Die Krise des Konservatismus

Volk, Schicksal und Nation

Die Krise des Konservatismus begünstigt den Populismus. Dabei ist der Populismus beides: konservativ und antikonservativ.

Rechtspopulisten nennen sich selbst meist konservativ. Nicht selten bewerkstelligen sie ihren Aufstieg mittels einer freundlichen Übernahme etablierter konservativer Strukturen. Dann werden sie wie jüngst Donald Trump von radikalisierten Konservativen nach oben getragen. Seinem Triumph ging die Revolution der Tea Party innerhalb der Republikanischen Partei voraus, in der eine populistische Basisbewegung das konservative Parteiestablishment erfolgreich entmachtete. Nun stellt sich die Frage, ob das amerikanische Modell Schule machen kann und der Konservatismus in Zukunft vollständig durch den Emporkömmling absorbiert wird.

Das Problem könnte auch in anderen Parteien auftreten, denn Populismus kein ideologisch gebundenes Phänomen. Die Münsteraner Politologin Karin Priester nennt ihn zu Recht ein »Chamäleon«. Schließlich bezeichnet der Begriff mehr die Form der Politik als ihren Inhalt. In programmatischen Fragen zeichnen sich Populisten eher durch eine hohe Flexibilität aus, die sich mehr an der Gunst des Volkes als an Überzeugungen orientiert. Trumps angekündigte Angriffe auf den Freihandel durch Schutzzölle fanden bei einigen US-Gewerkschaftern durchaus Anklang. Gleichzeitig ist Trump nicht gerade für Arbeitnehmerfreundlichkeit bekannt. Dass er aber von einem eigenen »New Deal« sprach und Infrastrukturprogramme ankündigte, bringt die politische Rhetorik der USA durcheinander. Als staatsfinanziertes Reformprogramm galt Franklin Roosevelts von 1933 bis 1938 durchgesetzter »New Deal« traditionell als Bezugspunkt der Demokraten, während US-Konservative staatliche Interventionen ausdrücklich ablehnen.

Obamas Krankenversicherung wurde vor diesem Hintergrund von den Republikanern geradezu verteufelt. So schwierig diese Widersprüche in klassische Schemata einzuordnen sind, so sehr entsprechen sie dem Charakter des Populismus. Denn dieser zeichnet sich nicht durch Kohärenz aus, sondern hauptsächlich durch eine »diskursive Praxis der Polarisierung«, wie schon Priester feststellte. Ein neues Phänomen ist der Populismus nicht. Politik ist grundsätzlich für ihn anfällig, da beide von der Kommunikation leben.

Seit Eintritt der Masse in die Politik, also mit Ende des 18. Jahrhunderts, lässt sich die gesamte Auseinandersetzung um Legitimität als Forderung verstehen, die Herrschaft möge ihr Tun einmal erklären. Populismus tritt nun im Zuge einer Repräsentationskrise auf, wenn die gängige Erklärung als nicht mehr ausreichend erachtet wird. So gesehen wäre Populismus nur durch die Setzung des Konservatismus auszuschließen, dass legitime Herrschaft sich nicht zu erklären hat. In seiner Weltsicht ist sie einfach da und souverän durch sich selbst. Historisch war dies ebenso ein Mythos wie die konservative Prinzipientreue. In dieser Weigerung der Selbstreflexion trifft sich der Konservatismus mit dem Populismus. Immerhin verdankte der Konservatismus des 19. Jahrhunderts seinem Unwillen, sich zu legitimieren, die historische Spezifizierung als Restaurationsideologie.

Das enge Bündnis der Strömung mit Adel und Klerus veranlasste Philosophen wie Panajotis Kondylis, mit deren Einflussverlusten auch das Schwinden des Konservatismus zu konstatieren. Mit Ablösung einer adelsbasierten Sozialordnung hatten sich die Denkmodelle durchgesetzt, die der Konservatismus bekämpfte: eine gesellschaftliche »Machbarkeit des Rechts« und der »Souveränität« durch den modernen, also bürgerlichen Staat. Beides hatte der Konservatismus verneint, da sie nicht erst »gemacht«, sondern durch göttliche Fügung gesetzt wären. So ­gesehen, schließt Kondylis, sei der Konservatismus mit dem Sieg des Liberalismus verschwunden. Jenseits des idealtypischen Denkens kam es wohl eher zu Formveränderungen als zum Verschwinden. Der Konservatismus konnte sich bestimmten Elementen des Liberalismus öffnen, ohne in ihm aufzugehen. Er verlor lediglich den Glauben an das Gottesgnadentum, um es durch Volk, Schicksal und Nation zu ersetzen. Immerhin entsprach der bewusst elitäre Habitus des alten europäischen Konservatismus einem Weltbild, das letztlich noch den Idealen der Adelsgesellschaft huldigte. Der Populismus machte sich hingegen mit den Massen gemein. Gerade die »Eliten« sind sein erklärtes Feindbild. Das mag einerseits eine schamlose »Haltet den Dieb«-Politik, sein, entspringt sein Führungspersonal meist doch selbst den Spitzen der Gesellschaft. Es ist aber auch eine Konzession an die egalisierende Massenkultur, die eine aristokratische Haltung nicht mehr goutiert. Der Apell an Gier und Gewissenlosigkeit à la Berlusconi ist die augenzwinkernde Brücke, die die Kluft zwischen Elite und Volk überwindet. Die Ähnlichkeit mit Mafiabossen ist kaum zu übersehen, und über ihrer Skrupellosigkeit prangt die alte Parole der Bürgerkönige: »Bereichert Euch!«

Diese stille Komplizenschaft der Führung mit dem Mob ist ein Grund, warum Skandale an diesen Figuren regelmäßig abperlen. Diese Performance ist eine große Konzession an den Liberalismus. Auch wenn führende Populisten wie Haider, Berlusconi oder Trump über ausreichend Privatvermögen verfügten, so wurden sie doch nie müde, die liberale Botschaft vom Aufstieg zu verbreiten: Mit Fleiß und Wille ist der Weg vom Schnulzen-Luigi auf dem Kreuzfahrtschiff zum Staatschef machbar. Dabei sind sie oftmals ihre eigene Karikatur: Zeigefinger, Wutanfall: »You are fired!« Die Chefpose des Donald Trump wäre in einer Comedy-Sendung angebrachter als in der Realität. Skepsis gegenüber dem »Ich bin wie Ihr«-Theater wird mit einer möglichst plebejischen Inszenierung kaschiert. Zumindest ihre ästhetischen Präferenzen sind so geschmacklos wie es ihre Anhänger wären, könnten sie sich nur das ganze Blingbling leisten. Das hilft einerseits, das Spiel »Einer von Euch und doch anders« zu spielen, das den Populismus im Unterschied zum Adel prägt, der auf seine Distinktion bedacht war. Andererseits besteht gerade im Prunk das Adelsideal zum Klischee verkümmert fort. Die zielgerichteten Geschmacksverirrungen wie Recep Tayyip Erdoğans Palast oder Donald Trumps Vorliebe für goldumrahmte Auftritte sind die trivialisierte Form der höfischen Kultur.

Hatte der alte Konservatismus die täglichen Grenzüberschreitungen hinter der aristokratischen Fassade versteckt, so dienen sie heute der augenzwinkernden Anbiederung. Nazi-Sprüche, Bunga-Bunga-Partys, verbale Amokläufe: »Ihr wollt es doch auch!« Die »tadellose« Haltung des Konservatismus, die seiner Idealisierung des Adels entsprang, ist tatsächlich dem Leistungsdarwinismus und der Spek­takelwirtschaft des Marktes zum Opfer gefallen. In der Person der AfD-Politikerin Beatrix von Storch kommt dagegen tatsächlich ein Moment des Adelskonservatismus noch einmal zum ­Tragen: die Erbfrage. Die Enkelin der Adelsfamilie von Schwerin-Krosigk und überzeugte Marktradikale machte ihre ersten politischen Erfahrungen in den neunziger Jahren mit der »Allianz für den Rechtsstaat«. Dieses Bündnis war eine Kampagne zur Revision der DDR-Landreform. Bekannte Stimme der Forderungen nach einer Rückgabe der Familienländereien war damals Manfred Graf von Schwerin, ebenfalls Spross des Mecklenburgischen Adelshauses.

Vor allem für die östlichen Bundesländer dürfte es interessant werden, wie die AfD in der Landfrage agiert, sollte sie auf Bundesebene jemals nennenswerten gesetzgeberischen Einfluss erhalten. Durch solche Verflechtungen kann der Rechtspopulismus durchaus ein Ticket in die Vergangenheit werden. In den USA kommt der Rechtspopulismus ohne derartige Rudimente aus. Ihm kamen vielmehr andere historische Besonderheiten entgegen. Da die USA seit ihrer Gründung ein antiaristokratisches Selbstverständnis haben, fallen dort die Probleme konservativer Distinktion weg, die der Anbiederung an die Massen nach konservativer Überzeugung eigentlich im Wege stehen sollten. Entsprechend schneller konnte sich hier der Populismus gewissermaßen als Preis der ­Demokratie Bahn brechen. Erste Bewegungen, die mit dem heutigen Rechtspopulismus zu vergleichen wären, finden sich bereits Mitte des 19. Jahrhundert unter den angelsächsischen Protestanten. Gruppen wie die erzkonservative »American Party« verfügten auch in den unteren Schichten über eine mobilisierungsfähige Basis, der Martin Scorsese im Film »Gangs of New York« ein schonungsloses Denkmal setzte.

Die Weltanschauung dieser Bewegungen hat sich bis heute in ihren Grundzügen bis in die Tea Party und Alt-Right gehalten: der feste Glaube, die Regierung handle im Auftrag fremder Mächte und die Angst vor Einwanderung. Letztlich ist der Rechtspopulismus zugleich konservativ und anti-konservativ. Konservativ ist er im Hinblick auf das Begehren der Massen nach Sicherheit und Ordnung, das ihn an die Macht trägt, sowie die von ihm verteidigte Sozialordnung. Antikonservativ ist er in seinem ganzen Habitus, der ein Produkt einer dynamischen Gegenwart und nicht einer erhaltenswerten Vergangenheit ist. Vor allem dürften durch den Populismus die Unterschiede in den Traditionen des Konservatismus zwischen Europa und Amerika weitgehend verwischt werden. Ein weiterer Schritt zu jener ­globalisierten Politikform des Spektakels, die zu bekämpfen Konservative und Rechtspopulisten stets vorgeben.