Der Fall Aleppos und die Folgen für Syrien und die Region

Ordnung muss sein

Mit dem Fall Aleppos hat der syrische Diktator Bashar al-Assad seine Herrschaft über Syrien fast wiederhergestellt. Internationalen Widerstand hat er kaum zu befürchten.

Aleppo ist gefallen. Mit der Stadt im Norden Syriens hat die Opposition ihre letzte urbane Bastion an die Truppen des Regimes von Bashar al-Assad verloren. Nur wenige Tage nach der Eroberung mit Unterstützung von Bodentruppen der libanesischen Hizbollah und russischen Bombardements erfolgte in der ehemaligen Handelsmetropole die symbolische Landnahme: Vermeintlich glückliche Syrerinnen und Syrer schießen Selfies vor den Ruinen der Altstadt. Junge hübsche Frauen mit dem Smartphone im Anschlag, das neue Profilbild mit der Zitadelle im Hintergrund. Die Bilder der Trümmertouristen sind ein weiterer Propagandacoup für den syrischen Diktator. Sie stehen in brutalem Kontrast zu den Abschiedsvideos, die Dutzende eingeschlossene politisch engagierte Einwohner Aleppos in Todesangst vor der Eroberung der Stadt auf Twitter veröffentlichten.
Die Botschaft der syrischen Propaganda ist klar und deutlich: »Seht her, mit uns kehrt Ordnung, Sicherheit und öffentlich wallendes Frauenhaar zurück in den Norden Syriens. Die Zeit des Terrors ist vorbei.« Es scheint, als habe sich in Syrien, aber auch in Ländern des Westens die Sehnsucht nach Ordnung durchgesetzt – auch wenn diese Ordnung die Fratze Assads trägt und mit dem Tod Tausender Zivilisten erkauft wird. Das Jahr 2016 stand im Zeichen der Restauration der Herrschaft des syrischen Regimes. Unterstützt von Zehntausenden schiitischen Milizionären aus dem Libanon, Irak, Iran und Pakistan und russischen Flächenbombardements befand sich das Regime seit Beginn des Jahres beständig auf dem ­Vormarsch, die Stoßrichtung: Norden. Dort, wo 2011 mit den Massenprotesten gegen staatliche Willkür der syrische Krieg begonnen hatte, sollte Assads Ordnung wieder zur Geltung gebracht werden.
Der Diktator in seinem Damaszener Präsidentenpalast kann es wahrscheinlich selbst noch nicht so richtig fassen. Lange schien es in den vergangenen fünf Jahren nur eine Frage der Zeit zu sein, bis er durch jemanden ersetzt würde, der der Opposition entgegenkommen könnte. Doch Assads totalitäre Haltung hat sich ausgezahlt. Aufgerüstet von der russischen und iranischen Regierung ist der Präsident mit dem Charisma einer Steckrübe zum neuen, alten starken Mann in der Levante aufgestiegen. Die Eroberung dient einem Staatsfetisch. Die Damaszener Staatsmacht muss überall durchgesetzt werden. Mit Panzern und Flugzeugen wird die militärische Hoheit herbeigebombt, in Propagandapostillen und sozialen Medien die Deutungshoheit erkämpft. Die Unerschütterlichkeit des Staatsparadigmas lässt sich in Syrien auch daran erkennen, dass der »Islamische Staat« (IS) seine dem Koran entlehnte Ideologie mit dem Gewaltimperativ des Staats verwoben hat.
Bedauerlicherweise dürfte der Foltermeister Assad in den nächsten Monaten wohl auch international eine Rehabilitation erfahren. So grausam die Verbrechen seiner Schergen auch sind, die Sprache von Territorium, Staatsgewalt und Souverän wird von den Vereinten Nationen bestens verstanden. Gegenwärtig ist der syrische Präsident wohl der einzige im Land, der die Repräsentation dieser Trias glaubhaft übernehmen kann. »Wenigstens Ruhe und Ordnung und weniger Flüchtlinge«, mögen zahlreiche westliche Diplomaten denken. Doch diese Ruhe ist trügerisch. Denn auch wenn Assad sich weiter als Herrscher in einem Rumpf-Syrien feiern lassen kann: Der Krieg in der Levante geht weiter. Die Hizbollah verlegt ihre Truppen wieder in den Südlibanon. Die letzten Rebellennester zwischen Damaskus und dem Golan und in Idlib dürften bald in den Blick der Schiiten-Milizen geraten. Im Schatten der globalen Aufmerksamkeit gräbt sich der IS immer tiefer im ostsyrischen Raqqa ein.
Am Ende bleibt eine Lektion für alle Diktatoren der Welt und jene, die es werden wollen. Noch bis in die neunziger Jahre sanktionierten Teile der Weltgemeinschaft das Abknallen von Zivilisten, das Niederknüppeln von Protesten und das Foltern für die eigene Ideologie mit aufsteigenden F-16-Bombern. Heutzutage muss man sich höchstens vor halbgaren Appellen und ein paar empörten Face­book-Kommentaren fürchten. Wenn das nicht ausreichend Motivation ist, mal wieder für Ordnung zu sorgen.