Drei afrikanische Staaten verlassen den Internationalen Strafgerichtshof

Klagen über die Richter

Gambia, Burundi und Südafrika wollen den Internationalen Straf­gerichtshof nicht mehr unterstützen. Der Rückzug der afrikanischen Staaten schwächt den Gerichtshof, statt um Kritik an dessen Rolle geht es ihren Regierungen um ihren eigenen Vorteil.

Die Aufregung unter Völkerstrafrechtlern ist groß und auch weitere interessierte Kreise haben den Blick wieder einmal auf den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gerichtet, der zuletzt Schlagzeilen machte, als der Islamist Ahmad al-Faqi al-Mahdi wegen der Zerstörung von Unesco-Weltkulturerbe in Mali zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Zurzeit steht der Strafgerichtshof selbst am Pranger: Innerhalb weniger Wochen haben sich drei afrikanische Staaten – Gambia, Burundi und Südafrika – entschieden, die Gruppe der Staaten zu verlassen, die den Internationalen Strafgerichtshof trägt.
Dabei handelt es sich um einen durch schriftliche Notifikation bekundeten Rücktritt vom Statut des IStGH nach Artikel 127, der frühestens ein Jahr nach der Bekanntgabe wirksam werden kann. Verschärft werden der Konflikt und die Lage des sogenannten Weltstrafgerichts noch durch die zugespitzt formulierte Begründung, die der gambische Informationsminister Sheriff Bojang für den Rücktritt seines seit 1965 unabhängigen Landes, das etwa so viel Einwohner wie Hamburg zählt, gefunden hat: Der Internatio­nale Strafgerichtshof handele wie »ein Internationales Strafgericht weißer Kaukasier zur Anklage und Aburteilung von Farbigen, vor allem von Afrikanern«. Die Kriegsverbrechen westlicher weißer Politiker blieben hingegen unbeachtet.
Gambias Präsident Yahya Jammeh hatte vom IStGH gefordert, Ermittlungen gegen die EU wegen des Todes tausender afrikanischer Flüchtlinge im Mittelmeer aufzunehmen. Die Kritik an einer angeblich postkolonialen Haltung des Gerichts ist nicht neu – aber so scharf formuliert wurde sie noch nicht. Tatsächlich richten sich neun der zehn Strafverfahren, in denen es bisher zur Anklage vor dem Internationalen Strafgericht gekommen ist, gegen afrikanische Politiker und Warlords. Das zehnte, im Januar eröffnete Verfahren hat den bewaffneten Konflikt von Juli bis Oktober 2008 in Georgien zum Gegenstand. Auch die elf derzeit laufenden Ermittlungsverfahren – einige davon seit vielen Jahren anhängig – beziehen mehrheitlich andere Konfliktregionen ein: Afghanistan, Irak, sogar die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästinensern werden auf deren Initiative vom Gericht untersucht.
Auch die Richter und Anklägerinnen sind nicht mehrheitlich weiß. Dem Gericht stehen bemerkenswerterweise drei Frauen vor: Die Präsidentin ist Argentinierin, die Vizepräsidentinnen kommen aus Kenia und Japan. Auch die Anklagebehörde wird seit vier ­Jahren von eine Juristin geleitet, nämlich Fatou Bensouda, die aus Gambia stammt – was dem Rückzug des kleinsten westafrikanischen Landes, das sich mittlerweile als islamischer Staat versteht, eine zusätzliche besondere Note verleiht. 34 der 54 afrikanischen Staaten haben das IStGH-Statut ratifiziert, sie bilden damit die größte Gruppe in der Versammlung der Vertragstaaten und sind nach einiger Lobbyarbeit derzeit im Gericht auch angemessen vertreten.
Dennoch ist die Lage des Weltstrafgerichtshofes, der sich auf das Vorbild der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse beruft, wieder kritisch geworden. Zwar kann sich der IStGH, dessen Statut von 124 Staaten ratifiziert wurde, auf eine solide internationale Basis stützen. China, Russland und die USA sind ihm aber nicht beigetreten, auch die arabischen Staaten fehlen – mit Ausnahme von Jordanien. Damit fehlen dem IStGH wichtige Ressourcen. Er hat aber auch mit Problemen zu kämpfen, was die Zuweisung von Fällen angeht, die entweder durch die Vertragstaaten selbst erfolgen kann oder durch den UN-Sicherheitsrat, in dem die drei größten Nichtvertragstaaten ein Vetorecht haben. Wenn sich in dieser Situation immer mehr afrikanische Staaten aus dem IStGH zurückziehen, wird das dessen internationale Legitimation langfristig schädigen. Es wird aber auch die Übernahme weiterer ­Fälle spürbar erschweren.
Aufschlussreich ist der Zusammenhang, in dem die drei Staaten ihren Entschluss gefasst haben, sich aus dem IStGH zurückzuziehen. Burundis Prä­sident Pierre Nkurunziza unterzeichnete das Gesetz zum Austritt wenige Monate, nachdem der IStGH Vorermittlungen wegen des Todes von 430 Menschen im Zuge der Kampagne für die Wiederwahl Nkurunzizas aufgenommen hatte. Weitere 3 400 Menschen sollen in dem Wahlkampf verhaftet worden sein, 230 000 Menschen mussten in Nachbarstaaten fliehen. Kurz vor der Wahl hatte es einen Militärputsch gegeben, der nach zwei Tagen scheiterte. Auch der Austritt Südafrikas hat einen konkreten Anlass: Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir, der vom IStGH wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen in Darfur mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, hatte 2015 Südafrika besucht. Als Unterzeichner des Rom-Statuts zur Einrichtung des Gerichtshofs hätte Südafrika al-Bashir verhaften lassen müssen, auch ein süd­afrikanisches Gericht hatte der Regierung erfolglos untersagt, ihn ausreisen zu lassen.
Die Reaktionen auf den Austritt der drei Staaten fallen sehr unterschiedlich aus. Ehemalige Richter und Ankläger des IStGH warnen davor, dass weitere Staaten folgen könnten und das als Freibrief für Völkermord und Kriegsverbrechen in den betroffenen Ländern verstanden werden könnte. Auch andere afrikanische Staaten, insbesondere das bevölkerungsreiche Nigeria, der Senegal, der als erster Staat das IStGH-Statut ratifizierte, und Tansania, haben die herausragende Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofs bei der Prävention und Bekämpfung von Völkermord und schlimmsten Kriegsverbrechen hervorgehoben. Andere afrikanische Staaten wie Kenia und Uganda haben angekündigt, ebenfalls einen Austritt aus dem IStGH zu prüfen, und wollen auf der nächsten Sitzung der Afrikanischen Union darüber debattieren.
Der Ausgang der Auseinandersetzung ist offen. Die Unterstützung der afrikanischen Staaten war in den neunziger Jahren ein wesentlicher Grund für den Erfolg der Idee eines Weltstrafgerichtshofs. Deswegen ist die schwindende Unterstützung der Staaten dieses Kontinents ein schwerer Rückschlag, zumal es dem IStGH nicht gelungen ist, neue engagierte Unterstützer zu finden. Auch die Verfahren und Urteile, die in Den Haag bislang gesprochen wurden, konnten das Völkerstrafrecht nicht fest in der internationalen Politik etablieren. Dass die Ausgangsbedingungen schwierig waren und schwierig geblieben sind, weil internationales Strafrecht zwingend ein hochpolitisches Recht ist, erklärt die Entwicklung zwar, ändert an den Abläufen und Folgen aber nichts, genauso wenig wie die Erkenntnis, dass die ­Regierungen der Staaten, die den IStGH verlassen, nicht an der Idee der Welt­gerechtigkeit, sondern an ihrem eigenen politischen Vorteil interessiert sind. Erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit der eher pragmatischen Frage, ob das Strafrecht zur Entschärfung internationaler politischer Konflikte beiträgt oder ob es sich – wofür manches spricht – dafür als wenig tauglich erwiesen hat.