Für zwei Anschläge in Sachsen wurden rechte Tatverdächtige ermittelt

An der Tanke mit dem netten Polizisten

Bei der Aufklärung von rechtsterroristischen Anschlägen in Sachsen haben Polizei und Geheimdienste versagt. Ein Polizist soll Nazis mit Informationen für Anschläge versorgt haben.

Es war also doch die Gegenseite. Die jüngsten Ermittlungen der sächsischen Behörden widerlegen vorhergegan­gene Meldungen, wonach für zwei Anschläge im Freistaat radikale Linke ­verantwortlich gewesen seien. Der Angriff auf die Wohnung von Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) im November 2015 in Leipzig wurde wohl von Tätern aus dem rechten Milieu verübt. Wie die Leipziger Volkszeitung aus Ermittlerkreisen erfuhr, handelt es sich bei einem mutmaßlichen Täter um einen Hooligan des Fußballregionalligisten 1. FC Lokomotive Leipzig. Der 29jährige stamme »aus einem politisch rechts motivierten Milieu«. Bei dem Anschlag wurde nur knapp das Bett eines Kindes des Ministers verfehlt.
Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz war zunächst von einem von Linken verübten Gewaltakt aus­gegangen. Sowohl »Vorgehensweise als auch Zielobjekt des Anschlags« sprächen für diesen politischen Hintergrund, so das Innenministerium im Februar in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz (Linkspartei). Das Ministerium berief sich in seiner Stellungnahme auf den Verfassungsschutz. Die Begründung für dessen Vermutung: Linksextremisten sähen im Justizminister einen Repräsentanten des ihnen verhassten »Repressionsapparats«. Nach der Identifizierung zweier linker Verdächtiger hieß es zuletzt, beide ­seien bislang nicht als »politische Ex­tremisten« aufgefallen.
Nun also die Kehrtwende. Auf die Spur des 29jährigen Kirgisen und eines gleichaltrigen Deutschen waren die ­Ermittler durch DNA-Abgleiche gekommen. Bisher bestreiten beide Beschuldigte die Tat. Der Oberstaatsanwalt sagte der Leipziger Volkszeitung, dass nach bisherigen Erkenntnissen »nicht nur die beiden, sondern mehrere Täter« an dem Anschlag beteiligt gewesen seien. Weitere Angreifer konnten bisher nicht ermittelt werden.
Nach dem Sprengstoffanschlag auf die Fatih-Camii-Moschee und das Kongresszentrum in Dresden Ende September war ebenfalls über eine Tatbeteiligung von Antifaschisten spekuliert worden. Grundlage dafür war ein von einer »Antifa Dresden« im Internet veröffentlichtes Bekennerschreiben. Der Text strotzte vor Rechtschreibfehlern und anderen Ungereimtheiten, weshalb viele Beobachter damals an der Echtheit zweifelten. Vergangene Woche nahm eine Spezialeinheit einen 30jährigen Tatverdächtigen fest. Dem MDR bestätigte der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz, dass der festgenommene Nino K. im Sommer 2015 als Redner bei Pegida in Dresden aufgetreten sei. Seinen sieben Minuten langen ­Auftritt nutzte er dem Berliner Tagesspiegel zufolge vor allem für eine ­Abrechnung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Diese sei »nicht mehr tragbar als Repräsentantin unseres deutschen Landes, unseres deutschen Volkes und vor allem unserer christlich-deutschen Kultur«. Zudem sagte er: »Frau Kanzlerin, wir sind nicht die bösen Nazis, für die Sie uns halten.« Lutz Bachmann, der Vorsitzende des Pegida-Fördervereins, distanzierte sich in einer ersten Reaktion von dem mutmaßlichen Attentäter, nur um einige Stunden später die Behauptung nachzuschieben, Nico K. sei ein »Pegida-Dresden-Hasser und Bachmann/Däbritz-Gegner« gewesen. Zwei Tage später postete Bachmann seine Zweifel, dass der mutmaßliche Täter überhaupt auf einer Pegida-Veranstaltung aufgetreten sei. Er wolle »bis zur Auswertung unseres Materials durch die Polizei« warten, die »dafür zweifellos die bessere Technik und ­Spezialisten hat«.
Das beinahe freundschaftliche Verhältnis von Teilen der sächsischen Behörden zu Pegida ist keine Neuigkeit. Die Nachricht, dass die rechtsterroristische »Gruppe Freital« Tipps von einem Beamten der Bereitschaftspolizei bekam, dagegen schon. Über Monate terrorisierte die Organisation die Kleinstadt nahe Dresden. Ihre Mitglieder griffen zwei Asylunterkünfte mit Sprengsätzen an, brannten das Auto eines Politikers der Linkspartei ab, demolierten sein Büro und attackierten ein alternatives Wohnprojekt in Dresden. Der Gruppe ging es darum, ein »Klima der Angst« zu schaffen, heißt es in der Anklage der Bundesanwaltschaft. Sie sei hierarchisch organisiert gewesen, habe sich konspirativ ver­halten, ihre Taten genau geplant und das Töten von Menschen »billigend in Kauf« genommen. Timo S. ist der mutmaßliche Anführer der Gruppe. In seiner Vernehmung hatte er behauptet, der Mitangeklagte Patrick F. habe einen Bekannten bei der Bereitschaftspolizei, der sie mit Informationen versorgt habe, etwa mit Ratschlägen, wie sie am besten vom Tatort fliehen konnten. Als Ende November Journalisten der Wochenzeitung Die Zeit die Staatsanwaltschaft Dresden danach befragten, gab diese erst nach langem Zögern zu, dass sie in diesem Fall gegen unbekannt ermittelt.
Dabei ist der Name des beschuldigten Polizisten bekannt. Im August räumte Patrick F. dem Spiegel zufolge ein, den Beamten seit langer Zeit zu kennen. Gegen den Angeklagten wurde vor sechs Jahren schon einmal wegen rechtsextremer Taten ermittelt. Er war als Mitglied der im Umfeld von Dynamo Dresden angesiedelten Hooligan-Truppe »Faust des Ostens« ins ­Visier der Ermittler geraten. Schon damals habe er Kontakt zu dem Polizisten gehabt, sagte F. aus. Der Beamte habe ihm schon zu dieser Zeit »auch ein bisschen unter die Arme gegriffen«. Darüber hinaus habe sich der Bereitschaftspolizist mit der Terrorgruppe an einer Aral-Tankstelle in Freital getroffen, wo diese sich oft aufgehalten habe.
Dem beschuldigten Polizisten droht nicht nur wegen Verrat von Dienst­geheimnissen eine Strafe. Sollte die »Gruppe Freital« als rechtsterroristisch eingestuft werden, könnte den Beamten auch eine Anklage als Terrorhelfer erwarten. Für die Staatsanwaltschaft Dresden könnte der Fall ebenfalls Folgen haben. Der Verdacht, sie habe nicht sofort gehandelt, als sie von dem Verrat von Dienstgeheimnissen erfuhr, wiegt schwer. Ein Aktenzeichen zeigt, dass das Verfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen unbekannt erst 2016 eröffnet wurde. Dabei war eine Staatsanwältin bei dem Verhör im Dezember 2015 dabei.
Dass es notwendig ist, entschieden gegen rechtsterroristische Kreise in Sachsen vorzugehen, beweist ein weiterer Schlag gegen die ortsansässige ­Szene. Ende November durchsuchten die Behörden in Dresden und Heidenau zahlreiche Wohnungen und nahmen sechs Verdächtige fest. Sie ge­hören allesamt zur »Freien Kameradschaft Dresden« und stehen im Verdacht, mindestens 14 rechtsmotivierte Straftaten verübt zu haben. Dazu ge­hören eine Sprengstoffexplosion, versuchte Brandstiftung, Landfriedensbruch, Körperverletzungen und Sachbeschädigung. Außerdem gibt es ­Verbindungen zu Anschlägen auf Asylheime in Freital, Heidenau und Dresden. Mindestens acht Personen dieser Gruppe sollen an den Ausschreitungen zu Jahresbeginn im Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt gewesen sein.