Wasserknappheit macht Bolivien zu schaffen

Warten auf den Regen

In Bolivien gelingt es der Regierung nicht, die Wasserversorgung sicherzustellen. Seit Wochen wird in La Paz und El Alto Wasser rationiert, betroffene Anwohner protestieren.

Als »Präambel der Zukunft« bezeichnete Álvaro García Linera, der stellvertre­tende Präsident Boliviens, die Geschichte seines Landes einmal. Wichtige ­regionale oder gar globale Entwicklungen haben sich dort bereits früh abgezeichnet. So wurde Bolivien Mitte der achtziger Jahre mit einem umfassenden Reform- und Privatisierungsprogramm zum Musterschüler neoliberaler Ideologie, nur um sich im Jahr 2000 mit dem »Wasserkrieg« von Cochabamba zum Hoffnungsträger der globalisierungskritischen Bewegung zu entwickeln. In der bolivianischen Stadt hatte sich die Bevölkerung erfolgreich gegen den Verkauf der lokalen Wasserversorgung an den Konzern Bechtel gewehrt und damit den Widerstand gegen die Privatisierung öffentlicher Güter ermutigt. Diese Ereignisse wiederum standen am Anfang einer Reihe von Protesten und Konflikten, die schließlich 2005 zur Wahl von Evo Morales zum ersten indigenen Präsidenten Boliviens (und zweiten Südamerikas, nach Alejandro Toledo in Peru) führten. 2010 erkannte die Uno das Recht auf Wasser auf Betreiben von Morales als Menschenrecht an.
Zurzeit gibt die Wasserversorgung wieder Anlass für gesellschaftliche Unruhen. Die Wasserspiegel der drei Stauseen, die als Trinkwasserreservoirs für die Metropole La Paz und deren Schwesterstadt El Alto dienen, sind so weit gesunken, dass die Wasserversorgung nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte. Seit Wochen wird das Wasser rationiert und kommt in den meisten Vierteln der Stadt nur noch wenige Stunden am Tag oder überhaupt nicht mehr aus der Leitung. Eine Notversorgung wird durch Lieferungen mit Tanklastern aufrechterhalten, doch das Wasser hat eine zweifelhafte Qualität, denn viele Fahrzeuge gehören dem staatlichen Erdölkonzern und wurden zuvor für den Transport von Treibstoff verwendet. »Das Schlimmste war, dass sie uns nicht informiert ­haben«, sagt Carolina Ilaya, die im Stadtteil Hoyada Norte in La Paz wohnt. »Dass es für ein paar Stunden kein Wasser gibt, passiert oft, weil Leitungen repariert werden müssen. Das haben sie uns auch jetzt erzählt. Und dann haben wir erfahren, dass die Stauseen fast leer sind. Das passiert doch nicht plötzlich. Aber uns hat man es erst gesagt, als es schon zu spät war.« Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen wegen der Wasserknappheit zu Demonstrationen und Straßenblockaden, teils mit Tausenden Teilnehmern.
Bereits im Jahr 2010 waren die letzten Reste des nahegelegenen Gletschers des Chacaltaya geschmolzen, mit über 5 000 Metern bis dahin das höchstge­legene Skigebiet der Welt (Jungle World 46/16). Es war der erste tropische Gletscher Südamerikas, der verschwand. Anfang dieses Jahres trocknete dann der südlich von La Paz im Andenhochland gelegene See Poopó vollständig aus, der einst die vierfache Fläche des Bodensees bedeckte (Jungle World 13/16), im Hochland begann die schwerste Dürre seit 25 Jahren und verursachte erhebliche Ernteausfälle.
Langfristig wird der Klimawandel für Bolivien höchstwahrscheinlich schwerwiegende Folgen haben, und doch hat die derzeitige Wasserkrise in La Paz damit nur wenig zu tun. Erst 2007 war die Wasserversorgung der Stadt verstaatlicht worden, um die Bewohner vor zu hohen Preisen der privaten Unternehmen zu schützen. Doch seitdem wurde kaum in den Ausbau der Versorgung investiert, um dem rasanten Anstieg des Wasserbedarfs einer stetig wachsenden Bevölkerung gerecht zu werden.
Als der Talkessel, in dem La Paz liegt, der Bevölkerung keinen Platz mehr bot, entstand an seinem Rand im Hochland auf über 4 000 Metern Höhe die Schwesterstadt El Alto. Anfang der neunziger Jahre lebten dort etwa 400 000 Menschen, mittlerweile sind es mit fast einer Million bereits deutlich mehr als in La Paz selbst. Ohne zusätzliche Stauseen oder Wasser aus weiter entfernten Quellen musste die Versorgung früher oder später an ihre Grenzen stoßen, ob mit oder ohne Klimawandel.
Auch mit den millionenschweren Investitionen, die die Regierung nun angekündigt hat, werden sich die Probleme nicht einfach beseitigen lassen, denn das System ist korrupt und ineffizient. »Wenn man einen neuen Wasseranschluss für ein Haus braucht, ist das sehr teuer bei Epsas«, sagt Carolina Ilaya. Epsas ist das staatliche Wasserwerk. »Aber man kann das auch von ehemaligen Arbeitern von Epsas ­machen lassen. Das ist viel billiger, und die bekommen sogar die Originalteile. Die haben gute Kontakte.« Angesichts solcher Verhältnisse haben viele Bewohner von La Paz und El Alto wenig Vertrauen in die Versprechungen der Regierung und stellen sich auf schwierige Zeiten ein.
Es scheint tatsächlich, dass Bolivien wieder einmal unfreiwillig die »Präambel der Zukunft« übernimmt, auch wenn eher politische Versäumnisse als der Klimawandel für die derzeitige Krise verantwortlich sind. Eine andere These Álvaro García Lineras wird sich dagegen wohl nicht ganz bewahrheiten. »Es wird keine Zukunft geben und es wird geweint werden. Die Sonne wird sich verstecken und der Mond wird verschwinden«, prophezeite er Dorfbewohnern in der Gemeinde Viacha im Andenhochland vor etwa einem Jahr für den Fall, dass sie Präsident Evo Morales nicht unterstüzen würden, der sich und seinem Stellvertreter durch eine Verfassungsänderung noch zwei weitere Amtszeiten ermöglichen wollte. Die Mehrheit der Bevölkerung entschied sich im Referendum im Februar gegen die Verfassungsänderung, Morales und García dürfen bei den nächsten Wahlen im Jahr 2019 nicht mehr antreten (Jungle World 8/16). Aber die Sonne versteckt sich nicht, sondern brennt auch weiterhin auf das Andenhochland herunter und trocknet es weiter aus. Die beginnende Regenzeit kann da nur vorübergehend Linderung verschaffen.