Judenhass im britischen Golf

Judenhass am Abschlag

Der Judenhass der englischen Mittelschicht erhielt in den sechziger Jahren einen eigenen Namen: Golf-Antisemitismus.

Bis 1890 galten Juden auf englischen Golfplätzen offiziell als unerwünscht – danach waren sie es nur noch inoffiziell. Die Begeisterung für das Spiel war um 1900 vor allem dadurch entfacht worden, dass in den Vorstädten vermehrt Golfplätze angelegt wurden. Die Sportart galt schnell als schick, sie war das »Elitespiel für die Mittelklasse«. Britische Juden, die mehrheitlich nicht auf dem Land wohnten, hatten nun erstmals problemlos Gelegenheit, das schicke, neue Spiel auszuprobieren. Im Jewish Chronicle erschienen damals zahlreiche Anzeigen, in denen für Golf-Equipment geworben wurde.
Anglizierte Juden – so nannte man Juden, die einen englisch klingenden Namen angenommen hatten und sich in manchen Fällen auch taufen ließen – hatten keinerlei Probleme, in den Clubs akzeptiert zu werden. Alle anderen erfuhren erheblichen Antisemitismus, der sich nicht nur darin äußerte, dass sie keinen Zugang zu den Plätzen erhielten. In Golfzeitschriften erschienen überdies, allgemein akzeptiert, regelmäßig judenfeindliche Artikel und Karikaturen.
Schon im Jahr 1894 veröffentlichte das Magazin Fair Play einen Leserbrief, in dem ein Jude fragte, was denn die Leserschaft davon halte, dass ein Club in Manchester keine jüdischen Mitglieder haben wolle. Die erhoffte Diskussion blieb aus. Wie auch 21 Jahre später nach einem ähnlichen Brief, diesmal allerdings von einem nichtjüdischen Journalisten, an das britische Magazin Golf Illus­trated. Der Mann war sehr aufgebracht, dass seinem jüdischen Freund die Mitgliedschaft verwehrt worden war. Allerdings hatte er sich nicht die ideale Publikation für seine Beschwerde ausgesucht, denn die ­Illustrierte hatte seit 1910 immer wieder antisemitische Kari­katuren und Geschichten veröffentlicht.
Schon nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich, dass die antijüdische Hetze beim Publikum wohl auf fruchtbaren Boden gefallen war. Viele aus der zweiten und dritten Generation der jüdischen Einwanderer hatten es geschafft, aus den Immigrantenstadtteilen in Mittelschichtsgegenden zu ziehen, wo die Mitgliedschaft im benachbarten Golfclub zum Lebensstil gehörte. In seinem Aufsatz »The Impact of British Anti-semitism 1918–1945« schreibt der Historiker Tony Kushner: »Die verstärkte jü­dische Mobilität nach 1918« habe zu verstärktem Antisemitismus geführt, weil Juden nun nicht länger nur der Judenfeindlichkeit der Arbeiterklasse, sondern auch noch »dem weit stärkeren Judenhass der Mittelklasse ausgesetzt waren«. Stellenanzeigen, in denen Bewerbungen von Juden für unerwünscht erklärt wurden, Immobilienmakler und Vermieter, die nicht an Juden verkaufen und vermieten wollten, waren keine Seltenheit. Ebenso wie Restaurants, Internate und Hotels, die in Annoncen erklärten, Juden nicht als Kunden haben zu wollen. Schulen und Colleges führten an vielen Orten sogar Judenquoten ein. Und Versicherungen stuften sie aus reiner Schikane als Hochrisikokunden ein, die, wenn sie überhaupt versichert wurden, viel mehr als andere für ihre ­Policen bezahlen mussten, wie Todd Endelmann in seinem Buch »The Jews of Britain« schreibt. »Diese Abart des Rassismus war zwar nicht systematisch, aber doch so weit verbreitet, dass nur ganz wenige Juden sie nicht mitbekommen haben können oder ihr aus dem Weg gehen konnten.«
Die sportliche Segregation führte dazu, dass Juden sich nicht etwa anderen Sportarten zuwandten, sondern zwischen 1920 und 1970 in ganz Großbritannien ihre eigenen Clubs und Plätze gründeten, zu denen ausdrücklich jeder Zugang hatte. Der erste jüdische Golfclub war der Moor Allerton Club in Yorkshire, der 1923 gegründet worden war. Die jüdische Gemeinde hatte Geld gesammelt, um ein Stück Land zu kaufen. 1937 hatte der Verein, der auch über eine Tennisabteilung verfügte, 150 aktive Mitglieder, 1958 waren es schon 650.
Vielerorts bot sich die Chance, nicht mehr profitable Anlagen zu übernehmen. Den Nordlondoner Potters Bar Golf Club kauften 1932 Juden und Nichtjuden gemeinsam, um einen für alle offenen Verein zu schaffen. Die jüdischen Golfclubs warben schließlich sogar damit, dass Menschen aller Hautfarben und Religionen bei ihnen willkommen seien. Der Potter Bar Club wurde im ­April 1937 von britischen Nazis angegriffen, die auf dem Spielfeld Säure verteilten und an die Wände des Vereinslokals ein großes Hakenkreuz malten.
Thematisiert wurde der Golf-Antisemitismus, nachdem die Zeitung Daily Herald einen Artikel über die aufsehenerregende »Kampagne ­gegen Rassendiskriminierung im Sport« von 1961 gebracht hatte. Die hatte nämlich gerade mehr als 2 000 Golfclubs daraufhin untersucht, ob sie Juden als Mitglieder ­hatten oder überhaupt jüdische Mitglieder aufnehmen würden. Das ­Ergebnis fasste die Tageszeitung so zusammen: »Die letzte Bastion des Antisemitismus in England sind jene vielen Golfclubs, in denen eine Panik ausbricht, wenn ein Jude Mitglied werden will.«
Anthony Steel, ein ehrenamtlich bei der Kampagne tätiger Rechts­anwalt, wurde mit den Worten zitiert: »Fast die Hälfte dieser Clubs vermeidet, wenn es irgend möglich ist, die Aufnahme von Juden.« Steel ergänzte jedoch: In Schottland denke man anders, Juden hätten dort keine Probleme, in Golfclubs aufgenommen zu werden. Denn, so der Rechtsanwalt: »Dort ist Golf vorwiegend ein Arbeitersport, und soweit bei unseren Arbeitern rassische Vorurteile bestehen, richten sie sich gegen Farbige. Antisemitismus ist ein Laster des britischen Mittelstands.« Dieser Sicht widerspricht allerdings der Autor John Lowerson, der zumindest für Glasgow feststellte, dass Juden in den Clubs sehr wohl unerwünscht gewesen seien. Allerdings: In Westschottland seien jüdische Golfer durchaus in die Clubs aufgenommen worden – dafür habe man dort keine Katholiken zugelassen.
Dass der sogenannte Golf-Antisemitismus überhaupt ein Thema wurde, resultierte aus einer Artikelserie des britischen Jewish Chronicle aus dem März 1960. Darin wurden Vor­sitzende zitiert, die haarsträubende Sachen sagten, wie zum Beispiel: »Wir würden nicht sagen, dass wir Juden ausschließen. Wir ziehen es nur vor, keine aufzunehmen.« Nicht in allen Fällen äußerte man sich jedoch so klar. Juden wurden meistens blackballed – in den Clubs wurde mit weißen und schwarzen Bällen anonym darüber abgestimmt, ob ­jemand Mitglied werden durfte. Landete auch nur ein schwarzer Ball in der Urne, galt der Antrag als zurückgewiesen. In anderen Clubs wurden Judenquoten eingeführt, einer jüdischen Golfenthusiastin wurde mitgeteilt, »wenn Juden akzeptiert würden, dann wäre ja kein Platz mehr für die normalen Leute«.
Immerhin, nicht alle Briten waren gewillt, den Antisemitismus der Golfclubs zu dulden. Noch 1960 wurde als Reaktion auf die zahlreichen Zeitungsberichte eine Konferenz zum Thema abgehalten, auf der unter anderem der Bischof von Southwark, Mervin Stockwood, zahlreiche Beispiele für den Judenhass im Golf brachte. Dass zum ersten Mal öffentlich diskutiert und thematisiert wurde, was bis dato nur im Geheimen stattfand, dürfte die Golfclubs sehr irritiert haben. Einem jüdischen Deutschen war beispielsweise rund zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg mitgeteilt worden, dass er Deutscher sei, wäre überhaupt nicht das Problem, wohl aber, dass er jüdisch sei.
Auf die Thematisierung des Golf-Antisemitismus reagierten die Clubs zunächst allerdings so, wie sie es schon immer getan hatten. Sie seien private Institutionen, argumentierten sie, und deswegen könnten sie Mitglieder ablehen oder zulassen, wie es ihnen beliebe. Ähnlich hatte man auch auf die Artikelserie im Jewish Chronicle reagiert.
In seinem Buch »No Tie Required, How the Rich Stole Golf« schreibt der Autor Christopher Calms, dass WGL Folkard, ein führender Funktionär in der English Golf Union, darauf beharrte, er habe noch nie von Diskriminierung im Golf gehört. Und hinzufügte, es sei das gute Recht der Clubs, Juden auszuschließen. Weitere 15 Jahre später versuchte Folkard sich dann für den Golf-Antisemitismus zu rechtfertigen, was nicht wirklich gelang. Jüdische Golfer hätten, so sagte er »einen luxuriösen Geschmack«. Jüdische Mitglieder aufzunehmen, führe daher dazu, dass alles viel teurer würde. Christopher Calms stellte dazu fest: »Das Kostenargument verweist auf einen weiteren Punkt, der oft herangezogen wurde, wenn man begründen wollte, warum man keine Juden aufnahm: Sie tränken nicht so viel. Die – in Anführungszeichen – Logik dahinter sah so aus: Juden sind irgendwie kulturell nicht in der Lage, am 19. Loch – so wird die Bar genannt – so viel Wiskey zu trinken wie Nichtjuden, und weil sich viele Clubs über die Getränke finanzierten, würden also die Mitgliedsbeiträge steigen, wenn man jüdische Golfer aufnehme.« Calms resümierte: »Ein Superargument: Wir sind keine ­Antisemiten, wir sind Idioten.«
Immerhin, von der Politik wurde das Problem durchaus ernst genommen: In den späten sechziger Jahren wurde Margaret Thatcher, damals noch einfache Abgeordnete, zum Thema Antisemitismus interviewt und sagte, dass Judenhass sich dort zeige, wo man es normalerweise eher nicht für möglich halte. »Wissen Sie, es sind die Golfclubs, dort kommt das alles her.«
Und wie ist es heutzutage? Calms, der Autor von »No Tie Required«, sprach für sein Buch mit dem Jewish Council of Racial Equality. Dessen Antwort lautete: »Wenn Sie heute über rassistische Diskriminierung im Golf etwas wissen wollen, fragen Sie die Schwarzen und die Asiaten. Was wir damals erlebten, ist vermutlich genau das, was sie heute erleben.« Andererseits erklärte ein früheres Vorstandsmitglied der Vereinigung der jüdischen Golfclubs noch im Jahr 2010, dass ein befreundeter Jude »praktisch auf einer endlosen Anzahl von Wartelisten nichtjüdischer Clubs« stehe und »bis heute nirgendwo Mitglied werden konnte«.