Die Debatte über den Gesetzentwurf zur Verhinderung von Kinderehen

Spätere Scheidung nicht ausgeschlossen

Minderjährige Mädchen werden vor ihrer Flucht nach Europa häufig verheiratet. Bundesjustizminister Heiko Maas arbeitet nun an einem Gesetzentwurf zur Verhinderung von Ehen von Minderjährigen. Doch der Entwurf ist umstritten – selbst in der Partei des Ministers.

Leila* war 15 Jahre alt, als sie im August vergangenen Jahres in Deutschland ­ankam. Ihrem Aussehen nach hätte das Mädchen auch als Zwölfjährige durchgehen können, sagt das Jugendamt Aschaffenburg. Mit ihrem 21jährigen Ehemann und Cousin H. lebte Leila in einer Aschaffenburger Turnhalle, bis das Jugendamt intervenierte und sie in Obhut nahm. Leila könne die Tragweite der Ehe nicht erkennen und sei zur Führung eines selbstbestimmten Lebens nicht in der Lage, so die Argumentation der Behörde.
Mit 14 Jahren hatte Leila H. in Syrien geheiratet, bevor das Paar nach Deutschland flüchtete. »Viele junge Mädchen heiraten, um während der Flucht nicht sexuell belästigt zu werden«, sagt der Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak von der Universität Dortmund. In der Tat sind es vor allem Mädchen, die von den frühen Ehen betroffen sind. SOS-Kinderdörfer berichten von der Entstehung eines regelrechten Heiratsmarkts in Flüchtlingslagern in Jordanien, dem Libanon und der Türkei. Demnach werden derzeit etwa 50 Prozent der syrischen Mädchen unter 18 Jahren verheiratet, während es vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs nur 13 Prozent waren. Bis Ende Juli zählte das Statistische Bundesamt in Deutschland insgesamt 1 475 verheira­tete minderjährige Ausländer und Ausländerinnen, 1 152 davon Mädchen. Im Verhältnis zu den insgesamt ungefähr 70 000 minderjährigen Mädchen, die allein von Januar bis September 2016 einen Asylerstantrag in Deutschland gestellt haben, ist diese Zahl eher gering.
H. und Leila wollten sich mit der Trennung durch das Jugendamt Aschaffenburg nicht abfinden. Das Paar wehrte sich gegen das Vorgehen der Behörde: Das Mädchen verweigerte aus Protest Integrationskurse, der Ehemann klagte. H. bekam Recht, zumindest bislang. Das Oberlandesgericht Bamberg erkannte die nach Sharia-Recht in Syrien geschlossene Ehe mit der 15jährigen an und entschied, dass das Kindeswohl der Anerkennung nicht entgegenstehe, da keine Hinweise auf eine Zwangsehe vorliegen würden. H. und Leila trafen sich weiterhin, das Oberlandesgericht gestattete dies. Zwar bleibt das Jugendamt Aschaffenburg Vormund der Minderjährigen, darf aber nicht mehr über ihren Aufenthalt entscheiden. Das Gericht berief sich dabei auf Paragraph 1 633 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der es minderjährigen Ehefrauen und -männern erlaubt, ihren Aufenthaltsort selbst zu bestimmen. Regelungen für verheiratete Minderjährige sind auch dem deutschen Recht nicht gänzlich fremd: In Ausnahmefällen darf nach dem BGB heiraten, wer mindestens 16 Jahre alt ist und die Zustimmung des Familiengerichts dazu hat. Die Regelung hielt das Gericht in diesem Fall auf die im Ausland geschlossene Ehe für anwendbar, obwohl Leila zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht 16 Jahre alt gewesen war. Das Jugendamt Aschaffenburg hat dagegen Beschwerde eingelegt, so dass sich der Bundesgerichtshof schon bald mit dem Fall beschäftigen dürfte.
Die Gerichtsentscheidung in Bamberg sorgte nicht nur in Aschaffenburg für Empörung. Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nahm den Fall zum Anlass, um einen Gesetzentwurf zu Kinderehen vorzubereiten. Das neue Gesetz soll Ehen mit Personen unter 16 Jahren ausnahmslos verbieten, so dass auch im Ausland geschlossene Ehen künftig nicht mehr anerkannt werden könnten. Für verheiratete Minderjährige über 16 Jahren hatten Maas und die ­Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), zunächst Regelungen vorgeschlagen, die eine Anerkennung der Ehen in Ausnahmefällen trotzdem möglich machen sollten. »Wenn Ehen auch von 16- bis 18jährigen pauschal für ungültig erklärt würden, könnten Frauen ins soziale Abseits gedrängt werden«, begründete Özoğuz die Ausnahmen auf Nachfrage der Funke-Mediengruppe. »Werden ihre Ehen aberkannt, verlieren sie unter ­anderem Unterhalts- und Erbansprüche, ihre Kinder wären unehelich, für viele würde das sogar eine Rückkehr in ihre Heimatländer unmöglich machen.« Auch Ahmet Toprak von der Universität Dortmund warnte vor der Nichtanerkennung: »Wenn die jungen Mädchen aus dieser Ehe ein Kind haben, werden die Kinder aus dieser Ehe kriminalisiert«.
Derartige Argumente, die im Namen und zum vermeintlichen Schutz der Frauen und ihrer Kinder für die Anerkennung solcher Ehen streiten, sind jedoch leicht zu widerlegen. Das Argument der vermeintlichen Kriminalisierung ist falsch. Eine Ehe, die in Deutschland nicht anerkannt wird, kann im Ausland nach der Sharia weiter bestehen. Im Falle einer Rückkehr gelten H. und Leila also selbst dann als verheiratet, wenn ihre Ehe in Deutschland nicht anerkannt wurde. Das bestätigt auch Myria Böhmecke von der Frauenrechtsorganisation »Terre des Femmes« im Gespräch mit der Jungle World: »Nach dem Gesetz des Herkunftslands wäre ein minderjähriges Mädchen noch verheiratet, auch wenn die Ehe hier in Deutschland nicht anerkannt würde. Im Falle einer Rückkehr wären auch die Kinder ehelich.«
Özoğuz, die sonst als Fürsprecherin von Kinder- und Frauenrechten auftritt, spricht sich also zum Schutz von Minderjährigen dafür aus, diese an die Ehe zu binden, anstatt deren Rechte unabhängig davon zu stärken, ob sie verheiratet sind oder nicht. Die Anerkennung von Ehen mit Minderjährigen mag der einfachste Weg sein, um junge Frauen und ihre Kinder vor dem Verlust von Unterhalts- und Erbrechtsansprüchen zu schützen. Sie führt aber einzig zu einem Schutz derjenigen, die ihre Ehe anerkennen lassen wollen. Stattdessen müssten die Betroffenen umfassend geschützt werden, egal ob die Ehe anerkannt wird oder nicht. Und was in der Debatte vergessen wird: Das Familienrecht enthält bereits Unterhaltsansprüche für »uneheliche« Kinder und deren Mütter. Diese Rechte, nicht die traditionellen Privilegien der Ehe, sollten gestärkt werden.
Echten Schutz für die Minderjährigen kann es dabei nur geben, wenn ihnen individueller Spielraum in verschiedene Richtungen gegeben wird: für oder gegen die Anerkennung der Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit, aber auch für oder gegen den Umgang mit dem Partner in der Zeit davor. Frauenrechtsorganisationen wie »Terre des Femmes« fordern das seit langem. »Auch wir wollen keine Zwangstrennung oder Scheidung«, so Böhmecke, »mit Erreichen der Volljährigkeit könnte vor dem Familiengericht die Anerkennung der Ehe beantragt werden – ohne erneut zu heiraten.« Dabei geht es der Organisa­tion nicht darum, die Minderjährigen in der Zwischenzeit von ihrem Partner zu trennen. »Angenommen, eine 17jährige macht dem Jugendamt gegenüber glaubhaft, dass sie auf jeden Fall mit dem Mann zusammenbleiben möchte und keine Gewaltsituation vorliegt, könnte zusammen mit dem Jugendamt geklärt werden, dass sie gemeinsam mit dem Mann untergebracht wird«, sagt Böhmecke. Leila und H. trafen sich auch nach der Trennung durch das ­Jugendamt Aschaffenburg heimlich. Dass sie nun – nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg – wieder zusammenleben, ist trotz der zweifelhaften Anerkennung der Ehe richtig.
Es ist also zu begrüßen, dass sich die Koalition Berichten zufolge nun darauf geeinigt haben soll, Ehen mit Minderjährigen ausnahmslos nicht anzuerkennen. »Niemand von uns möchte, dass seine Kinder mit 14, 15, 16 oder 17 verheiratet werden. Kinder sollten in dem Alter zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen«, sagte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann. Bleibt zu hoffen, dass der Schutz der Minderjährigen trotz solcher Floskeln, die wohl hauptsächlich der Beruhigung der Bevöl­kerung dienen, nicht auf der Strecke bleibt.

* Name von der Redaktion geändert