Abwehr der Zukunft. Die Wahl Donald Trumps und die Angst vor dem Globalismus

Bye-bye, Westen

Warum es Zeit ist, dem Westen Lebewohl zu sagen und den Kampf für den Globalismus aufzunehmen.
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Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. titelte am Tag nach Donald Trumps Wahlsieg: »Die Nacht, in der der Westen starb« Das ist pathetisch und falsch. Falsch aber nicht hinsichtlich der Feststellung des Exitus, sondern hinsichtlich des Todeszeitpunkts. »Der Westen« starb bereits 1989, gemeinsam mit »dem Osten«. Aber erst jetzt scheint sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Erde eine Kugel ist und Washington von zum Beispiel China aus betrachtet im Osten liegt und Moskau im Westen. Das ist ganz einfache Geographie.
Das Gespräch vom »Westen« ergab nach dem Ende des »Ost-West-Konflikts« nur noch Sinn als Bezeichnung einer Wertegemeinschaft, die in Wirklichkeit gar nicht existierte. Die Werte »des Westens«, welche sind das? Christentum wird da gerne genannt – gibt es aber auch in Russland, auf den Philippinen und in weiten Teilen Afrikas. Kapitalismus, heißt es – doch wo herrscht der nicht? Und das vorige Woche von Angela Merkel an die Adresse Trumps gerichtete, vermeintlich so klare Bekenntnis zu »Demokratie, Freiheit, dem Respekt vor dem Recht sowie der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung« sind Werte, die nur ein bestimmter Teil der Menschen »im Westen« vertritt, wie die Wahlen in den USA gezeigt haben – wie aber Merkel auch an jedem Stammtisch in ihrer Mecklenburger Heimat oder bei jedem CSU-Basistreffen auf dem bayerischen Land feststellen könnte, wenn man sie dort noch einladen würde. Diese Werte sind also nur Werte bestimmter Teile der Gesellschaft und zudem nichts exklusiv Westliches. Sie werden auch von einem Teil der Menschen in Moskau, Bangkok, Tokio, Singapur, Lagos, Istanbul, ja sogar in Dubai und Peking vertreten.
Wer sind diese »bestimmten Teile« der Gesellschaft? Donald Trump, Jürgen Elsässer und Marine Le Pen nennen sie verächtlich die »Globalisten«. Die Feuilletons schreiben dieser Tage von den »liberalen Eliten«, von den »Aufgeklärten, Gebildeten«, den »Gewinnern der Globalisierung«, den »Intellektuellen«, den »Modernen« oder auch »Postmodernen« – und alle Kommentare kommen nicht ohne einen Ton tiefer Demut aus, dass »wir«, also die aufgeklärten, liberalen, hedonistischen Weltbürger, mit unserer Arroganz gegenüber den Abgehängten selbst Schuld am Aufbrausen der Reaktion seien, dass diese »Globalisten« das Feuer des globalen Wutbürgers, also auch den islamistischen Furor, selbst entfacht hätten.
Unbestreitbar: Die Localists – in der Sprache der weltweiten völkischen Querfront: »das Volk« – haben in den USA ihre Macht demonstriert. Die Rassisten, die Nationalisten, die Identitären verschiedenster Identität, sie werden auch Le Pen, Victor Orban und die AfD weiter nach vorne tragen, unterstützt von Wladimir Putin. Wenn sie von den »Globalisten« sprechen, so schwingten da eine gehörige Portion Verschwörungstheorie und Antisemitismus mit. Denn natürlich sind wurzellose Kosmopoliten, Weltbürger, Menschen, die überall auf der Welt angeblich das Sagen haben, überall zumindest potentiell anwesend sind, das Surrogat jeder Verschwörungstheorie sowie des primären Antisemitismus.
Das heißt aber nicht, dass es die Globalisten nicht gäbe. Im Gegenteil – und hier kommt die gute Nachricht: Die Zukunft gehört ihnen. Denn was der Wahrheit näher kommt, ist, wie es EU-Parlamentspräsident Martin Schulz getan hat, von einem »Graben zwischen der Stadt und dem Land« zu sprechen, einem Konflikt zwischen einer urbanen, informierten, sich globalisierenden, sich angleichenden Kultur und einer ländlichen, sich dagegen abschottenden Kultur. 62 Prozent der Wähler aus Kleinstädten stimmten für Trump, Clinton lag in Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern vorne.
Man hat es dabei nicht mit einem US-amerikanischen Phänomen zu tun, sondern mit einem weltweiten. Das ist keine Verschwörung und auch keine postmoderne Diskursblase: Es ist, ganz materiell, eine Folge der Verstädterung der Welt. Viele werden es noch erleben, wenn drei Viertel der Menschheit in Städten wohnen. Die Groß-, die Weltstädte entkoppeln sich dabei immer mehr von ihrem Staat, von ihrer Nation, wie es die US-amerikanische Soziologin Saskia Sassen in den neunziger Jahren in ihren Werken zu den »Global Cities« beschrieben hat. Die Weltstädte haben gar nicht mehr den Anspruch, Metropole, also Zentrum eines Umlandes zu sein und sich auf die hinterherhinkende Peripherie zu beziehen. Stattdessen verbinden sie sich mit anderen potenten Weltstädten, in denen ganz ähnliche technologische, soziale und kulturelle Bedingungen herrschen. Weltstädte werden zu Weltmächten. Die Nationen blasen sich noch einmal ordentlich auf, bevor sie platzen werden. Was gerade stattfindet, ist ihr Todeskampf.
Im Oktober nahmen in Quito, Ecuador, an der UN-Städtekonferenz »Habitat III« fast 50 000 Menschen teil, Bürgermeister, Politiker, NGO-Vertreter – aber Regierungsoberhäupter? Ein einziges. Bei der Vorgängerkonferenz 1996 waren es noch zwölf. Die Städte und die Staaten, sie verlieren die Bindung. Seit 2011 treffen sich jährlich Tausende Experten aus den Bereichen Städtebau, Architektur, Wirtschaft und strategische Stadtplanung in der russischen Hauptstadt zum Moscow Urban Forum. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin sagte dort im Juli, die globalen Entscheidungen würden heutzutage in den Städten getroffen. Dort werde die Welt gestaltet. Anthony Mallows, Direktor von Masdar City, einem der ambitioniertesten Stadtbauprojekte in Abu Dhabi, ergänzte: »Die Städte, und nicht Länder und Nationen, sind die Basis für die globale Zukunft.«
Aber nicht nur die Hipster, Anzug tragenden Expats und Banker sind Teil der neuen Weltkultur. Ein Hausmädchen in Kuala Lumpur und ein Hausmädchen in São Paulo haben ganz ähnliche Sorgen und Nöte und sprechen dieselbe Sprache: Englisch. Wer als billige Arbeitskraft entrechtet auf den Hochhausbaustellen der global cities schuftet, ist auch ein Weltbürger, nur eben ein armer. Low-Budget-Expats, Bauarbeiter, Dienstmädchen, Taxifahrer, Ärzte, Lehrer, Handwerker, Erasmus-Studenten, Traveler, Easyjet-Setter, Banker oder Flüchtlinge – sie alle treffen sich in den Städten und bilden neue Gesellschaften, die sozial nicht weniger ungerecht sind, aber wie die ganze Ökonomie einen neuen Bezugsrahmen haben. Die Nation, der Staat, die traditionellen Werte spielen darin eine immer kleinere Rolle.
Genau dagegen kämpfen die Localists von Oskar Lafontaine bis Trump. Die eigene soziale Lage ist dabei nebensächlich. Das zeigt auch die Auswertung der US-Wahl. Zwar arbeitet ein Großteil der Anhänger Trumps in Blue-Collar-Jobs in der Industrie und im Handwerk, doch ihre wirtschaftliche Situation ist nicht allzu schlecht: Wähler mit einem Einkommen bis 50 000 Dollar im Jahr gaben ihre Stimmen mehrheitlich den Demokraten, bei allen darüberliegenden Einkommensgruppen holte hingegen Trump mehr Stimmen.
Es ist, wie viele Kommentatoren es durchaus richtig bewertet haben, also nicht in erster Linie ein sozialer Konflikt, sondern ein kultureller. Nur: Die Globalisten, vom Hausmädchen in Singapur bis zum Webdesigner in Kreuzberg, vom Expat in Bangkok bis zum universal Bauarbeiter, sind nicht das Problem, sie sind die Lösung! Der Soziologe Ulrich Beck schrieb 2008 in der Frankfurter Rundschau: »Eine neue kosmopolitische Realpolitik liegt in der Luft!« Und er erläuterte: »Mit ›kosmopolitisch‹ meine ich nicht den idealistisch-elitären Begriff, der imperialen Ansprüchen transnationaler Eliten und Organisationen als ideologische Speerspitze dient. Was in der Luft liegt, ist etwas gänzlich anderes.« Denn so Beck. »Wir leben im Zeitalter der Vergleichung. Widerspruchsvolle kulturelle Strömungen treffen auf engstem Raum aufeinander und gehen – oft konflikt­reiche – Verbindungen ein. Doppelsprachigkeit, also die Fähigkeit, sich aus der Fixierung auf das Vertraute zu lösen, mehrörtige Existenzen, die Fähigkeit, über Grenzen hinweg zu interagieren, schaffen ein komplexes Geflecht geteilter Loyalitäten, ohne dass die als ursprünglich erlebten Identitäten preisgegeben würden. Wurzeln und Flügel zu haben, Provinzialismus verbunden mit dem Erfahrungsschatz gelebten, partikularen Weltbürgertums, könnte der gemeinsame zivilisatorische Nenner weltkulturell heterogener Gesellschaften werden und folglich die überall virulente Grundsatzfrage beantworten: Welche Ordnung braucht die Welt?«
Daran lässt sich anknüpfen, auch in radikalerem Sinne. Denn wir brauchen nicht nur eine Strategie gegen die Putins und Trumps, sondern auch gegen den Islamismus, der im Grunde derselbe Abwehrkampf gegen die Zukunft ist. Statt die Globalisierung der Kultur zu verteufeln und vergeblich zu versuchen, die Urbanisierung aufzuhalten, ist es aus emanzipatorischer Sicht höchste Zeit, diese neue Realität anzunehmen und darin um linke, solidarische Entwicklungen zu streiten. Die Nation sollte man vergessen. Der Kampf um die Städte, damit sie Städte für alle sein können, aber auch ihre stete Entwicklung und Modernisierung ist der Kampf um die Zukunft der Emanzipation.
Linke, liberale und konservative Verteidiger »des Westens« müssen lernen loszulassen. Bye- Bye, Westen. Jetzt geht es um die Welt. Für Linke könnte der Globalismus die moderne Form, nein, der Nachfolger des Internationalismus sein. Für einen Internationalismus ohne Nationen. In diesem Sinne könnte aus der Angst vor dem Globalismus eine positive globale emanzipative Vision entstehen, die die Menschen anspricht, auch die auf dem Land, auch die mit dem blauen Kragen, die Abgehängten. Arroganz wäre es, diesen Menschen zu unterstellen, sie würden lieber in ihrem White-Trash-Elend oder unter der Burka des IS leben wollen, als ein schönes Leben zu haben. Es reicht nicht, den Rassisten und Homophoben zu sagen, wie blöd sie sind, aber man darf auch nicht den Fehler machen, sich ihnen nun verständnisvoll zuzuwenden. Vielmehr gilt es, dafür zu streiten, dass die Vison einer sich gemeinsam emanzipierenden Weltgemeinschaft eine für jede und jeden sein kann, dafür gilt es die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen herzustellen. »Globalismus für alle!«, lautet die Parole dieses Kampfes, oder zugespitzt: Fuck the Locals!