Der Film »Right Now, Wrong Then«

Es hätte alles anders kommen können

Der südkoreanische Regisseur Sang-soo Hong erzählt in »Right Now, Wrong Then« eine Geschichte zweimal – mit unterschiedlichen Verläufen.

Langeweile hat keinen Platz im Leben, es gibt viel zu viel zu tun. Das behauptet die junge Künstlerin Hee-jeong. Sie war mal Model – und bekommt nun immer wieder zu hören, wie schön sie sei. Ihr schmeichelndes Gegenüber ist der Filmregisseur Cheon-soo, quasi ein Promi, der sich mit Oberflächen auskennen sollte. Mit Langeweile hoffentlich auch. Sein Blick macht Hee-jeong später in einer Bar verlegen, weil er sie spüren lässt, dass er sich in sie verliebt hat. In ihrem Atelier spricht Cheon-soo auch über Hee-jeongs neues Bild – nicht weniger ­eitel als die abgebrühten Kritiker, die er eigentlich verachtet: »Konventionalität ist besänftigend. Es ist leicht, sich damit selbst zu trösten.« Seine Diagnose für die junge Frau lautet: Selbstmitleid. Sie solle sich doch ­zunächst einmal trösten lassen, zum Beispiel von einem Mann, und erst dann weiter malen. Sonst wäre sie nicht selbstbewusst genug, Risiken einzugehen. Und erst das Risiko mache ein Kunstwerk interessant!
Zwei Varianten einer Begegnung zwischen zwei Menschen gilt es in zwei Stunden zu erkunden, unter zwei Titeln. »Right Then, Wrong Now« wird im Verlauf des Films zu »Right Now, Wrong Then«. Nur eine kleine Umstellung braucht es, um aus einer Geschichte eine andere zu machen, in einer Begegnung eine andere Entwicklung freizulegen, eine andere Nuance derselben Empfindung: Liebe. Diese Menschen verlieben sich. Und sie wissen sich dabei meistens nur mit Worten zu helfen. Was richtig ist und was falsch, scheint zunächst nebensächlich. Denn auf allen Pfaden, auf die sie sich begeben könnten, liegen weitere Möglichkeiten. Wenn Cheon-soo in der ersten Episode ruppig damit konfrontiert wird, dass er mit einer Floskel angegeben hat, dann verändert das seinen Blick auf die ­eigene Rhetorik: »Zum Teufel damit. Ich verstehe nicht, was so wichtig da­ran sein soll, solche Worte zu finden. Ich für meinen Fall, ich glaube nicht, dass es so wichtige Worte gibt. Es ist eher so: Sie kommen einem in die Quere.«
Neben einem bezaubernden Sinn für das Zwischenmenschliche zeigt der jüngste Film des südkoreanischen Regisseurs Sang-soo Hong eine Begeisterung für das Kurzschließen von Situationen und für die Funken, die dabei entstehen.
Ein Regisseur, der in »Right Now, Wrong Then« auch als Schauspieler auftritt, als Akteur der Erzählung, begegnet einer vielgestaltigen Malerin mit Model-Vergangenheit – das allein liefert Stoff. Ihre Begegnungen kommentieren sich, bereichern sich, ergänzen sich. Und im Grunde ­berühren sich diese Menschen über die Sprache des Kinos und gleichermaßen in einem Kinosaal, der kurz vor Ende nur für einen Moment zum Schauplatz der Geschichte wird. Wenn Hee-jeong zum ersten Mal ­einen Film von Cheon-soo sieht, dann schaut sie aus der Perspektive zwischenmenschlicher Realität heraus auf diesen Film. Sie versteht die Bilder als facettenreichen Ausdruck eines Menschen, von dessen Charakter sie zuvor gekostet hat. Aber eben nur ansatzweise und zweimal auf verschiedene Arten.
Die Geschichten beider Figuren und die Treue zum Wort sind an diesem Punkt nicht mehr so wichtig. Man hat einen Blick unter die Oberflächen erhalten. Es geht um das Vertrauen auf ein gemeinsames Gefühl zwischen diesen Menschen, aber auch zwischen den Zuschauern und dem Film, um eine Intuition, die keine Geschichte benötigt.
Selbstverständlich, dieses Kennenlernen hat eine Zeitlichkeit, einen Fortgang, eine Route, bestimmt auch eine Strategie. Denn man möchte ja etwas voneinander, das nicht egal ist. Aber die Aufmerksamkeit füreinander, die ist hier zunächst einmal und in letzter Konsequenz bedingungslos. Und da ist ein Film, der Aufmerksamkeit weckt und mit aufmerk­samen Blicken umzugehen sucht.
Sang-soo Hong gelingt es, all diese Komplikationen zunächst einmal zu entwickeln und dann innig vergnügt darüber zu lachen. Das gleicht in etwa einem Augenzwinkern unter Freunden. Der Humor spielt sich ­weder nur innerhalb einer Geschichte als Situationskomik ab, noch setzt er sich als arroganter Kommentar über die Köpfe der Figuren hinweg. Vielmehr sind sich alle darüber im Klaren, dass nicht immer alles ist, wie es scheint – oder zumindest, wie man es sich einredet und einander beschreibt. »Manchmal spiele ich etwas vor. Wenn mir langweilig ist«, sagt der betrunkene Kerl, dem angeblich nie langweilig ist.
Zweimal begegnet er nachts einigen Leuten im Café, die er eigentlich nicht kennt. Die eine Frau ist ein Fan. Die Chemie mit der anderen Frau stimmt nicht und zuerst liest sie ihm die Leviten. Die zweite Begegnung ist nett, geradezu euphorisch. Aber ihm wird langweilig, weil alles zu glatt läuft. Nur Bewunderung, das macht einen nicht glücklich. Und wenn einem im Suff langweilig ist, dann kommt man eben auf dumme Ideen. Er improvisiert also. Nach seiner kleinen Show sagt er, er liebe das Schauspiel. Ist das nun eine Ausrede oder war das alles Kalkül? Und dann setzt er noch einen drauf, sprengt die Situation. Weil eine Situation eben manchmal nicht auszuhalten ist. Oder vielleicht auch, weil man Konsquenzen manchmal provozieren muss, um sie besser zu verstehen. Wenn man verliebt ist, dann traut man sich das nicht immer. Aber man ist ja zum Glück nicht immer verliebt. Das wäre völlig überfordernd.
Für alle, die gerne ausbrechen, ist dieser Film ein Freudenfeuer. Oder zumindest ein wärmendes Lager­feuer. Man kann es sich mit Sang-soo Hongs Leichtigkeit gemütlich machen, doch das Ganze bleibt trotzdem unberechenbar und heiß, beizeiten romantisch. Und auch erotisch, in kleinen Gesten und manchmal in ­langen Blicken. Die Dauer eines Blicks, die lässt eine Situation manchmal kippen, besonders wenn niemand dabei etwas sagt und man sich noch nicht so gut kennt. In den zwei Stunden von »Right Now, Wrong Then« kippt tatsächlich so einiges. In einer Episode bekommt der Regisseur ein Buch geschenkt: »Sie sagten, nur wenn wir entdecken, was in der Oberfläche unseres Lebens steckt, können wir unsere Ängste überwinden. Ich empfinde das auch so.« Das Abs­trakte zu Hilfe zu holen, das passiert mal. Einem anderen Menschen gegenüber etwas preiszugeben, das versteht sich aber noch lange nicht von selbst. Die Angst, ehrlich miteinander zu sein, die ist hier wichtig, die sabotiert zunächst alles. Ein kleines Verschweigen wird bei einer wichtigen Sache schnell zu einem großen Unterdrückten. Es geht dann um Aufrichtigkeit. Die ist verletzend, wenn sie ausbleibt. Die überschreitet Grenzen, wenn sie unbedacht ist.
Sang-soo Hong hat genaugenommen nichts mehr zu beweisen nach den vielen Festivalauszeichnungen, die er international erhalten hat. Gelobt wird der Regisseur aus allen Richtungen, fast immer, wenn über ihn berichtet wird. Einen offiziellen Kinostart in Deutschland bekommt Sang-soo Hong jedoch zum ersten Mal, obwohl er seit 1996 preisgekrönte Filme macht. Zu verdanken ist dies dem Mut von Grandfilm, der als erster Verleih auch ein 250minütiges Epos des philippinischen Regisseurs Lav Diaz ins deutsche Kino brachte. Dabei ist Diaz ein ebenso schwer vermarktbarer wie einzigartiger Regisseur mit langen Arbeiten.
In Sang-soo Hongs Film fragt Cheon-soos Assistentin immer wieder um Erlaubnis, wenn sie sich eine ­Zigarette ansteckt. Nur einmal, da tut sie es, ohne zu zögern. Als klar ist, dass er sich nicht für sie interessiert. Sie stehen dann in einer Gruppe zusammen, mit dem eitlen Filmkritiker. Cheon-soo selbst spricht auch einmal von Erlaubnis. Er bedankt sich bei Hee-jeong, dafür dass sie ihm ­diese schönen Gefühle erlaubt. »Liebe ist Liebe, stimmt’s?«
Right Now, Wrong Then (KR). Regie:
Sang-soo Hong. Darsteller: Jae-yeong ­Jeong, Min-hee Kim, Yeo-jeong Yoon