Verhaftung der Parteiführung der prokurdischen Volkspartei für Demokratie (HDP). Die Politiker wurden am Freitag vergangener Woche wegen ausstehender Aussagen in gegen sie laufenden Ermittlungen festgenommen. Alle werden beschuldigt, Unterstützer der PKK zu sein. Da diese Anschuldigungen sich nur auf Reden und Äußerungen, nicht aber auf konkrete nachgewiesene Verbindungen beziehen, fasste die HDP den Mehrheitsbeschluss, den Aufforderungen der Staatsanwaltschaft nicht zu folgen, sich zu den Vorwürfen zu äußern, weil die Prozesse politisch motiviert seien. Die Festnahmen und die Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft entsprechen daher durchaus der allgemeinen türkischen Rechtspraxis. Dass die Politiker aber mitten in der Nacht aus ihren Wohnungen abgeholt wurden, gehört seit dem Militärputsch zu den üblichen Schikanen gegen Oppositionelle. Die weiteren Ereignisse folgen einer perfiden Choreographie des Terrors, die das Land seit 2015 in Angst und Schrecken hält.
Nach der Explosion eines Minibusses voller Sprengstoff vor einem Polizeigebäude in der südostanatolischen Stadt Diyarbakır am Samstagmorgen, in dem sich die festgenommenen Politiker der HDP befanden, meldete die Agentur Reuters, es gebe ein Bekennerschreiben des »Islamischen Staats« (IS). Fotos zeigen einen ganzen Wohnblock, der nach der Explosion aussieht wie ein Rohbau. Wäre der Minibus vor dem Anschlag nicht fast mit einem Taxi kollidiert und aufgehalten worden, hätte die Bombe das Hauptgebäude verheerend zerstört. So starben »nur« acht Menschen.
Die türkische Regierung behauptete nach dem Anschlag, die PKK stecke dahinter. Ein absurder Vorwurf, denn welches Interesse hätte die PKK daran, ein Polizeigebäude im von Kurden aus der ­eigenen Bewegung bewohnten Stadtteil Bağlar in die Luft zu sprengen und dabei die wichtigsten prokurdischen Politiker zu töten?
Der Vorsitzende der Republikanischen Volkspartei (CHP) bezeichnete die Festnahmen am Sonntag als verfassungswidrig. Die Hintergründe des Anschlags bleiben bislang ungeklärt. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu erhielt angeblich am Sonntag ein Bekennerschreiben der »Freiheitsfalken Kurdistans« (TAK), einer höchst undurchschaubaren Organisation, von der die PKK sich nach mehreren furchtbaren Anschlägen gegen die Zivilbevölkerung bereits seit längerem distanziert.
Die türkische Regierung wird immer aggressiver in ihren Beschuldigungen anderer. Vergangene Woche bezeichnete Präsident Recep Tayyip Erdoğan nach der Kritik Angela Merkels an der Verhaftung von neun Journalisten der Zeitung Cumhuriyet Deutschland als Terrorunterstützer und sagte eine düstere Zukunft mit Terroranschlägen in Europa voraus – an Dreistigkeit kaum zu überbieten. Der ehemalige Chefredakteur von Cumhuriyet, Can Dündar, wird wegen eines selbst von der türkischen Regierung nicht dementierten Berichts über Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien angeklagt. Immer wieder bewegen sich Attentäter von dort ungestört in der Türkei und über die Grenzen hinweg, um weltweit Bomben zu zünden. Die Türkei ist derzeit ein zentraler Beschleuniger des Terrorismus, international müsste das schon lange viel deutlichere Konsequenzen haben.