Oppositionelle sind in der Demokratischen Republik Kongo Repressionen ausgesetzt

Warten auf den Platzverweis

In der Demokratischen Republik Kongo versucht Präsident Joseph Kabila mit allen Mitteln, an der Macht zu bleiben. Seit Monaten gibt es Proteste gegen seine Politik, die Repression nimmt zu und Wahlen werden immer wieder verschoben.

Eigentlich wollte die Opposition dem Präsidenten am vergangenen Wochenende zum letzten Mal die »gelbe Karte« zeigen. Die »rote Karte« soll am 19. Dezember folgen, wenn die Amtszeit von Präsident Joseph Kabila gemäß der Verfassung endet. Doch mit einer Mischung aus Repression gegen »radikale« und lukrativen Angeboten an »gemäßigte« Oppositionelle gelingt es Kabila immer besser, die Sammlungsbewegung aus mehreren politischen Parteien in die Defensive zu drängen. Immer weniger Hindernisse stehen ­einer provisorischen Verlängerung seiner Amtszeit im Weg, die das Verfassungsgericht bereits gebilligt hat. Und so blieb es auch am vergangenen Samstag in der Hauptstadt Kinshasa und anderen Städten trotz geplanter Proteste weitgehend ruhig.
Der Verfassung des Landes zufolge kann Präsident Kabila nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal zur Wahl antreten. Nachdem der Versuch einer Verfassungsänderung im vergangenen Jahr an Protesten in Kinshasa sowie in anderen Millionenstädten und auch am Widerstand vieler Parlamentarier gescheitert war, verlegten sich der Präsident und seine Parteigänger auf eine Verzögerungstaktik. Zunächst wurde bekanntgegeben, dass die verbleibende Zeit nicht ausreiche, um das Wähler­register zu erneuern und den Wahlgang zu organisieren. Wiederkehrenden Straßenprotesten begegnete die Staatsmacht immer brutaler, was am 19. September in einem Massaker mit mindestens 53 Toten in Kinshasa gipfelte. Die Verhaftung von wichtigen Vertretern der Opposition minderte deren Fähigkeit zum Protest weiter, so dass seitdem keine größeren Demonstrationen mehr abgehalten werden konnten. Ohnehin gilt in allen größeren Städten ein unbegrenztes Demonstrationsverbot, was die Vereinten Nationen in einer Stellungnahme als einen Verstoß gegen nationales und internationales Recht verurteilten.
Auch an die Kommunikation wird gedacht: Die Signale von Radio France International (RFI) und dem UN-Sender Okapi, den wichtigsten unparteiischen Medien im Land, werden regelmäßig unterbrochen. Ein Mediengesetz, das derzeit vorbereitet wird, soll RFI die Ausstrahlung sogar weitgehend untersagen. Allgemein erwartet wird auch, dass zum Stichtag, dem 19. Dezember, die Internetverbindungen gekappt und SMS nicht mehr übertragen werden.
Zugleich gelang es Kabila, einzelne kleinere Parteien aus dem Oppositionsbündnis herauszulösen, indem er ihren Vertretern Posten in der Regierung anbot. Am Freitag vergangener Woche ernannte er Samy Badibanga, den Fraktionsführer der größten Oppositionspartei Union für Demokratie und sozialen Fortschritt (UDPS) im Parlament, zum Premierminister. Der eigentlichen UDPS-Führung blieb nichts anderes übrig, als zu bekräftigen, dass Badibanga bereits 2011 aus der Partei ausgeschlossen worden sei, nachdem er sich einem von der Parteiführung beschlossenen Parlamentsboykott verweigert hatte. Bis April 2018 soll die neu gebildete Regierung nun Wahlen organisieren. Ob Kabila dann noch einmal antritt, lässt er offen. Einerseits versprach er, die Verfassung zu achten. Andererseits könne man die Verfassung ja auch ändern.
Dass Kabila eine solche Wahl auf legitime Weise gewinnen würde, kann ausgeschlossen werden. Die zurückliegenden Wahlen gewann er durch große Unterstützung im von bewaffneten Konflikten und Kriegen geplagten Osten des Landes, wo er lange als »Friedenspräsident« galt. Damit ist es nun vorbei, nicht nur weil weiterhin einzelne Gebiete von Milizen und Rebellen unsicher gemacht werden. »Das Land schlittert in ein rechtliches Vakuum«, empört sich etwa ein Anwalt, der anonym bleiben will. »Er muss abtreten.« Solche Äußerungen sind in privaten Gesprächen häufig zu hören. Tatsächlich wird trotz aller Repression weiterhin erstaunlich offen über Politik gesprochen, als Anhänger von Kabila bezeichnet sich dabei kaum jemand. Nur in größeren Gruppen – etwa als während eines Fußballspiels Zuschauer im Stadion das Bild eines Oppositionspolitikers in die Kamera hielten und die Regie des staatlichen Senders daraufhin die Übertragung unterbrach – halten sich die Menschen mit Kommentaren zurück.
Die politische Unsicherheit wirkt sich auch auf die ohnehin schleppende wirtschaftliche Entwicklung des Landes aus. Ein für Kreditvergabe zuständiger Bankangestellter konstatiert eine Unterbrechung des Baubooms, der in den größeren Städten in den vergangenen Jahren nicht zu übersehen war. »Kaum jemand fragt noch nach Krediten, niemand will investieren. Noch nicht einmal in die vermeintlich einzige sichere Anlageform, in Bauland und Immobilien«, sagt er. Die Landeswährung verliert immer weiter an Wert, was der unter dem Existenzminimum lebenden Mehrheit der Bevölkerung schadet, die anders als die Oberschicht keinen Zugang zu US-Dollars hat, der offiziellen Zweitwährung der Demokratischen Republik.
Auch die Menschenrechtsorganisationen des Landes, die vor allem durch den Schutz der zahlreich vertretenen internationalen Organisationen einen relativ großen Einfluss genießen, halten sich mit allgemeiner Kritik zurück und beschränken sich auf Proteste gegen ungesetzliche Verhaftungen einzelner Oppositoneller. »Wir wollen keine Märtyrer werden«, heißt es von einem Vertreter. »Wir haben in den vergangenen Jahren, seit dem Ende der großen bewaffneten Auseinandersetzungen, viel erreicht. All das steht jetzt auf dem Spiel.«
Relativ ohnmächtig steht die UN-Stabilisierungsmission da. Zwar befinden sich weiterhin um die 19 000 Blauhelmsoldaten im Land. Angeführt von Frankreich und den USA spart der Sicherheitsrat der UN auch nicht mit Kritik. Die USA haben gegen einzelne Befehlshaber des Repressionsapparats bereits Sanktionen verhängt. Andererseits hat Kabila die wirtschaftlichen und militärischen Regionalmächte Angola und Südafrika auf seine Seite gezogen, ebenso die Afrikanische Union und mehrere Regionalorganisationen, in denen sich autoritär regierende Präsidenten gegenseitig unterstützen. Da die westlichen Länder die afrikanischen Staaten lange zur Übernahme von ­gegenseitiger »Verantwortung« gedrängt haben, können sie solche zweifelhaften Fälle gegenseitiger Unterstützung nur schwer kritisieren.
Die UN-Blauhelmsoldaten hingegen sind zum größten Teil in ländlichen Gebieten im Osten des Landes stationiert. Zwar sollen nun wieder mehr Truppen in die 2 000 Kilometer entfernte Hauptstadt verlegt werden, um dort die Sicherheit der Bevölkerung zu erhöhen. Für Teile des zivilen UN-Apparats wurde zudem eine weihnachtliche Urlaubssperre erlassen, um auf eine etwaige Erhebung der Bevölkerung zum Stichtag am 19. Dezember vorbereitet zu sein. Dass sich UN-Soldaten allerdings mit der paramilitärischen Polizei oder gar Kabilas Präsidi­algarde anlegen werden, sollte es zu einem weiteren Massaker kommen, kann ausgeschlossen werden.
Vorhersagen über den weiteren Verlauf der politischen Krise unterscheiden sich stark. Manche meinen, Kabila habe seine Macht so weit gefestigt, dass es auch am 19. Dezember kaum noch zu größeren Auseinandersetzungen kommen werde. Andere weisen auf immer wieder aufflammende Kämpfe und Massaker im Osten als Beginn einer neuen ländlichen Destabi­lisierung hin, während in den großen Städten die chancenlose Jugend sich zu einer Entscheidungsschlacht mit der Staatsmacht versammle. »Sie sagen, sie haben ohnehin nichts mehr zu verlieren und fürchten den Tod nicht. Sie sehen das als ihre letzte Chance«, kommentiert ein Geschäftsmann. »Und wenn man bei Protesten etwas plündern kann, umso besser.«