Der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich läuft

Patriotisch gegen Le Pen

Im französischen Präsidentschaftswahlkampf betonen zwei als links geltende Kandidaten, Arnaud Montebourg und Jean-Luc Mélenchon, das nationale Interesse und halten sich beim Antirassismus zurück.

Politische Prognosen haben sich im vergangenen Jahr oft als falsch erwiesen. Vorsicht ist also geboten, auch wenn es im neuen Jahr wieder viel zu prognostizieren gibt. In Frankreich etwa sollen wichtige Entscheidungen fallen. Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 23. April und der Stichwahl am 5. Mai soll im Juni auch die nächste Nationalversammlung gewählt werden. Nachdem sich wider Erwarten im vergangenen Jahr sowohl die Befürworter des EU-Austritts in Großbritannien als auch die Anhänger Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl durchgesetzt haben, richten sich die Blicke auf Frankreich. Könnte dort die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen die Wahl gewinnen, was die EU nach der britischen Entscheidung für den Austritt einer neuen, schweren Belastungsprobe aussetzen würde?
Es ist unwahrscheinlich, dass Marine Le Pen als Präsidentin in den Elysée-Palast einziehen wird. Denn das würde voraussetzen, dass sie, im ersten oder zweiten Wahlgang, ohne bedeutende politische Bündnispartner eine absolute Mehrheit von über 50 Prozent der Stimmen erreicht. Noch vor wenigen Wochen sah es danach aus, als würden die erstarkenden Konservativen Le Pens Front National (FN) weit hinter sich lassen. An den Vorwahlen, bei denen am 27. November der Präsidentschaftskandidat der bürgerlichen Rechtsopposition nominiert wurde, beteiligten sich 4,3 Millionen Französinnen und Franzosen. Der designierte Kandidat François Fillon war den Umfragen zufolge populär. Doch das war nur von kurzer Dauer. Schon am 18. Dezember sagten in einer Umfrage für die Sonntagszeitung JDD nur noch 28 Prozent der Befragten, sie wünschten einen Wahlerfolg Fillons. Vorausgegangen war die öffentliche Diskussion über dessen weitreichende Pläne zur Privatisierung oder sogar Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Allerdings profitiert nicht nur Le Pen von den Problemen, die Fillon wegen seiner marktradikalen und antisozialstaatlichen Bestrebungen nun hat. So hat sich ein Teil der rechten Mitte der Wählerschaft inzwischen François Hollandes früherem Wirtschaftsminister Emmanuel Macron zugewandt. Er kandidiert ohne Unterstützung einer großen Partei, aber mit viel Rückhalt in der wirtschaftlichen Führungsschicht und der Unterstützung durch die Regenbogenpresse, die immer wieder sein Eheleben mit der 24 Jahre älteren Brigitte Macron in Klatschspalten und Fotostorys auswalzt. Der erst 39jährige ehemalige Investmentbanker und Millionär wird von vielen Medien als idealer Schwiegersohn dargestellt.
So scheint ein Teil der Wählerinnen und Wähler mittlerweile einen Kandidaten zu bevorzugen, der eine weitgehend partei- und ideologiefreie Präsidentschaft verspricht. Macrons Kleinpartei »En marche!« (»In Bewegung«), die hauptsächlich im Internet präsent ist, wird dabei als Reaktion auf die »Politikverdrossenheit« und als nichtrassistische Alternative zum FN gehandelt. Sie betont positive Aspekte der Globalisierung und verbindet wirtschaftsliberale Vorstellungen mit dem Versprechen gesellschaftlicher Liberalität und Toleranz. Dabei ist Macron weniger reaktionär als Fillon und weniger auf einen autoritären Staatslaizismus eingeschworen als der rechtssozialdemokratische potentielle Präsidentschaftskandidat Manuel Valls.
Eine andere Strategie verfolgt der neben Valls ebenfalls als aussichtsreicher Anwärter auf die sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatur gehandelte ehemalige Wirtschaftsminister und Anwalt Arnaud Montebourg. Er hatte sich schon für die Vorwahlen der Sozialdemokratie 2011 beworben und wurde damals Dritter, hinter François Hollande und Martine Aubry. Ähnlich wie damals propagiert Montebourg auch derzeit die démondialisation, die »Entglobalisierung«. Vor gut fünf Jahren, als Montebourg bei der Vorwahl von 17 Prozent der sozialdemokratischen Sympathisanten gewählt wurde, hatte er erklärt, mit diesem Slogan wolle er über die Wählerschaft der eigenen Partei hinausgreifen. Er wolle auch die potentiellen Wähler der extremen Rechten ansprechen, ebenso jene der Grünen, die ökologische Bedenken gegen die neoliberale Globalisierung hätten. Montebourg befürwortet stärkere staatliche Eingriffe in die Wirtschaft – die letztlich dazu dienen sollen, das Markenzeichen »Made in France« gegenüber konkurrierenden Produzenten zu stärken, wie der Politiker es in seiner Amtszeit als Minister von 2012 bis 2014 als Vorgänger Macrons mit geringem Erfolg versuchte. Dies genügt vielen heutzutage offenbar, um Montebourg als links einzustufen.
Als Gastredner zum KPF-Pressefest »Fête de l’Humanité« eingeladen, hatte Montebourg sich am 11. September vorigen Jahres bemüht, das Publikum zu umgarnen. Er sprach sich dort für die Erhaltung von bedrohten Arbeitsplätzen etwa beim Industrieunternehmen Alstom aus, dabei führte er fortlaufend das »nationale Interesse« im Mund, Klasseninteressen erwähnte er nicht. Die Reaktion des Publikums war deswegen eher lauwarm, dennoch zog es mancher aus der Parteiführung einige Wochen lang in Erwähnung, eine sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatur im Falle der Nominierung Montebourgs zu unterstützen. 
Schließlich aber entschied sich die KPF für den Linkssozialisten Jean-Muc Mélenchon. Er vermengt, vergleichbar mit dem früheren Auftreten Oskar Lafontaines, klassenkämpferische Appelle mit ökologischen Anklängen – anders als die KPF und Montebourg befürwortet er den Ausstieg aus der Atomkraft – und propagiert einen penetranten Linksnationalismus mit bonapartistischen Allüren. Bei seiner Präsidentschaftskandidatur 2012 betonte Mélenchon auch den Antirassismus, insbesondere in der »Rede von Marseille«, in der er die positiven Seiten der interkulturellen »Vermischung« hervorhob. Allerdings sagte Mélenchon vor einigen Monaten, just diese Rede habe ihn damals »am Ende Stimmen gekostet« – er hatte elf Prozent erhalten – und er betrachte sie rückblickend als Fehler. Stattdessen agitierte Mélenchon im vergangenen Sommer gegen »Entsendearbeiter« aus der EU (Jungle World 33/16). Zurzeit bemüht er sich weniger stark, sich gegen Le Pen zu profilieren. Stattdessen stellt er die linksnationalistische Tendenz seiner Kampagne in den Vordergrund, und dies mit der eindeutigen Parole »La France insoumise«: das nicht unterworfene Frankreich.