Die sexuelle Belästigung von Frauen an Hochschulen ist verbreitet

Tatort Hochschule

Auch an deutschen Hochschulen gehören sexuelle Angriffe auf Frauen und sexistische Diskriminierung zur Tagesordnung.

Die Diskriminierung von Frauen an den Hochschulen zu bekämpfen ist eines der Anliegen der am vergangenen ­Wochenende in Frankfurt am Main gegründeten Basisgewerkschaft »Unterbau«. Im vorläufigen Programm fordert das Frauenplenum der Gewerkschaft, bestehende Maßnahmen gegen Diskriminierung zu verstärken.
Die Verfasserinnen und Verfasser des Programms verlangen auch ein »Aufstehen gegen sexistische Pick-up-Artists«. Ein entsprechender Versuch wird derzeit am Landgericht Frankfurt am Main verhandelt. Bican E., selbst­erklärter »Verführungskünstler«, führt ein presserechtliches Verfahren gegen den Asta der Goethe-Universität. Der Studierendenvertretung soll untersagt werden, E.s Namen und ein stilisiertes Bild von ihm zu veröffentlichen. In den inkriminierten Artikeln wurde beschrieben, wie »Pick-up-Artists« auf dem Campus Frauen mit psychologisch ­manipulativen Methoden ansprechen. Bei E. kann man in Frankfurt Seminare zum Erlernen der Methoden buchen. Er hatte einstweiligen Rechtsschutz vor dem Landgericht Frankfurt beantragt, dieser wurde abgelehnt. Das Gericht verwies auf die Pressefreiheit. Dagegen legte E. Beschwerde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt ein. Dieses gab der Beschwerde statt: Der Asta muss die weitere Veröffentlichung unter Androhung von 250 000 Euro Ordnungsgeld unterlassen. Das Gericht argumentiert, dass es sich bei dem Bericht über den Pick-up-Artist um keine hochschulpolitische Angelegenheit, sondern eine gesamtgesellschaftliche handle. Daher falle die Sache nicht in den Themenbereich, mit dem sich die Studierendenschaft öffentlich zu beschäftigen habe. Damit ist das Verfahren im Eilrechtsschutz beendet. Der »Arbeitskreis Kritischer Juristinnen und Juristen« (AKJ) an der Universität Frankfurt kritisierte die Entscheidung des OLG Frankfurt als einen »Angriff auf alle Frauen auf dem Campus und auf die Pressefreiheit«. Am heutigen Donnerstag wird das Hauptsacheverfahren wieder vor dem Landgericht Frankfurt am Main verhandelt.
Sexuelle Angriffe und Belästigungen sind durchaus ein Problem an deutschen Hochschulen. In einer Online-Befragung der Universität Bochum, veröffentlicht im Januer 2012, gaben 81 Prozent der Studentinnen an, sexuelle Belästigung erlebt zu haben, 54 Prozent davon während ihrer Studienzeit. In 97,5 Prozent der Fälle waren die Beschuldigten Männer. Meist handelte es sich um Kommilitonen, aber auch Lehrpersonal und andere Hochschulangestellte zählten dazu, so die Studie. Insbesondere gegen Mitglieder des Lehrpersonals sahen die Studentinnen kaum Chancen für eine erfolg­reiche Beschwerde.
In der Umfrage wurde deutlich, dass Frauen das Problem der sexuellen ­Belästigung häufig bagatellisieren und als etwas wahrnehmen, das man als Frau eben ertragen müsse. Dabei hat das Erleben sexueller Angriffe sowohl Auswirkungen auf die Psyche als auch auf den weiteren Studienverlauf. 40 Prozent der Frauen gaben an, dass sie nach einer Belästigung in den Räumen der Hochschule bestimmte Lehrveranstaltungen und Orte vermieden. Es kommt zu einer Verschlechterung der Leistungen, das Studium verzögert sich, manche Frauen wechseln die Universität, wie aus den Ergebnissen der Umfrage hervorgeht. Oft vertrauen sich Frauen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, niemandem an. Beratungsangebote der Frauenbeauftragten an den Univer­sitäten werden in Fällen von sexuellen Angriffen und Belästigungen selten in Anspruch genommen. So entsteht der Eindruck, solche Vorfälle spielten an der Universität keine Rolle.
Lydia Kray vom »Freien Zusammenschluss von Studentinnenschaften« (FZS) geht davon aus, dass es einer stärkeren Auseinandersetzung mit sexistischen Strukturen inner- und außerhalb der Universität bedarf, um sexuelle Gewalt und Dis­kriminierung überhaupt zur Sprache zu bringen. Aus diesem Grund organisiert der FZS seit elf Jahren die bundesweiten Aktionstage »Gesell­schaft*Macht*Geschlecht« und seit 2015 das Bündnis »Sexismus ist keine Kunst«, das sich gründete, um generell auf »Pick-up-Artists« aufmerksam zu machen. Anlass für die Gründung dieses Bündnisses war die Tätigkeit von Bican E.
Universitäten in Deutschland sind trotz eines nahezu gleich hohen Anteils weiblicher Studierender noch immer männlich dominiert. Am deutlichsten wird dies an der Verteilung wissenschaftlicher Führungspositionen: 80 Prozent der Professuren sind männlich besetzt. In der Verwaltung der Hochschulen kehrt sich diese Verteilung um. In Baden-Württemberg sind beispielsweise 86,5 Prozent der Universitätsbeschäftigten auf Verwaltungsebene Frauen.
In der Philosophie, der Geisteswissenschaft par excellence, ist dieses Ungleichgewicht besonders ausgeprägt. Die als kanonisch geltenden Texte sind von Männern, in den Fachzeitschriften veröffentlichen und auf Konferenzen sprechen nach wie vor hauptsächlich Männer. Zur Erklärung dieses Sachverhalts werden in der Sozial­psychologie oft Konzepte der Vorurteilsforschung herangezogen – implicit bias und stereotype threat. Diese gehen davon aus, dass gegenüber Frauen implizite Vorurteile bestünden, die zu schlechteren Bewertungen und Ausschlüssen führten. Diese Vorurteile würden auch von Frauen verinnerlicht, was in männlich dominierten Räumen zu einer »Unterperformance« von Studentinnen führen und die Vorurteile wiederum bestätigen könne.
Diese strukturelle Diskriminierung hat, wie die Politologin Lisa Mangold in Interviews mit weiblichen Studierenden der Philosophie an der Freien Universität in Berlin feststellte, Auswirkungen auf den weiteren Studienweg. Demnach hätten zwar viele Frauen nach dem Abschluss eines Bachelorstudiengangs noch großes Interesse an ­einer Promotion, das sich aber im Lauf des weiteren Studiums kontinuierlich verringere. Die Grabenkämpfe und der Widerstand seien zu groß, so die Befragten.