Künstler aus der Ostukraine leben im Kiewer Exil

Vom Kunstzentrum zur Folterkammer

Izolyatsia galt vor dem Krieg als wichtigstes Kunstzentrum der Ostukraine. Die neuen Machthaber in der Donezker Volksrepublik haben es zu einem Foltergefängnis umgebaut. Viele Künstler haben mittlerweile den Donbass verlassen und leben im Kiewer Exil.

»Eure Kunst verstößt gegen unsere Werte.« Diese Worte hörte der Künstler Oleksandr Wynogradow von den Truppen der sogenannten Donezker Volksrepublik (DNR), als die Räume von Izolyatsia besetzt und die Künstler vertrieben wurden. In der Fabrik Izolyatsia wurde früher Isoliermaterial für Schiffe, Flugzeuge und militärisches Gerät hergestellt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging es mit der Produktion bergab. Die Tochter des ehemaligen Direktors schuf, inspiriert von der Kreativwirtschaft im deutschen Ruhrpott, das Kunst- und Kulturzentrum Izolyatsia, das im Jahr 2010 eröffnet wurde. »Obwohl Donezk über eine Million Einwohner hatte, gab es kaum Orte für Kunst und Kultur. Izolyatsia hat das verändert. Es wurde auf Anhieb der wichtigste Ort«, sagt Wynogradow.
Er erzählt diese Geschichte nicht in Donezk, sondern in Kiew, wo viele der Künstlerinnen und Künstler mittlerweile im Exil leben. Auf der rechten Uferseite des Dnepr stehen einige rostige Gebäude. In der alten Werft des Kiewer Stadtteils Podil wird ab und zu noch ein Schiff repariert, doch bekannt ist Podil für das Kreativcluster, das sich hier gebildet hat. Podil ist hip, aber noch erschwinglich. Hier sind einige der progressivsten Kunstakademien und alternativen Clubs angesiedelt, wie das berühmte Closer. Dennoch verirren sich nicht viele Kiewer hierher. Inmitten der Werften steht ein vierstöckiges Gebäude, das der zeitgenössischen Kunst gewidmet ist: das I-Zone, in dem Izolyatsia sein Exil gefunden hat.
Am 9. Juni 2014 traf sich Wynogradow mit Donezker Künstlern in Kiew, um über die Zukunft der Institution zu beraten: »Es war klar, dass Izolyatsia nicht in Donezk bleiben und Ausstellungen organisieren kann, wenn dort Panzer auf der Straße fahren.« Als die Künstler in Kiew waren, erhielten sie einen Anruf. »Das Gelände der Izolyatsia wurde von den Truppen der DNR besetzt.«
Auf dem Donezker Rathaus wehte zu diesem Zeitpunkt bereits die schwarz-blau-rote Flagge der prorussischen Separatisten. Der offene, demokratische und vor allem proukrainische Ansatz von Izolyatsia war der DNR ein Dorn im Auge. Wegen Förderungen aus den USA wurden die Institution und die Künstler als ausländische Agenten und Spione diffamiert. Das Gelände der Izolyatsia wurde von den Truppen eingenommen, auch weil es strategisch wichtig liegt und als Bunker genutzt werden kann. Wynogradow erinnert sich noch daran, was die Soldaten der DNR sagten: »Ihr könnt hierbleiben, aber wir werden dieses Gelände besetzen und für unsere Zwecke gebrauchen.« Der offiziellen Version der DNR zufolge sollten in dem Gebäude Hilfsgüter aus Russland gelagert werden. Diese »humanitäre Hilfe« kam vor allem in Form von Waffen auf das Gelände. Außerdem wurden gestohlene Autos zwischengelagert. Später wurden Räume in Gefängniszellen umgewandelt. »Wir haben auch Berichte über Folterungen, die dort stattgefunden haben«, sagt Wynogradow.
Opfer der Folterungen wurde auch der »Donezker Banksy« Sergej Sacharow. In einem Guerillaprojekt brachte er Karikaturen von DNR-Vertretern auf Hauswänden in Donezk an und machte sich damit öffentlich über sie lustig. Das missfiel der DNR. Sacharow wurde verhaftet und auf dem Gelände der Izolyatsia gefoltert. Sacharows Verwandte kauften ihn frei und er konnte Donezk verlassen. Inzwischen hat er ein Buch über seine Zeit im Gefängnis veröffentlicht.
Ein Großteil der Werke in der Izolyatsia ist unwiederbringlich verloren. Werke von Künstlern, die sich mit LGBT-Themen befassen, wurden als Zielscheiben bei Übungen verwendet, andere wurden verbrannt. Metallinstallationen wurden zerstört und als Altmetall verscherbelt.
Die Probleme mit Autoritäten und Gegnern in Donezk begannen jedoch lange vor der Besetzung durch die DNR. Polizei und prorussische Hooligans störten Ausstellungen auf dem Izolyatsia-Gelände und sagten, sie wollten keinen arabischen Frühling in der Ukraine. Dabei wurde auch eine Flagge der DNR hochgehalten. »Das war ein Jahr vor dem Beginn der Maidan-Proteste und beweist, dass das alles lange vorher geplant war«, spekuliert Wynogradow.
Mit der Besetzung der Izolyatsia endete auch die zeitgenössische Kunstproduktion in Donezk. Stattdessen gibt es in der Stadt zurzeit orthodox-christliche Heiligenbilder und Sowjetkitsch. Geprägt ist diese Propaganda von gewaltvollen Männlichkeitsbildern, in denen alles vermeintlich Dekadente, Schwule oder Westliche abgelehnt wird. Ultrapatriarchal, ultrapaternalistisch, ultrarussisch.
In Kiew setzten die Künstler ihre Arbeit fort. Im Exil haben sie die Ausstellung »Culture and Conflict – Izolyatsia in Exile« erarbeitet, die in ganz Europa gezeigt wurde und sich mit den Erfahrungen des Exils auseinandersetzt. Teil der Ausstellung sind auch Interviews mit DNR-Soldaten, die offen sagen, warum die Künstler von Izolyatsia nicht erwünscht sind: »Das ist keine Kunst, sondern dekadentes, pornographisches Material.« Oder: »Sie fördern offen die Homosexualität und das wollen wir bei uns nicht.«
Der Künstler Wiktor Korwik erzählt über die Situation in seiner Herkunftsstadt Donezk. Zurzeit lebt er im Kiewer Exil. Er ist zurückhaltend, seine Stimme ist leise. Er macht es sich neben dem Dnepr auf einer kleinen Bank gemütlich. Oft sagt er, dass er sich seiner Aussagen nicht sicher sei, dass er nicht viel über den Krieg wisse. Aber er hat ein klares Bild davon, wie der Krieg Donezk verändert hat: »Wir waren völlig überrascht und haben gemerkt, dass wir die Menschen in unserer Umgebung gar nicht kennen. Die prorussischen Kräfte waren vom Autoritarismus angezogen. Wir haben einen Teil der Gesellschaft kennengelernt, den wir niemals kennenlernen wollten.«
Korwik zog im Juni 2014 von Donezk nach Kiew. Seine Werke konnten gerettet werden, weil sie wenige Tage vor der Besetzung aus dem Donbass herausgebracht wurden. »Wir haben in der Luft gespürt, dass etwas passieren wird. Es war noch kein richtiger Krieg, aber es gab bereits Schüsse in Slowjansk. Viele Menschen gingen ans Meer, um abzuwarten, bis die Spannungen enden, aber sie endeten nicht. Sie wurden zum Krieg.«
Korwik ging nicht ans Meer, sondern nach Kiew. Eigentlich wollte er nur einen Monat dort bleiben, doch dann brach der Krieg aus und er blieb. Donezk besuchte er seitdem dreimal. Für ihn ist das Reisen in den Donbass kein Problem. In seinem Pass ist vermerkt, dass er aus der Region kommt. Seine Freundin kommt nicht aus dem Donbass und muss sich für die Einreise eine Erlaubnis der DNR holen. Bei einem seiner Besuche merkte Korwik, dass sich die Menschen in seiner Heimatstadt geändert haben, weil der Krieg und die ständigen Schüsse für sie zur Normalität wurden: »Um fünf Uhr hört man Schüsse, weit entfernt, aber man kann sie hören. Alle bleiben still, sie leben in ihrer Blase. Die Töne der Schüsse sind für viele normal geworden und stören sie äußerlich nicht mehr. Im Inneren stört es sie natürlich weiterhin. Ich habe manchmal aber das Gefühl, sie wollen diesen Schmerz und die Gefühle, die der Krieg auslöst.«
Auch in Donezk gab es einen Maidan. Korwik war dort. Genau drei Jahre ist das her. In der Stadt standen den proukrainischen Kräften von Anfang an prorussiche gegenüber. Oft kam es zu Schlägereien zwischen beiden Gruppen. Bei Kämpfen wurde ein proukrainischer Demonstrant erstochen. »Die Versammlungen endeten oft mit solchen Kämpfen«, sagt Korwik Obwohl Russisch seine Erstsprache ist, stand er auf der proukrainischen Seite. Das hat ihn von mehreren in seiner Familie entfremdet. Seine Eltern und die meisten anderen leben noch immer in Donezk. »Die Proteste waren einerseits inspirierend, anderseits waren sie sehr aggressiv und beängstigend. Dort hatte ich schon das Gefühl, etwas würde passieren«, sagt Korwik. Drei Jahre nach Beginn der Proteste auf dem Maidan ist er nicht mehr hoffnungsfroh, was die Zukunft der Ukraine angeht. Nach Donezk möchte er jedenfalls nicht zurückziehen.