über die Faszination für Donald Trump

White Trash for President

Warum der Milliardär Donald Trump die Tellerwäscher dieser Welt wieder träumen lässt.

»Aus Trauer um mein Leben«, antworte Mascha in Anton Tschechows Stück »Die Möwe« auf die Frage, warum sie immer Schwarz trage. Aus Trauer über das Wahlergebnis in den USA ist manchen Hochschullehrern und -lehrerinnen dort die Lust auf farbige Kleidung vergangen, sie kamen in Schwarz in die Vorlesung. Während in den USA noch getrauert wird, zeigen sich deutsche Politiker und Politikerinnen schon reichlich gefasst. Außenminister Frank-Waltera Steinmeier (SPD), der bald selbst Präsident sein dürfte, raunte, dass seine Bemühungen um die transatlantische Verständigung »jetzt noch schwieriger« werden würden. Sigmar Gabriel (SPD) orakelt, Donald Trump sei »der Vorreiter einer autoritären Internationale«.
Andere bestehen darauf, einfach weiter gute Gedanken zu produzieren wie ein Musiker einen neuen Hit. Der Philosoph Slavoj Žižek etwa sagte wenige Tage vor der Wahl in einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität lakonisch, dass Trump einer der vielen Männer sei, denen, wenn sie überhaupt noch Zuhörer finden wollten, gar nichts anderes übrig bliebe, als ihre Jugend zu verlängern und sich noch mit 70 Jahren wie adoleszente Halbstarke aufzuführen. Doch ihn dafür zu kritisieren, sei heuchlerisch, so Žižek, denn die Kritik treffe ein patriarchalisches Subjekt, das sich weltweit gesehen längst auf dem Rückzug befinde.
Dass dieses Subjekt sich im Fall von Trump aber womöglich weniger für Rückwärtsbewegungen als für Rundumschläge interessiert, die vom sozialen System bis zur abweichenden Meinung alles Mögliche treffen sollen, ging aus den auf derselben Veranstaltung vorgebrachten Äußerungen des Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl hervor. Um zu überzeugen, arbeite Trump, so Vogl, mit aufgedrehter Lautstärke. Trump glaube an den Einfluss von ominösen Mächten und Lügenkartellen. Öffentlichkeit betrachte er als ein Forum für Affekte und Politik verbinde er grundsätzlich mit einem Ressentiment.
Dem lässt sich hinzufügen, dass das Ressentiment bekanntlich auch zur Grundausstattung von Trumps Klientel gehört. Für seine Anhänger und Anhängerinnen hatte der Kandidat über 18 Monate als lang ersehnter Ärgermacher performt. In seinem ganzen Leben wurde Trump nie etwas weggenommen, nicht mal zwei Pferde. Aber als Redner im Wahlkampf gerierte er sich trotzdem wie ein Michael Kohlhaas, der gegen das an ihm begangene Unrecht kämpfen will, sobald er Präsident wird, selbst wenn die Welt daran zu Grunde ginge. Seine Anhängerinnen und Anhänger bersten vor Freude darüber, dass er auch Gelegenheit dazu bekommt.
Unter den Wahlverlierern dagegen herrscht eine Stimmung ähnlich wie in den siebziger Jahren, als bekannt wurde, dass einer von Trumps Amtsvorgängern einen Einbruch in ein Wahlbüro der Demokratischen Partei in Auftrag gegeben hatte. Der Schock der Watergate-Affäre enstand damals aus der Erkenntnis, dass Politiker lügen können. Heutzutage ist es die beklemmende Erkenntnis, dass man sich völlig getäuscht hat.
Inzwischen zeigt sich, dass Trump nicht nur wegen seiner Versprechungen oder trotz seiner Aussagen gewonnen hat, nicht nur, weil er authentisch wirkte oder wie ein Opportunist oder weil ihn die erwähnten Mächte und Kartelle trotz intensiver Bemühungen einfach nicht klein genug gekriegt haben. Es würde auch nicht genügen, auf die vielzitierte Wut zu verweisen, die Menschen bekommen, weil sich die Konjunktur erholt, aber nicht ihr Kontostand.
Mehr Aufschluss gibt der Blick auf einen erstaunlichen Vorgang: Je weniger Aussicht besteht, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu bringen, je weiter Menschen sich davon entfernen, ihren amerikanischen Traum zu verwirklichen, desto stärker halten sie an diesem Traum fest. Der Glaube an ihn zeigt sich an der hingebungsvollen Verehrung, die denen entgegengebracht wird, die den Traum noch verwirklichen konnten. Selbst wenn ihnen das, wie in Trumps Fall, mit Hunderten Millionen geerbter Dollar ermöglicht wurde.
Geld hat mehr Charisma als Politik. Deshalb konnte Trump die Wählerinnen und Wähler nicht einfach nur für sich gewinnen, sondern ihnen die Köpfe verdrehen. So wie das Paris Hilton gelingt, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigt, wo junge Menschen bei ihrem Anblick in hysterisches Geschrei ausbrechen. Dass beide, Trump und Paris Hilton, nicht nur über viele Follower in sozialen Netzwerken verfügen, sondern auch über ein Riesenvermögen, macht sie glaubwürdig und attraktiv.
Wer dermaßen reich ist, so die Überzeugung, der kriegt alles hin. Er vermag, was sonst kaum jemand schafft, er kann Nationen wieder zu Größe führen und vielleicht nicht die ganze, aber doch zumindest meine Welt verbessern, meine Probleme lösen. Deshalb gebe ich ihm meine Stimme.
So zeigt sich, was nötig ist, um ein Donald Trump zu werden. Man muss weder eine besonders gute Ausbildung durchlaufen noch die geringsten Erfahrungen in der Politik gesammelt haben. Alles, was er oder sie braucht, ist so viel Geld wie Dagobert Duck, ein Mundwerk, das es im Angeben und Beleidigen mit den krassesten Rappern aufnehmen kann, sowie möglichst viele Auftritte im Fernsehen über einen möglichst langen Zeitraum. Wer sich dort präsentiert, erweitert weltweit seine beruflichen Möglichkeiten. Günther Jauch zeigte sich so lange in Anzug und Krawatte auf dem Bildschirm, bis ihn die flehendsten Appelle erreichten, sich doch bitte endlich für die Wahl zum Bundespräsidenten aufstellen zu lassen. Trump moderierte 14 Staffeln der Reality-Serie »The Apprentice« auf dem Sender NBC und beschied den um Jobs und Anerkennung bettelnden Kandidaten: »You’re fired!« Unerschütterlich war seine Grundüberzeugung, dass Bekanntheit der wichtigste Baustein einer Karriere sei. Hillary Clinton hat auch deshalb verloren, weil sie zu viel Zeit abseits der Kameras verbracht hat und zu selten in die Fernsehstudios ging.
Während Clinton sich noch von der Niederlage erholt, besinnt sich Trump auf seine Kernkompetenz und gewährt an der Seite seiner Ehefrau sowie seiner Söhne und Töchter der Journalistin Lesley Stahl ein Interview in der Fernseh-Sendung »60 Minutes«. Es ist, als würde die Ölmagnatenfamilie Carrington aus der seinerzeit unfassbar berühmten Serie »Der Denver-Clan« eine Audienz geben. Trump spricht vorsichtig und zurückgenommen und bestärkt dadurch noch das Gefühl, dass nicht nur der Moment, sondern auch jedes seiner Worte, jeder Blick und nicht zuletzt der Stuhl, auf dem er sitzt, bedeusam, historisch und großartig sei. Als gewählter Präsident und noch dazu vor laufenden Kameras wirkt Trump, als habe er eine Epiphanie gehabt, als wäre er sich selbst erschienen.
Vielleicht hat ihn das dazu bewogen, im Gespräch mit der Journalistin Punkt für Punkt das zurückzunehmen, was er vor der Wahl immer und immer wieder angekündigt hatte. Statt eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, genüge mancherorts auch ein Zaun. Die Krankenversicherung bleibe mindestens zu Teilen bestehen. Hillary und Bill Clinton seien gute Menschen, auf die er nicht gleich einen Staatsanwalt ansetzen müsse. Auch der angekündigte Kampf gegen Lobbyisten falle aus. Was er denn von den Demonstranten denke, fragt Stahl, die während des Interviews vor dem Trump Tower protestieren. »Die kennen mich nicht wirklich«, sagt Trump. Es klingt wie: »Die werden mich noch kennenlernen.« Noch Tage später ist Stahl, die nun selbst zu Interviews eingeladen wird, die Irritation über die Begegnung anzumerken. Trump steckt in ihrem Kopf und denen vieler anderer wie Kopfschmerzen.