Die Wahl Donald Trumps als Niederlage für den Pop

Pop tritt ab

Janelle Monáe und Kendrick Lamar werden künftig wohl nicht mehr im Weißen Haus verkehren.

Nach Donald Trumps Wahlsieg haben sich auf Twitter, Facebook und in anderen Medien erwartungsgemäß viele Popstars ebenso erwartungs­gemäß entsetzt, empört und bestürzt geäußert. Aus dem Rahmen fiel ein Tweet Mick Jaggers: »Just was watching the news … maybe they’ll ask me to sing ›You Can’t Always Get What You Want‹ at the inauguration, ha!«
Nach seiner Siegesrede hatte Trump zum Abgang von der Bühne »You Can’t Always Get What You Want« einspielen lassen, einen Song der Rolling Stones von 1969, den jeder Babyboomer in der DNA hat. Er beginnt mit einem Demut kommunizierenden Kinderchor, der im Stil der Regensburger Domspatzen verkündet, dass man im Leben nicht alles kriegen kann, was man gerne hätte. Als zynisches Nachtreten gegen eine am Boden liegende Gegnerin wurde das interpretiert: Hillary, du kriegst nicht, was du willst. Dabei hat der Song einen doppelten Boden. Nach einer Minute Kinderchor übernimmt die Band, Jagger singt zunächst noch in Loser-Position zur Akustikgitarre, bevor die anschwellende Orgel einen Stimmungswechsel signalisiert, der mit den hereinbrechenden Drums exekutiert wird. Jagger geht in die Offensive: »But if you try sometimes you find, You get what you need.« Einstieg der kompletten Band plus Gospelchor: Ja, wir kriegen, was wir wollen.
Die Wende des Songs von vermeintlicher Häme für die Verliererin hin zum »Yes I can, I’m a selfmade man«-Unternehmercredo entlastet Trump: Nein, ich wollte nicht Hillary Clinton demütigen, ich wollte meinen Ame­rican Dream formulieren. Dass Trump, Jahrgang 1946, ausgerechnet Jagger, Jahrgang 1945, zu seinem Sprachrohr macht, das kann Zufall sein. Dass Jaggers »if you try some­times you find, you get what you need« eine gewisse Ähnlichkeit hat mit Trumps »du kannst alles schaffen, wenn du nur willst, you can grab them by the pussy«, das kann Zufall sein. »Under my thumb, the girl who once had me down … look at that stupid girl … Who wants yesterdays papers, who wants yesterdays girls … Baby you’re out of time … «
Die signature songs aus den wenigen relevanten Jahren der Rolling Stones liefern den Soundtrack zum frauenverachtenden Geschlechterkampf, den Männer wie Jagger und Trump vermutlich geil finden. Dass Jagger, dessen Band Ruhm, Sex und Reichtum der freundlichen Übernahme afroamerikanischer Musikstile verdankt, sich, abgeschwächt durch ein ironisches »ha«, als Trumps Inaugurationssänger anbietet, hat eine weitere Race-und-Gender-Pointe.
Zum Amtsantritt des ersten afroamerikanischen Präsidenten sang 2009 die schwarze Tochter eines Baptistenpredigers aus Chicago, Aretha Franklin. Jagger bei Trumps Start, das wäre ein Fanal der Remaskulinisierung und des gelungenen Whitelash. Der Begriff Whitelash stammt von dem Bürgerrechtsaktivisten Van Jones. »Eine weiße Mehrheit, die sich wie eine verfolgte Minderheit fühlt, ist der Rassismusklagen überdrüssig. Trump ist ihr Kandidat, der sie, wie kein anderer vor ihm, von der politischen Korrektheit und den Klagen der Minderheiten befreit, die unter Obama stärker wurden als je zuvor«, schrieb Barbara Junge in der Taz.
Nun ist Jagger kein Trumpist wie Clowns vom Schlage eines Gene Simmons von Kiss, Kid Rock oder Hulk Hogan, dafür ist er zu schlau, auch Demokraten kaufen Stones-Tickets. Jaggers Bewerbungstweet ist eher zu verstehen als kleine Spitze gegen das angebliche Kartell der politisch korrekten Popstars von Beyoncé und Jay Z über Katy Perry, Lady Gaga, Michael Stipe und Bruce Springsteen, deren Unterstützung für Hillary Clinton dann doch nichts gebracht hat. Warum eigentlich nicht?
Nach der Wahl hat sich die These durchgesetzt, dass der Pop-Adel selbst Teil des verhassten Establishments sei. Die Popmusik, oder, ame­rikanisch gesprochen, der Rock’n’Roll, ist vom Modus der Rebellion und Subversion in den Modus der Affirmation gewechselt, der Affirmation eines Wertekanons, nach dem kein Mensch wegen seiner Hautfarbe, ­seines Geschlechts und seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf.
Dafür hat Pop jahrzehntelang gekämpft. Seitdem Pop gewissermaßen an der Macht ist, auch in Gestalt der Obamas, ist dieser Wertekanon der Political Correctness Gesetz, also ­etwas, gegen das Outlaws das Recht haben zu kämpfen. Massiven Widerstand gegen die angebliche PC-Diktatur angeblicher liberaler Eliten gibt es schon lange, in Donald Trump hat jene »weiße Mehrheit, die sich wie eine verfolgte Minderheit fühlt«, nun die Figur gefunden, die diffuse Stimmungen und Energien bündelt und politisch kanalisiert: aufgestauter Hass, Minderwertigkeitsgefühle, Verlustängste, Samenstau, Abstiegsängste, Rassismus, Penisneid, Paranoia, Homophobie, Mordgelüste, Sexismus. All das bricht sich nun Bahn, da endlich einer den Deckel, unter dem es brodelte, weggezogen hat.
Im Pop spiegeln sich politische, ökonomische und kulturellen Erosionen. Analog zum Siegeszug des globalisierten, digitalisierten Kapitalismus auf Kosten der fordistischen ­Industrien erlebt der bedrängte weiße Mann den Niedergang von weißem Rock zugunsten schwarzer Stile wie R & B und HipHop. Auch die von jeher dominante, ebenfalls fordistisch geprägten Organisationsform des Rock, die aus vier, fünf, sechs oder noch mehr Männern bestehende Band mit ihren entsprechenden Verkehrsformen, wird verdrängt von flexiblen Solitären, die sich in wechselnden Einheiten, vorübergehenden Kollaborationen und temporären Netzwerken permanent neu organisieren. Im Pop hat der Arbeitskraftunternehmer den Bandkumpel abgelöst wie der Multitasker den Facharbeiter.
Unter den Protagonisten des neuen Typus sind mit Kanye West, James Blake und Bon Iver Männer, die mit der Autotune-Technologie ihre Stimmen so manipulieren, dass sie schon mal übergeschlechtlich werden. Als wäre das nicht schon schlimm genug, sind die populärsten und mächtigsten Vertreter der neuen Pop World Order Vertreterinnen: Beyoncé und ihre Schwester Solange, Rihanna, Lady Gaga – die tonangebenden Popstars der Gegenwart sind Frauen, und die wenigsten von ihnen haben weiße Haut. Wenn es ein einziges Bild gibt, das den Untergang der alten Ordnung von Race und Gender symbolisiert, dann ist es das von Beyoncé aus ihrem Video zu »Formation«: Mit hochgereckter, geballter Faust steht sie auf dem Dach eines Autos der New Orleans Police, das in den braunen Fluten des Hurrikans Katrina versinkt. Zweites Bild: Beyoncés Pausenauftritt beim Super Bowl mit einer Armee aus Female Black Panthers.
Polizei und Football, für viele Amerikaner Bastionen weißer Männlichkeit, erniedrigt von einer schwarzen Frau. Das sitzt, auch bei Rudy »Zero Tolerance« Giuliani, dem ehemaligen Bürgermeister von New York und demnächst vielleicht Justizminister in Trumps Kabinett: »Das ist Football, nicht Hollywood. Ein Skandal, dass sie den Super Bowl als Plattform genutzt hat, um unsere Polizisten anzugreifen, die unser Leben beschützen.« Die Intervention des prominenten Politikers belegt, dass das diffuse Unbehagen an einer neuen Pop-Kultur umgeschlagen ist in eine explizit politische Konfrontation. Drittes Bild: Beyoncé vor dem riesigen Schriftzug »Feminism«. Weiße Männer sehen ihre Hegemonie bedroht, Maskulinisten zetern, von »Feminazis« ist die Rede.
Das Land wird regiert vom »Power Couple Nr. 1 der African American Aristocracy« (Sonja Eismann). Das Paar diniert regelmäßig mit dem ­Power Couple Nr. 2 der African American Aristocracy, Beyoncé und Jay Z. Das Feindbildkonstrukt vom Pop- und Polit-Establishment funktioniert nur, weil Power Couple Nr. 1 einen virtuosen Umgang mit Pop pflegt und selbst wie Popstars auftritt.
Seitdem das Weiße Haus von einer afroamerikanischen Familie bewohnt wird, gehen schwarze Künstlerinnen und Künstler dort ein und aus. Nicki Minaj und Janelle Monáe, Stevie Wonder und Usher, sogar ­Rapper wie Common und Kendrick Lamar, der erklärte Liebling von ­Barack Obama. Michelle begeistert in der Comedy-Show »Carpool Karaoke« mit Gesangseinlagen und einem Rap mit Missy Elliott. Im Dezember ziert sie das Cover der Vogue: »The First Lady The World Fell In Love With.« Für die Fotostrecke im Weißen Haus wird Annie Leibovitz engagiert, Michelle trägt Roben von Versace und hält die spektakulärste Rede im Wahlkampf. Schon vor dem Ende der Präsidentschaft kommt »My First Lady« in die Kinos. Der Spielfilm über das erste Date der Obamas 1989 in der Southside von Chicago sieht aus wie eine Nachlassregelung, als ob Barack und Michelle der Nachwelt ein Heiligenbild der makellosen afroamerikanischen Familie hinterlassen wollten. »Die Tatsache, dass die ­Obamas das Bild einer modernen und harmonischen Familie abgeben und sich darum auch sehr bemüht haben, hat viel damit zu tun, dass sie von Anfang an versucht haben, den Klischees der dysfunktionalen schwarzen Familie entgegenzuwirken«, sagt der Autor Sebastian Moll. »Man wollte nicht den geringsten Anlass für den Vorwurf der schwarzen Soziopathologie bieten, der sich als Stereotyp in den USA seit langem festgesetzt hat.«
Keine Affären wie Kennedy oder Clinton, kein Pussy Grabbing, verdächtig. »Durch Obamas Präsidentschaft wurde sehr viel Hass wieder­erweckt. Die schiere Intelligenz, die rhetorische Souveränität ist für viele Weiße nicht zu ertragen.« Sagt der britische Schriftsteller Martin Amis. Aber der Hass ist nicht bloß ein wiedererweckter, er hat auch neue An­teile. Anteile, die Trump für sich zu nutzen weiß. Die Intelligenz und Souveränität der Obamas, die ein attraktives, politisch und sexuell emanzipiertes Paar darstellen, provozieren umso mehr Hass, je deutlicher wird, dass sie im Namen einer Political Correctness aufgeführt werden. Oder, sinngemäß mit dem Spiegel gesprochen: Die Obamas sind die politisch korrekte und moralisch integere Neuerfindung der bürgerlichen Familie und strahlen dabei wie Popstars, so dass ihnen mit der gängigen Anti-PC-Rhetorik nicht beizukommen ist: Nein, die Obamas sind keine Spaßbremsen, keine Spielverderber, sie sind nicht lustfeindlich.
Das Gelungene an diesem politisch korrekten Pop-Universalismus provoziert umso mehr neidgetriebenen Klassen- und Rassenhass bei Leuten, denen genau das nicht gelingt. Je eleganter und souveräner die Obamas auftreten, desto mehr setzen sie sich dem Verdacht des Elitären aus und machen sich zur Zielscheibe von Trump. Und zur Zielscheibe von altleninistischen Trump-Verstehern von Dietmar Dath bis Slavoj Žižek, die mit großer Punk-Geste das Comeback von Haupt- und Nebenwiderspruch betreiben und gratisradikal in der FAZ über »Obamas Ethikstunde« lästern. Die Querfront gegen das Establishment nimmt Gestalt an.