Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin

Wir lieben das Leben

Der Angriff auf den Weihnachtsmarkt in Berlin war nicht der erste Terroranschlag in Deutschland. Umso mehr gilt, dass der Jihadismus bekämpft werden muss.
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Nun habe es also auch »uns« erwischt, heißt es. Das Blutbad, das am Montagabend in der Berliner City West auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz mit einem LKW angerichtet wurde, war kein Unfall, sondern ein Terroranschlag.

Nun hat es also auch »uns« erwischt – dieser Satz ist nicht nur erklärungsbedürftig, sondern auch nicht richtig. Terroranschläge, auch tödliche, gab es in Deutschland schon vorher – etwa den auf dem Münchner Oktoberfest 1980 und die Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds«, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Was der Satz eigentlich meint, ist: Nun hat auch Deutschland sein 9/11, sein Madrid, sein Bataclan, sein Nizza erlebt. Doch auch Angriffe jihadistischer Attentäter gab es in Deutschland bereits mehrfach, allein in diesem Jahr. Ende Februar 2016 verletzte eine 15jährige im Namen des »Islamischen Staates« (IS) in Hannover einen Polizisten mit einem Messer lebensgefährlich. Im April warfen 16jährige eine Bombe auf einen Sikh-Tempel in Essen, drei Menschen wurden verletzt. Mitte Juli griff ein selbsternannter »Soldat des Kalifats« in einem Zug bei Würzburg mit einer Axt mehrere Menschen an und verletzte fünf Personen zum Teil schwer. Eine Woche später zündete ein 27jähriger in Ansbach eine Rucksackbombe und verletzte 15 Menschen. Erst vor wenigen Wochen versuchte ein Zwölfjähriger in Ludwigshafen gleich zwei Mal erfolglos, eine Nagelbombe zu zünden.

Vermutlich haben aber bei dem Angriff in Berlin islamistische Terroristen erstmals in Deutschland mehrere Menschen auf einen Schlag ermordet – auch wenn der Täter und dessen Motiv bei Redaktionsschluss noch nicht zweifelsfrei feststanden.

Zu fragen ist jedoch, wer dieses »uns« sein soll, das da erwischt wurde? Sicher, ein Weihnachtsmarkt ist christlich konnotiert; doch die meisten Besucher kommen eher nicht aus religiösen Gründen. Vermutlich viel wichtiger für die Auswahl: Hier kommen Menschen hin, um sich zu vergnügen, zu shoppen, einen Glühwein »mit Schuss« zu trinken.

Und es handelt sich um ein leichtes Ziel, ein sogenanntes soft target. Einen Angriff mit einem schweren Lastwagen, wie in Nizza und nun in Berlin, kann man nur mit massiven Betonblöcken verhindern.

An einem solchen Ort in einer solchen Stadt ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass auch Touristen aus anderen Ländern getroffen werden. Siehe Würzburg: Vier der fünf Opfer des dortigen Axt­angreifers waren Chinesen.

Für den IS und andere Jihadisten gilt ohnehin das Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Es geht ihnen um »die Auslöschung der Grauzone«. Auch Muslime, die sich nicht klar zum Jihad bekennen, gelten ihnen als legitime Ziele. Bislang sind die meisten Opfer des IS Muslime. Hunderttausende von ihnen, genauso wie Yeziden, Kurden und arabische Christen, haben in den vergangenen Jahren verzweifelt versucht, den Jihadisten zu entkommen.

Dass der IS in Deutschland offenbar auch Flüchtlinge zu rekrutieren versucht, ist besonders perfide. Es unterstützt zusätzlich seine Strategie, eine Stimmung des »Wir gegen die« zu erzeugen. Denn sie findet ihr Echo in der Propaganda der Rassisten von AfD, ­Pegida und Co.

Ein »Wir gegen die« gibt es tatsächlich. Doch geht es dabei keineswegs um »das Abendland« gegen »den Islam« oder »die Flüchtlinge« versus »die Deutschen«. »Wir« – das sind alle, die die Jihadisten ­wegen ihres Credos »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod« bekämpfen wollen. Und bekämpfen müssen.