Die »Memisierung« des politischen Diskurses und ihre politischen Folgen

Die Filterbubble durchbrechen

Die Aufmerksamkeits- und Empörungsökonomie in sozialen Medien kann Wahlen entscheiden. Derzeit schaffen es die Rechten besser, durch soziale Netzwerke beförderte Gefühle für sich zu nutzen.

Das US-amerikanische Wahlergebnis ist, unter vielem anderen, auch eine Folge der »Shitstormisierung« und der »Memisierung« des politischen Diskurses. Dieser wird durch immergleiche Empörungsbekundungen und -rituale geprägt. Offensichtlich konnte der designierte US-amerikanische Präsident Donald Trump diese Entwicklung auf vielfältige Art und Weise für sich nutzen. Die Empörungshappen, mit denen Trump seine Anhängerschaft bei Laune halten konnte, waren etwa der E-Mail-Skandal um Hillary Clinton, die Debatte um Redehonorare wie auch Clintons Bezeichnung der Hälfte von Trumps Wählerschaft als »erbärmlich«. Trump nutzte personalisierte Angriffe der Gegenseite mehrfach für sich aus. Als vermeintliches Opfer einer »PC-Polizei« erzeugte er einen Mobilisierungseffekt bei seinen Anhängern. Dadurch dass er zugleich diese Angriffe an sich abprallen ließ, neutralisierte er sie und demonstrierte damit Stärke und Macht. Der Hashtag #Iamwithher, den die Clinton-Kampagne im Gegenzug für die sozialen Netzwerke prägte, stärkte diese Sichtweise noch, indem er suggerierte, die zukünftig mächtigste Frau der Welt sei auf die Unterstützung ihrer Anhängerschaft angewiesen, anstatt diesen selbst zur Seite zu stehen. Donald Trump, der Twitter in einen Angelpunkt seines Wahlkampfs verwandelte, konzentrierte sich dagegen auf die Hashtags #crookedhillary und #makeamericagreatagain. Die Hoffnungen, dass Trumps sexistische Äußerungen einen großen Teil der US-amerikanischen Frauen dazu bewegen würden, Clinton die Stimme zu geben, wurden enttäuscht. Etwa die Hälfte der weißen Wählerinnen gaben an, Trump gewählt zu haben. Dieser hat es geschickt verstanden, mexikanische Immigranten mit einer angeblich steigenden Vergewaltigungsrate in Verbindung zu bringen. Damit konstruierte er geschickt das Image des Frauenverteidigers, den man privat nicht mögen muss, der aber gerade wegen dieser Art in der Lage ist, Härte zu zeigen.
Diese Entwicklung sollte hierzulande nicht fremd sein. Seit der Silvesternacht von Köln sind es Rechte, die eine direkte Verbindung zwischen Flüchtlingen und Gewalt gegen Frauen herstellen und damit erfolgreich sind – was wiederum auf den Präsidentschaftswahlkampf in den USA abfärbte. Das damals noch von Stephen Bannon, mittlerweile Trumps Chefstratege, geleitete Newsportal Breitbart.com publizierte im Nachgang zu den Ereignissen von Köln eine Reihe von Beiträgen, die mit angeblich neuen, erschütternden Erkenntnissen über diese Nacht aufmachten – die von den »liberalen Mainstreammedien« selbstverständlich verschwiegen worden seien.
Die Entwicklung, die in die Wahl von Trump mündete, sollte zur Reflexion darüber führen, wie auch in Deutschland die linke und liberale Politik vor dem Hintergrund einer an Stärke gewinnenden AfD zu bewerten ist. So führten Alexander Gaulands Aussage über den Fußballer Jérôme Boateng und Beatrix von Storchs Rechtfertigung eines Schießbefehls gegen Flüchtlinge zu einem Sturm der Empörung. Ob dies die Wahlchancen der AfD langfristig und nachhaltig verringert, ist zu bezweifeln. Es ist viel eher zu befürchten, dass sich das Erregungspotential erschöpft und dass die erhofften Mobilisierungseffekte nicht eintreten, zumindest, wenn es um emanzipatorische Ziele geht. So wie es aussieht, schaffen es die Rechten derzeit besser, durch soziale Netzwerke beförderte Gefühle für sich zu nutzen.
Die stetige Wiederholung einiger Kernbotschaften, die sich nicht primär an der Person des Gegners oder einzelnen Ereignissen orientieren, sondern an konkreten, immer wiederholten politischen Inhalten, hat sich hingegen im Vorwahlkampf von Bernie Sanders als erfolgreich erwiesen: Gerade das Old-School-Image von Sanders war es, das Menschen begeisterte.
Falls man sich es zumuten will, kann es nicht schaden, hin und wieder die eigene Filterbubble zu durchbrechen, und zwar so, wie das Magazin The New Statesman in einem Beitrag mit dem Titel »How to burst your social media bubble« empfiehlt: bewusst Seiten liken, deren Inhalte man ablehnt, mit dem Ziel, dass sie auf dem eigenen Newsfeed auch auftauchen. Soweit muss man nicht unbedingt gehen – aber es kann nicht schaden, in seinem Facebook-Freundeskreis den einen oder die andere zu haben, mit deren Ansicht man grundsätzlich nicht d’accord ist. Das fördert zwar nicht unbedingt die Laune beim Besuch des sozialen Netzwerks, aber letztlich vermittelt es ein Bild derjenigen Realität, die Trump ins Weiße Haus befördert hat.