im Gespräch mit Maryam Namazie, Sprecherin des Council of Ex-Muslims of Britain, über Linke, Religion und Kritik am Islam

»Minderheiten sind keine homogenen Gemeinschaften«

Als Sprecherin der britischen Ex-Muslime kämpft Maryam Namazie für Menschenrechte und Atheismus. Im Zuge der Debatte um die Mohammed-Karikaturen und nach dem Anschlag auf »Charlie Hebdo« verstärkte sie ihr Engagement gegen den politischen Islam. In der Studie »Siding with the Oppressor: The Pro-Islamist Left« beschreibt Namazie die autoritäre Querfront.

Warum scheint es insbesondere ­europäischen Feministinnen oder Linken so schwer zu fallen, Religion grundsätzlich zu kritisieren? Religion ist in einer privilegierten Po­sition. Anders als andere Ideen, von ­denen erwartet wird, dass sie offen gegenüber Kritik sein müssen, ist Reli­gion in dem Sinne privilegiert, dass Kritik an ihr wahrgenommen wird als Verletzung der Empfindungen und ­Gefühle von Menschen. Kritisiert man politische Ansichten, wird man nicht mit dem gleichen Vorwurf konfrontiert. Daher ist Religion bereits irgendwie ein Tabubereich, aber gerade wenn es um die Religion von Minderheiten geht, gilt Kritik als absolut tabu, selbst wenn man selbst einer Minderheit ­angehört. Und auch wenn man einen ähnlichen Hintergrund hat, aber die Religion kritisieren will. In den vergangenen Jahrhunderten gab es harte Kritik an Religion, wie wir wissen. Ein Teil der Anstrengungen, das Christentum zum Beispiel aus seiner Machtposition und aus dem öffentlichen Raum zu drängen, ging auf eine Bewegung zurück, die sehr reli­gionskritisch und antiklerikal war. Leider leben wir heutzutage in einer Zeit des Multikulturalimus, des kulturellen Relativismus und des Endes universeller Rechte und Freiheiten, so dass jegliche Kritik als Angriff auf eine Minderheit verstanden wird. Es geht nicht darum, dass Rassismus nicht existieren würde oder dass Minderheiten für ihren Glauben oder ethnische Zugehörigkeit nicht angegriffen würden, aber das ist einfach etwas, das getrennt davon betrachtet werden muss, dass ­Kritik an Religion zum freien Denken und zur freien Meinungsäußerung ­gehört. Sie haben angemerkt, dass »Islamophobie« als politischer Begriff dazu genutzt wird, um Kritik zu delegitimieren. Der Islam ist eine Religion. Selbst wenn man Religion oder eine andere Welt­anschauung, eine politische Idee etwa, nicht mag oder gar hasst – wir alle ­hassen bestimmte Arten von Ideen –, ist die Kritik daran keine Intoleranz, kein Rassismus. Was leider passiert ist, ist Folgendes: Es gibt eine Verschmelzung von Islam als Idee, Islamismus als rechtsextremer politischer Bewegung und Muslimen, so dass die Kritik am Islam oder Islamismus oft als Angriff auf Muslime gesehen wird. Natürlich ist das nicht der Fall. Es gibt viele Muslime, die den Islam kritisieren oder hinterfragen und Abstand nehmen von traditionellen islamischen Regeln. Und natürlich gibt es viele Muslime, die nicht einmal Muslime sind; Sie sind Atheisten, Freidenker, Agnostiker oder gehören religiösen Minderheiten an. Aber weil die Gemeinschaften und Gesellschaften homogenisiert wurden, wirken sie wie ein authentischer Körper, der sehr religiös und konservativ ist und jeden töten wird, der nicht einverstanden ist. Was nicht unbedingt so sein muss. Der Begriff »Islamophobie« wird genutzt, um Kritik am Islam zum Schweigen zu bringen. Klar gibt es Rasissmus und Intoleranz gegenüber Muslimen und Migranten, aber »Islamophobie« ist ganz klar darauf ausgerichtet, Kritiker zum Schweigen zu bringen, nicht Muslime gegen Rassismus zu schützen. Denn letzten Endes kann man Rassismus nicht durch die Zensur von Ideen stoppen. In der Zeitung The Independent wurden Sie zum Thema »Muslime in Großbritannien, die nicht länger Muslime sind beziehungsweise nicht mehr sein wollen« zitiert. Ist das ein Trend? Ich nenne das einen »Tsunami des Atheismus«, was in den sogenannten muslimischen Gemeinschaften oder Gesellschaften geschieht. Wenn man mit Religion als einer politischen Bewegung konfrontiert wird, ruft das eine Gegenbewegung hervor. Ich selbst wurde als Muslima erzogen. Ich wurde nicht anders behandelt, weil ich ein Mädchen war, wurde nicht gezwungen zu beten und mir wurde auch nicht ­gesagt, ich sei die Ursache für Chaos in der Gesellschaft. Es war einfach ein Teil mehrerer Identitäten, die Menschen einem geben, und mir machte das nichts aus, bis es zu einem Problem wurde. Und vor allem für viele junge Menschen wird es das, da es eine große junge Bevölkerung im Nahen Osten und Nordafrika und auch in der Diaspora gibt, wo man diese Beschränkungen junger Menschen ständig findet. Sie bekommen nicht nur gesagt, was sie denken sollen, sondern auch, wie sie sich kleiden sollen, sie dürfen keine Musik hören, können nur Sex gemäß religiöser Vorschriften haben; Mädchen dürfen Jungen nicht die Hand geben, sie müssen segregiert werden, dürfen nicht zu laut lachen, müssen sich verschleiern etc. Es gibt da ständig Widerstand der jungen Leute. Offensichtlich ist es eine explosive Situation, wenn man auf der einen Seite viele junge Menschen hat und auf der anderen repressive ­Regeln und Staaten, die Sittenwächter auf die Straßen schicken, um deren Einhaltung zu kontrollieren. Falls alle mit diesen theokratischen Regeln einverstanden wären, bräuchten sie keine Moralpolizei, müssten Menschen nicht zu Tode steinigen und wegen Apostasie hinrichten, wie es in 13 Ländern der Fall ist. Saudi-Arabien etwa setzt Atheismus mit Terrorismus gleich. Sie sehen also offenbar, dass es ein großes Problem und großen Widerstand gibt, deswegen sind sie so beunruhigt und gehen so brutal gegen freies Denken vor. Wenn wir über die Einschränkungen des Multikulturalismus und homo­genisierte Gemeinschaften hinausdenken, ist es sehr leicht zu sehen, dass es eine große Zahl an Freidenkern gibt. Es gibt viele politische und soziale Bewegungen, auch säkulare und revolutionäre. Man muss einfach für das Recht auf freies Denken kämpfen, das geschieht mit viel Mut und Risiken. In Europa, in Frankreich und Deutschland, scheint sich ein liberaler Islam zu entwickeln, der ­versucht, dem Islamismus entgegenzuwirken. Ist ein organisierter liberaler Islam eine angemessene ­politische Reaktion? Es gibt einen Unterschied zwischen ­liberalem Islam und liberalen Muslimen, genauso wie es einen zwischen ­islamischen Menschenrechten und Muslimen gibt, die Menschenrechte hochhalten; oder auch zwischen is­lamischen Feministinnen und Muslimen, die feministisch sind. Menschen können liberal, feministisch, säkular sein; Religion ist regressiv, gegen Frauen, dogmatisch – sie kann nie liberal sein. Aber Menschen können sie dahingehend interpretieren. Ich halte das für einen wichtigen Unterschied. Falls der Islam liberalisiert wird, dann nur, weil er aus der Politik verbannt sein wird dank Menschen, die dafür gekämpft haben. Dann werden Menschen frei atmen und anders denken dürfen. Im Moment werden auch viele Muslime, die nicht in das islamistische Narrativ passen, verfolgt, so wie Apostaten und religiöse Minderheiten. Der Kampf von Liberalen, Progressiven – ob Muslime, Ex-Muslime oder andere – ist wichtig, da er das islamistische Narrativ herausfordert, aber was den Islam grundlegend ändern wird, ist, wenn er keine politische Macht mehr hat. Dann wird er vielleicht als tolerantere Religion angesehen, wie das Christentum. Dieses spielt aber in Ländern in Europa, etwa in Polen oder ­Irland, oder in Afrika eine sehr hässliche, misogyne und menschenverachtende Rolle, wo immer es Zugang zu Macht hat. Es erscheint immer dort kuschliger, wo es aus der Politik und aus dem Staat gedrängt wurde, und das ist in erster Linie eine politische Auseinandersetzung, wenn auch ideologische Kämpfe sehr wichtig sind. Wo wir über Ideologie reden. In ­Ihrer Studie »Siding with the Oppressor: The Pro-Islamist Left« greifen Sie vor allem die europäische Linke für deren fehlende Kritik am Islamismus an. Wir haben zwei Schriften veröffentlicht, eine kritisiert die proislamistische ­Linke, die andere aber die extreme Rechte. Dieser Teil der Linken – und ich sage das als eine Person, die selbst links ist – sieht wegen seiner antiimperialistischen Neigung und seiner antikolonialen Perspektive jeden Widerstand gegen imperialistische Staaten als revolutionäre Kraft. Diese Linke kann nicht verstehen, dass der Islamismus, auch wenn er den westlichen Imperialismus herausfordert, ebenso eine regressive und unterdrückerische Kraft ist. Es geht nach dem Schema: Der Feind meines Feindes ist mein Verbündeter, daher unterstützt jener Teil der Linken die Islamisten. Sie denken, diese seien eine Widerstandsbewegung wie der ANC in Südafrika gegen die Apartheid. Aber es ist eine grundlegend andere Bewegung, die in den Ländern, in denen sie die Macht übernommen hat, in erster Linie die Linke angegriffen und die Arbeiterbewegung vernichtet hat. Die ­Islamisten haben ihre eigenen imperialistischen Projekte, wenn sie die Macht übernehmen. Des Weiteren denkt diese Linke, dass sie eine antirassistische Position einnimmt, dass sie damit Minderheiten verteidigt. Sie sieht nicht, dass Minderheiten keine homogenen Gemeinschaften sind. Sie stellt sich auf die Seite der Islamisten, derjenigen an der Macht, die unterdrückerischen Kräfte, und hilft somit Minderheiten innerhalb der Minderheit zu unterdrücken. Sie beschreiben Allianzen zwischen dem syrischen Regime unter Bashar al-Assad und dem Iran. Auch Deutschland und andere europäische Länder nähern sich dem Iran an. Welche Rolle werden der Iran und das Assad-Regime in Zukunft spielen? Der Iran ist auf jeden Fall eine Säule der Bewegung des politischen Islam. Der Aufstieg der Bewegung folgte der Schaffung eines islamischen Regimes im Iran. In den vergangenen 40 Jahren haben wir gesehen, wie sich die Welt wegen der Macht dieser Bewegung komplett verändert hat. Nicht vergessen werden darf dabei, dass diese ­Bewegung auf die Bühne kam wegen der US-Außenpolitik während des ­Kalten Kriegs, als versucht wurde, eine grüne islamische Mauer um die Sow­jetunion zu bauen. Historisch ist die westliche Komplizenschaft bei der Schaffung der heutigen Lage also sehr klar, dennoch gibt es einige Regierungen, die dafür Muslimen und Migranten die Schuld geben, obwohl sie selbst gute Beziehungen zu islamistischen Staaten pflegen, zum Beispiel zum Iran, oder islamistische Organisationen unterstützen. Viele islamistische Organisationen in Großbritannien zum Beispiel haben einen Wohltätigkeitsstatus. Islamisten sind selbst imperialis­tiche Kräfte, der Iran versucht in der Region ein major player zu werden und steht in Konkurrenz zu Saudi-Arabien. Wir müssen versuchen, die Situation zu lösen, ohne es schlimmer zu machen. Ich habe keine große Hoffnung, dass die deutsche oder britische Regierung etwas unternimmt. Aber ­politische und soziale Massenbewegungen haben etwa die Apartheid in Südafrika beendet; es geht darum, wie viel Druck man ausüben kann, wie man die Politik der Regierungen beeinflussen kann. Es ist schwerer geworden, weil Solidarität, wie wir sie vor 30 oder 40 Jahren kannten, heute wegen kul­turellem Relativismus und Identitätspolitik nicht mehr existiert. Wer nicht authentisch scheint, wie ich, wird oft ignoriert oder zum Schweigen gebracht. Aber es geht um den Kampf für poli­tische Ideen und universelle Rechte, die allen zugute kommen, nicht nur den Regressiven unter uns. Falls wir das nicht tun, überlässt man den Raum der extremen Rechten. Es geht darum, sowohl die Islamisten als auch die extreme Rechte in all ihren Formen zu bekämpfen und auch darum, die Regierungen davon abzuhalten, Muslimen die Schuld zu geben, statt gegen Islamismus vorzugehen. Ein Grund dafür, warum sie es nicht tun, ist, dass sie ein Interesse daran haben, eine bestimmte Form des Islamismus beizubehalten, um sowohl Minder­heiten in westlichen Gesellschaften als auch international besser managen und kontrollieren zu können, eine Art Irakisierung der Welt, die Aufspaltung der Welt in Ethnien und Religionen. Dagegen müssen wir auf universelle Werte pochen, auf Säkularismus und Bürgerrechte.