Die kolumbianische Linke geht aus den Friedensverhandlungen geschwächt hervor

Der Frieden ist nicht links

Die Wandlung der Guerilla Farc in eine politische Partei könnte die Linke in Kolumbien stärken. Doch das Gegenteil scheint zu geschehen.

Timoleón Jiménez ist Geschichte. Der ehemalige Oberkommandierende der ältesten und größten noch aktiven Guerilla Lateinamerikas tritt nun immer häufiger unter seinem zivilen Namen Rodrigo Londoño auf. Denn das Friedensabkommen zwischen den Farc und der kolumbianischen Regierung ist unterzeichnet, der Kongress muss es in den kommenden Wochen allmählich in ihm vereinbarte Gesetze und Verfassungsänderungen beschließen.
Parallel zu der in diesen Tagen beginnenden und auf sechs Monate angelegten Demobilisierung der etwa 6 600 Kämpfer und einer noch nicht bekannten Zahl an Milizionären werden die Farc allmählich politisch institutionalisiert. Von Aufbruchsstimmung in der Linken ist jedoch nichts zu spüren, auch wenn die Existenz der Guerilla lange als Grund für die Schwäche dieser Linken galt, weil sie insgesamt unter der Repression und Stigmatisierung litt. Vielmehr sorgt die Umwandlung der Guerilla in eine legale politische Kraft für heftige Auseinandersetzungen, an denen die bislang einzige linke Partei im Parlament, der »Polo Democratico« (PD), wieder einmal zu zerbrechen droht. Die Sammelpartei besteht aus ehemaligen Maoisten, Sozialdemokraten, Kommunisten und vielen anderen Fraktionen und hält insgesamt acht Kongresssitze.
Anlass für die Konflikte war der in Hemd und Sakko gekleidete Rodrigo Londoño, der Anfang Dezember in seiner Rede anlässlich der Unterzeichnung des über vier Jahre in Havanna ausgehandelten Friedensvertrages für die nächste Legislaturperiode von 2018 bis 2022 eine Übergangsregierung vorschlug. Diese solle »aus allen politischen Kräften und gesellschaftlichen Gruppen bestehen, deren grundlegendes Ziel die vollständige Erfüllung der Vereinbarung von Havanna ist«. Bei den Gesprächen hatten sich die Farc mit der Regierung unter anderem auf eine Agrarreform zur Stärkung von Kleinbauern und auf eine Verbesserung der politischen Teilhabe verständigt. In diesem Zuge wurden den Farc für die kommenden zwei Legislaturperioden acht Kongresssitze zugesprochen, für die sie sich nicht zur Wahl stellen müssen. Das von zahlreichen Fraktionen der parlamentarischen wie der Bewegungslinken kritisierte wirtschaftsliberale und auf Ausbeutung von Rohstoffen und Stärkung der Agrarindustrie basierende Wirtschaftsmodell war nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen.
Für die Farc schließt die Übergangsregierung auch Repräsentanten der Regierungskoalition der »Nationalen Einheit« mit ein, deren Vorsitzender und Staatspräsident Juan Manuel Santos 2018 abdankt. Diese Sicht teilen Mitglieder des PD, darunter die ehemalige Parteivorsitzende und von Santos zur Arbeitsministerin berufene Clara López und der bekannte Senatsabgeordnete Iván Cepeda, und auch die Dachorganisation für soziale Bewegungen, »Marcha Patriótica«, die der Guerilla nahesteht, sowie die Kommunistische Partei. Als deren bewaffneter Arm war die Rebellenbewegung 1964 gegründet worden, nach dem Ende des Realsozialismus machten sich die Farc von der Partei unabhängig, obgleich sie deren dogmatischen Marxismus-Leninismus weitgehend beibehielten. Vertreter der »Marcha Patriótica«, in der Menschenrechtler, Basisgewerkschafter, Studierende und vor allem Kleinbauernverbände organisiert sind, hatten keinen Hehl mehr daraus gemacht, dass die Organisation langfristig als politische Partei in die Institutionen strebt.
»Wir sollten uns nicht täuschen«, sagt Iván Cepeda. Er betont im Gespräch mit der Jungle World die historische Bedeutung des Erreichten. »Beide Seiten haben die Quadratur des Kreises geschafft.« Mit Blick auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen im Land stehe man in der Phase nach dem Konflikt nicht im grundsätzlichen Widerspruch zu den von Santos vertretenen Teilen der Gesellschaft, die den Friedenskurs mitgetragen hätten. Der politische Gegner sei vielmehr die vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe vertretene extreme Rechte, die an ihrer oft nur regionalen Macht festhält und sich den in Havanna beschlossenen Reformen widersetzt. Dass sie dabei auch vor Allianzen mit paramilitärischen Gruppen nicht zurückschreckt, ist in Kolumbien hinlänglich bekannt. Die Zahl der Attentate auf Linke und Menschenrechtler ist in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen (Jungle World 48/16).
Ganz anders sieht das der populärste Senatsabgeordnete des PD, Jorge Robledo. Der ehemalige Maoist ist ein scharfer Kritiker der Regierung Santos, von der er sich nicht vereinnahmen lassen will. »Das Programm dieser Übergangsregierung wird genauso neoliberal geprägt sein, plus die Vereinbarungen von Havanna, die wir als Maßnahme unterstützen, den bewaffneten Kampf zu überwinden, die aber nicht die übrigen Probleme der Kolumbianer lösen«, sagte er der Tageszeitung El Tiempo. Robledo ist in der Linken für seine Prinzipientreue bekannt, wegen seines Einsatzes für nationale Wirtschaftsinteressen – der Arbeitnehmer ebenso wie der Unternehmer – aber auch umstritten. Nicht selten ist Robledo mit der Rechten um Uribe einer Meinung, die zum Teil die Interessen der traditionellen regionalen Unternehmer wie der Viehzüchter und Zuckerindustriellen vertritt. Bei der Beteiligung an einer Übergangsregierung, so heißt es aus dem Umfeld Robledos, würde man der Rechten dieses Feld überlassen und in dem vermeintlichem Hauptwiderspruch zwischen Freunden und Gegners des Friedens an politischem Profil verlieren. Santos hat den Zwist in der Partei mit der Ernennung von López befördert. Sie konnte das Amt erst antreten, als sie dies ausdrücklich nicht im Namen der Partei tat. Vorige Woche musste sie dann den Mindestlohn für das kommende Jahr per Dekret festlegen, nachdem sich Gewerkschaften und Unternehmerverbände nicht hatten einigen können. Die Steigerung um sieben Prozent lag nur geringfügig über dem Angebot der Arbeitgeber und nur 1,5 Prozent über der Inflationsrate. Arbeitnehmervertreter und Parteigenossen zürnten.
Hinzu kommt für Skeptiker einer Übergangsregierung, dass in einem Bündnis mit den Farc viel von deren schlechtem Image abfärben könnte. Zwar konnte die Guerilla ihr Ansehen in der Bevölkerung Umfragen zufolge dank einer Imagekampagne und des erfolgreichen Abschlusses der Friedensverhandlungen etwas verbessern, doch ist es gerade die von der kolumbianischen Linken lange Zeit vernachlässigte städtische Arbeiterklasse, die nichts mit der sich nun demobilisierenden Guerilla anfangen kann. Dazu haben die Farc selbst mit Entführungen, Bombenattentaten und ihrer Beteiligung am Drogenhandel ebenso beigetragen wie ihre politischen Gegner und die Medien, die dem bewaffneten Kampf der Guerilla über Jahrzehnte die Berechtigung absprachen. Gemeinsam hat die gesamte kolumbianische Linke nur eines: Die Abschaffung des Kapitalismus ist nicht Teil ihres politischen Programms.