Adél Holdampf-Wendel, Bitkom, im Gespräch über Flexibilität und digitalen Wandel

»Es herrscht noch viel Unwissen«

Der Bitkom ist der Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche und vertritt mehr als 2 400 Unternehmen der digitalen Wirtschaft. Der eigenen Beschreibung zufolge setzt sich Bitkom »für eine innovative Wirtschaftspolitik, eine Modernisierung des Bildungssystems und eine zukunftsorientierte Netzpolitik« ein. Adél Holdampf-Wendel, Bereichsleiterin Arbeitsrecht und Arbeit 4.0, sprach mit der »Jungle World« über Menschen, Maschinen und die Zukunft der Arbeit.

»Industrie 4.0« und »Arbeiten 4.0« sind Begriffe, die die politischen ­Debatten immer mehr bestimmen, nicht nur, wenn es um Sozialpolitik, sondern auch, wenn es grundsätzlich um die Zukunft der Gesellschaft geht. Herrscht in der Öffentlichkeit Klarheit über die Dimension der Veränderung?
Viele Menschen haben bereits in ihrem Arbeitsalltag erfahren, dass die zu­nehmende Digitalisierung Veränderungen mit sich bringt, in den Medien wird das auch immer mehr aufgegriffen und schließlich hat der Prozess, der Ende November ins »Weißbuch Arbeiten 4.0« der Bundesarbeitsministerin mündete, schon große Öffentlichkeit erlangt. Es wird immer deutlicher, über welche Änderungen wir reden, die Debatte darüber wird immer differenzierter geführt, obwohl noch sehr viel Unwissen herrscht. Oft werden Zahlen in den öffentlichen Raum geworfen, die bestimmte Aspekte des Wandels nicht berücksichtigen. Ich denke dabei an die Frey-Osborne-Studie aus dem Jahr 2013, die in diesem Zusammenhang oft zitiert wird und bedrohliche Szenarien von massenhaftem Arbeitsplatzverlust zeichnet. (Nach Einschätzung der beiden Autoren dieser Studie arbeiten derzeit in den USA 47 Prozent der Beschäftigten in Berufen, die in den nächsten 20 Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 70 Prozent automatisiert werden können, Anm. d. Red.)
Setzt sich ein Bewusstsein dafür durch, dass es nicht nur um das Arbeiten am Smartphone oder Tablet, sondern um einen gesellschaftlichen Wandel geht?
Ja, das setzt sich immer mehr durch, weil viele Beschäftigte in der Praxis erleben, wie viele Technologien die Arbeit verändern und oft erleichtern. Das wird in immer mehr Branchen dazu führen, dass sich bestimmte Aufgaben oder ganze Stellenprofile verändern. Das erfordert die Bereitschaft eines jeden Einzelnen, sich ständig weiterzuentwickeln. Lebenslanges Lernen wird dann mehr als eine Floskel sein, es wird Realität werden.
Was halten Sie von der Initiative »Arbeiten 4.0« der Bundesregierung?
Grundsätzlich ist es begrüßenswert, dass ein offener, transparenter Prozess mit Verbänden, Gewerkschaften und Experten gestartet worden ist. Die digitale Transformation kann nur durch die gemeinsame Gestaltung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gelingen. Das »Weißbuch« an sich geht auch aus unserer Sicht in die richtige Richtung, es stellt allerdings nur Überlegungen dar, die in den kommenden Jahren konkretisiert werden müssen. Es ist noch zu früh, um einzuschätzen, ob und wie die Umsetzung einzelner Vorschläge funktionieren wird. Den Ansatz halten wir für zu vorsichtig.
Was geht Ihnen nicht weit genug?
Bei der Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes zum Beispiel sind die Vorschläge des Bundesarbeitsministeriums an sehr enge Voraussetzungen gebunden. Unternehmen können nur dann zu einem Experimentierraum werden, wenn sowohl Betriebsrat als auch Gewerkschaft zustimmen. Betriebe ohne Arbeitnehmervertreter bleiben also außen vor. Aus Sicht der digitalen Wirtschaft sollte es in dieser Frage deutlich mehr Spielraum geben, etwa indem individuelle Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermöglicht werden. Für beide Seiten kann zeit- und ortsflexibles Arbeiten Vorteile bringen. Wer zum Beispiel im Homeoffice arbeitet, spart sich durch den wegfallenden Arbeitsweg Zeit und Nerven und kann motivierter und effizienter arbeiten sowie Familie und Beruf besser vereinbaren.
In einem Thesenpapier »Arbeit 4.0« fordert der Bitkom, die Digitalwirtschaft solle grundsätzlich von den Einschränkungen der Arbeit­neh­mer­überlassung und Werkverträge ausgenommen werden. Stattdessen sollte sich der Gesetzgeber auf jene Branchen konzentrieren, in denen tatsächlich prekäre Arbeitsverhältnisse zu finden seien. Heißt das, die Digitalwirtschaft braucht keine ­Regulierung, denn dort existiert Prekarisierung nicht?
Die Forderung zielt nicht auf Deregulierung ab, sondern auf Rechtssicherheit. Es gibt mittlerweile neue Formen der Projektarbeit, die das klassische Vertrags- und Arbeitsrecht nicht mehr abbilden kann. Die Befürchtung der Digitalwirtschaft ist, dass diese innovativen Modelle, wie zum Beispiel agiles Projektmanagement, aufgrund der strengen neuen Regeln verhindert werden. Das neue Gesetz wird dazu führen, dass Werk- und Dienstverträge in bestimmten Fällen als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung gewertet und streng sanktioniert werden. Zudem ist die Arbeitnehmerüberlassung auf eine Dauer von 18 Monaten begrenzt. Das hat negative Konsequenzen für IT-Projekte, die oft deutlich länger dauern. Sie werden bürokratischer, teurer und langwieriger. Dabei hätte es gar keinen Regelungsbedarf gegeben, da den in der Regel hochqualifizierten Beschäftigten der IT-Branche gute Löhne bezahlt werden. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind im Gegensatz zu anderen Branchen nicht an der Tagesordnung. Zum Beispiel ist Crowdworking ein Nischenphänomen. Nur drei Prozent der Unternehmen haben schon einmal darauf zurückgegriffen. Die meisten Crowdworker streben nach einem Zuverdienst, es geht nicht darum, klassische Arbeitsverhältnisse zu ersetzen.
Im vergangenen Jahr hat der Vorschlag der Arbeitgeberverbände, den Achtstundentag abzuschaffen, die Arbeitszeitdebatte neu belebt. Die Berichterstattung klang teilweise so, als drohe durch die Digitalisierung die unmittelbare Abschaffung wichtiger Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Welche Rolle sollen Gewerkschaften in der schönen neuen Arbeitswelt spielen beziehungsweise sind sie überhaupt vorgesehen?
Acht von zehn Unternehmen gehen ­davon aus, dass Gewerkschaften vor dem Hintergrund der Digitalisierung auch künftig eine Rolle spielen werden. Sie werden auch gebraucht, um eine bessere Vermittlung der neuen Technologien auch in der Belegschaft konstruktiv einzubringen. Gerade die IG Metall wirkt in der Industrie-4.0-Plattform aktiv mit, weil ohne Partizipation die Transformation nicht funktionieren kann. Was den Umgang mit den von Ihnen beschriebenen Ängsten anbelangt, gibt es nur einen Weg: Dialog und Aufklärung statt Panikmache.
Eine der größten Ängste in Bezug auf die Digitalisierung ist Jobverlust beziehungseise die Entwertung der eigenen ­Arbeit durch intelligente Maschinen. Was hilft gegen diese Befürchtungen?
Rational statt emotional diskutieren. Es hilft, wenn man sich mit Forschungs­ergebnissen und Zahlen auseinandersetzt. Die Prognosen des Bundesarbeitsministeriums zeigen zum Beispiel, was die Berechnungen für 2030 auf dem Arbeitsmarkt anbelangt, dass mit einem Beschäftigungsverlust von 750 000 Menschen zu rechnen ist, gerade in Bereichen wie Einzelhandel und öffentliche Verwaltung. Aber es gibt eine andere Seite: In anderen ­Bereichen rechnet man mit einem Zuwachs von einer Million neuen Arbeitsplätzen, insbesondere in klassischen Industriebranchen wie Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektroindus­trie und IT-Dienste. Was die Ängste vor dem Jobverlust angeht, da ist ein emotionales Element mit dabei. Das gesamte Bildungssystem muss auf diese Ängste reagieren – von der Schule über die berufliche Ausbildung bis zur betrieblichen Weiterbildung. Es muss eine Sensibilisierung dafür stattfinden, dass die Bereitschaft zur permanenten Weiterbildung sowie die An­passungsfähigkeiten an die neuen Technologien immer mehr zu den erforderlichen Qualifikationen gehören, um künftig am Arbeitsmarkt bestehen zu können – gerade in den Branchen, die nach heutiger Prognose als durch die Digitalisierung »bedroht« gelten. Es muss ein Bewusstsein dafür entstehen, dass die intelligenten Maschinen nicht dafür da sind, um Menschen die Arbeit gezielt »wegzunehmen«, sondern dass sie die Chance bieten, bestimmte Tätigkeiten zu erleichtern. Diese Aufklärung, die Vermittlung von Wissen und gegebenenfalls konkreten Kompetenzen im Umgang mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine sollte natürlich nicht erst im Betrieb passieren, sondern viel früher: in der Politik, in der Schule, in der Familie sowie in den Medien. Der digitale Wandel kann nicht nur durch die Wirtschaft getragen werden, ihn zu begleiten ist eine gesellschaft­liche Aufgabe.
Interview: Federica Matteoni