Ein Gespräch mit Tuvia Tenenbom, Autor und Regisseur

»Amerika ist gescheitert«

Der israelisch-amerikanische Autor und Regisseur Tuvia Tenenbom veröffentlichte kürzlich sein drittes Buch »Allein unter Amerikanern«. Nach »Allein unter Deutschen« und »Allein unter Juden« unternahm er eine Entdeckungsreise in die Vereinigten Staaten. Obwohl Tenenbom seit über drei Jahrzehnten in New York lebt, ist er erschüttert über das Bild, das sich ihm offenbarte. Die »Jungle World« sprach mit ihm über Donald Trump, das korrupte demokratische Establishment und die Kunst, liberal zu sein.

Donald Trump wird der nächste US-amerikanische Präsident. Sind sie überrascht?
Das Amerika, das ich bei meinen Recherchen vorfand, kannte ich so noch nicht. Nun, da meine Reise hinter mir liegt, überrascht es mich kein bisschen. Die US-Amerikaner, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, waren überwiegend rassistisch, kaltherzig, hasserfüllt und ignorant. Wie in Europa, so nimmt auch in den USA der Antisemitismus immer erschreckendere Ausmaße an. Es ist unmöglich, sich auf den Straßen zu bewegen, ohne mit Judenhass konfrontiert zu werden. Ursprünglich wollte ich eine Lobpreisung auf die Amerikaner schreiben, auch weil ich selbst vor vielen Jahren nach Amerika kam und diesem Land viel zu verdanken habe – doch nach all dem, was ich gesehen habe, ging das nicht mehr. Ich liebe dieses Land. Ich musste allerdings feststellen, dass ich es mir in meiner New Yorker bubble gemütlich eingerichtet und das wahre Amerika noch nie zu sehen bekommen hatte. In Europa heißt es immer: Die Rednecks sind die Rassisten. Nein, die Liberals sind es ebenso. Sehen wir uns nur die Reden von Hillary Clinton an. Die Republikaner waren zumindest ehrlich genug, um zuzugeben, dass sie sich nie besonders für die Schwarzen interessierten: »Wenn dich ein Cop erschießt, bist du eben tot. Das ist Amerika. Pech gehabt.« Die Demokraten behaupten allerdings, dass sie sich für die Rechte der Schwarzen einsetzen. Schauen sie sich nur die schwarzen Ghettos an. Haben die Demokraten sich jemals dafür eingesetzt, dass es diesen Menschen besser geht? Kein bisschen. Die wollen doch, dass die Schwarzen arm bleiben. Es ist diese Heuchelei der Liberalen, die mich besonders anwidert. Meine politischen Ansichten selbst haben sich nicht verändert, bloß meine Sicht auf die amerikanische Realität: Amerika ist gescheitert.
Haben die wachsende Armut und der sinkende Lebensstandard den Sieg der Republikaner begünstigt?
Man könnte durchaus von einer »revolt of the poor« sprechen. Das erste Mal in der Geschichte der USA stand mit Donald Trump ein Kandidat zur Wahl, der rassistische Äußerungen von sich gab und all den Rassisten ein Sprachrohr war. Er lieferte einen Tabubruch nach dem anderen. Hat es die Leute gestört? Nein. Man war dankbar, dass das Diktat der Political Correctness durchbrochen wurde. Besonders in New York hat dieser Irrsinn dazu geführt, dass alles furchtbar berechenbar und harmlos geworden ist. Schwarze heißen dort »Afroamerikaner«, Europäer »Kaukasier« und Obdachlose nennt man »anders Ausgestattete«. Alle müssen sich andauernd lieb haben. Und dann kommt einer, der endlich mal sagt: »Ich habe nicht alle lieb.« Es geht also um zwei Dinge. Einerseits gibt es die Revolte von denen, die sich durch die Regierung im Stich gelassen fühlen, andererseits die Leute, die dankbar dafür sind, dass sie endlich wieder sagen dürfen, was sie wirklich denken.
In New York fanden bereits mehrere Demonstrationen gegen Donald Trump statt. Was bedeutet sein Wahlsieg für die gesellschaftliche Lage?
New York ist nicht repräsentativ für die USA, weil ihn dort kaum jemand gewählt hat. Die Demonstrationen sind ein ideales Beispiel für die Falschheit der Liberalen. Als Liberaler müsste man sich per definitionem dem demokra­tischen Willen der Mehrheit beugen. Stattdessen hüpft man durch die Straßen und schreit kindisches Zeug. Es ist diese liberale Überheblichkeit, die glaubt, sich das Recht herausnehmen zu können, über die gesamten USA bestimmen zu dürfen. Wie können die sich Demokraten nennen, aber gleichzeitig gegen den demokratisch gewählten Präsidenten auf die Straße gehen? Donald Trump hat gewonnen. Das ist die Realität. Get over it. Ich würde sogar behaupten, dass diese liberalen »Spontandemonstrationen« inszeniert sind. Dieses Theater wird so lange weitergehen, bis George Soros das Geld ausgeht oder der Winter zu eisig ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin selbst ein Liberaler. Angesichts liberal dominierter US-Universitäten wie in Berkeley, die ich im Rahmen meiner Reise ebenfalls besucht habe, an denen zwar alles politisch korrekt ist, aber jüdische Studenten aus Angst vor Exkommunikation davor zurückschrecken, sich zu Israel zu bekennen, ist es allerdings eine verdammte Kunst, li­beral zu sein. Doch die Mehrheit derjenigen, die sich heute Liberale nennen, sind Betrüger. Liberalismus ist das Gegenteil von Political Correctness.
Antisemiten wie David Duke, die Alt-Right-Bewegung oder Breitbart-News haben Trump unterstützt. Wie wird sich das auf das Verhältnis der USA zu Israel auswirken?
Der Grund für die Unterstützung dieser Gruppen liegt eher im Hass auf ­Latinos begründet – nicht im Antisemitismus. Donald Trumps Tochter ist mit einem Juden verheiratet. Sie ist ebenfalls zum Judentum konvertiert. Seine Enkelkinder werden dementsprechend jüdisch sein. Seine anderen Kinder sind, soweit ich informiert bin, ebenfalls dabei, Juden zu heiraten. Ist Trump wirklich die ideale Projektionsfläche für Antisemiten? Wenn ja, wünsche ich mir, dass alle antisemitischen Familien baldigst so aussehen werden. Donald Trump kann sowohl der beste Freund als auch der größte Feind Israels werden. Letztlich wird es von seinen Beratern abhängen – oder davon, ob er letzte Nacht schlecht geschlafen hat.
Der deutsche SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte den Wahlsieg Trumps einen »Rückfall in alte, schlechte Zeiten« und Trump selbst den Vorreiter einer »neuen autoritären Internationalen«. Ist das Antiamerikanismus oder eine legitime Kritik?
Einst war Trump Demokrat, dann Republikaner. Zwischendurch überlegte er, als unabhängiger Kandidat anzutreten. Niemand weiß, was er machen wird. Vermutlich nicht einmal Trump selbst. Das ist es, was ihn von Hillary Clinton unterscheidet. Trump ist ein Entertainer, ein Immobilientyp, ein Geschäftsmann. Clinton ist Anwältin. Er weiß, wie man Sachen verkauft. Sie weiß, wie man Ausreden findet. All das, was Trump während des Wahlkampfs von sich gegeben hat, ist fürs Erste vollkommen egal. Hat er sich wie ein Rassist benommen? Check. Hat er Investigativreporter gespielt? Check. Wichtig ist zu sehen, dass die Leute den Trump wählten, den sie gesehen haben: den pompösen, hasserfüllten Wutbürger.
Ich habe mich kürzlich mit einem deutschen Medienvertreter unterhalten, der behauptete, dass Donald Trump der Meinungsfreiheit ein Ende setzen würde. Trump alleine kann das gar nicht. Er benötigt dafür die Zustimmung beider Kammern und drei Viertel aller US-Bundesstaaten. Als ich also verständlicherweise kritische Nachfragen stellte, brach er das Gespräch ab und stürmte wutentbrannt davon. Wenn Sigmar Gabriel nun den Untergang der freien Meinungsäußerung durch Trumps Wahlerfolg kommen sieht, dann lässt er einmal mehr seiner typisch deutschen Heuchelei freien Lauf. Und wenn Guy Verhofstadt, der ehemalige Premierminister Belgiens, nun glaubt, in Trumps Sieg den endgültigen Weckruf für Europa entdecken zu können, dann sollte er sich schleunigst an einen Therapeuten wenden. Europa sollte erstmals aus dem eigenen Alptraum erwachen, bevor es sich als hochnäsiger Berater für die Probleme der USA empfiehlt.
In ihrem Buch finden sie dennoch ungewohnt scharfe Worte für den ­Zustand der USA.
Dieses Buch kann alle vor den Kopf stoßen: Rechte, Linke, Amerikaner, Europäer, Juden und Muslime. Das liegt daran, dass es auf Fakten basiert und nicht auf ideologischen Prämissen. Mein Leben lang dachte ich, dass es zumindest eine Nation gäbe, die sich von allen anderen unterscheidet: die Vereinigten Staaten von Amerika. Ich wurde bitter enttäuscht. Mein Buch ist keine Anklage und kein Pamphlet. Die USA rühmen sich, das Land der Freien und Tapferen zu sein. Dieser Idealzustand gehört längst der Geschichte an. Der europäische Antisemitismus schwappt immer mehr in die Vereinigten Staaten hinüber. Das politische System ist korrupt und funktioniert nicht mehr. In nächsten vier Jahren wird sich zeigen, wie resistent die amerikanische Demokratie tatsächlich ist. Kann sich die Menschheit auf die USA verlassen? Ich würde es nicht tun.