Für die Kölner Polizei war die Silvesternacht ein Erfolg, Deutsch-Maghrebiner sehen sich stigmatisiert

Böller, Sekt und ein Kessel Buntes

Die Kölner Polizei trat nach der Silvesternacht mit Erfolgsmeldungen an die Öffentlichkeit. Mittlerweile gibt es jedoch erhebliche Kritik an der Festsetzung vermeintlicher Nordafrikaner. Deutsch-Maghrebiner befürchten eine Stigmatisierung.

Zum Beginn des neuen Jahrs zeigte die Kölner Polizei Selbstbewusstsein: Silvester sei in der Innenstadt äußerst friedlich verlaufen, man habe die Kontrolle zurückgewonnen. Auch die öffentliche Wahrnehmung wurde von den Erfolgsmeldungen geprägt, die Stadt, Bundespolizei und Kölner Polizei verbreiteten. Polizeipräsident Jürgen Mathies schilderte zwar seine Sorgen, dass die Stimmung hätte kippen können. Doch zwei zusätzliche Hundertschaften und Großkontrollen rund um den Hauptbahnhof hätten das Problem gelöst. Das Medienecho auf den Silvestereinsatz war fast einhellig positiv.
Eine kleine Falle, die schnell Missstimmung auslöste, hatte sich die Polizei allerdings selbst gestellt. Auf Twitter hatte die Öffentlichkeitsabteilung an Silvester geschrieben, am Bahnhof würden hunderte »Nafris« kontrolliert. »Nafris« steht für »Nordafrikaner« beziehungsweise »nordafrikanische Intensivtäter«. In Köln weiß seit einem Jahr die Mehrheit der Bevölkerung, dass es sich um junge Männer aus Nordafrika handelt, die Straftaten begehen. Schnell entschuldigte sich der Polizeipräsident für den Tweet, »Nafri« sei ein interner »Arbeitsbegriff«, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei.
Kritik an dem gesamten Einsatz war nicht gern gesehen. Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen, hatte nur öffentlich gefragt, ob die Polizei Hunderte Menschen wegen deren Aussehen festgehalten habe und ob diese Maßnahme recht- und verhältnismäßig gewesen sei. Dafür erntete sie einen veritablen, von der Bild-Zeitung angetriebenen Shitstorm. Das Blatt nannte Peter eine »Grüfri«, eine »grün-fundamentalistisch-realitätsfremde ­Intensivschwätzerin«, und fragte, ob die Grünen nicht ein generelles Problem mit Polizei und Rechtsstaat hätten. Die übrige Führung der Partei distanzierte sich von Peter und ließ wissen, spätestens nach der Entschuldigung für den »Nafri«-Tweet habe man keine kritischen Fragen mehr an die Kölner Polizei. Als dann mit Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung sogar eine der höchsten moralischen Instanzen für Linksliberale den Polizeieinsatz »verhältnismäßig« nannte, hatte die Polizei die vollständige Deutungshoheit.
Eine Frage blieb allerdings noch offen. Warum wollten so viele Nordafrikaner in Köln feiern? Wolfgang Wurm, der Präsident der für Nordrhein-Westfalen zuständigen Bundespolizeiabteilung in Sankt Augustin, sagte am Neujahrsabend, seine Behörde wisse von »Smartphone-Chats«, in denen sich junge nordafrikanische Männer für den Kölner Hauptbahnhof verabredet hätten. Die Kontrollen im Hauptbahnhof und am Bahnhof im Stadtteil Deutz seien berechtigt gewesen. Bis zu 2 000 »fahndungsrelevante« Personen seien in großen Gruppen auf dem Weg nach Köln gewesen, so Wurm. Allerdings konnte die Polizei ebenso wenig konkretisieren, wer als »fahndungsrelevant« galt, wie die Frage beantworten, nach welchen Kriterien die Beamten auswählten, wer in die Kessel am Hauptbahnhof geleitet wurde. Aus den »98 bis 99 Prozent« Nordafrikanern wurde innerhalb weniger Tage eine »bunte Mischung«. Die Polizei Köln verkündete dann am 4. Januar, dass sie eine Arbeitsgruppe gebildet habe, die herausfinden soll, woher die jungen Männer gekommen und ob sie in irgendeiner Form verabredet waren. Die Erkenntnisse sollen in künftige Planungen einfließen. Vorläufige Zahlen der Bundespolizei sprechen gegen die These von Hunderten Nordafrikanern. Von 170 Personen, deren Personalien am Hauptbahnhof festgestellt worden waren, kamen 56 aus Deutschland. Aus Syrien, Algerien und Marokko kamen jeweils etwa 20 Personen, die übrigen Kontrollierten aus 19 weiteren Staaten.
Mimoun Berrissoun, ein Sozialwissenschaftler aus Köln, der das Projekt »180-Grad-Wende« leitet, wurde als Fürsprecher der Polizei bekannt. Das Projekt arbeitet, unter anderem von Stadt und Polizei gefördert, gegen die salafistische Radikalisierung und ein Abrutschen junger Migranten in die Kriminalität. In einem Interview mit dem WDR sprach Berrissoun am 2. Januar von kriminellen Organisationen und Hintermännern, die Hunderte Nordafrikaner in der Silvesternacht nach Köln geschickt hätten. Außerdem war er der Meinung, dass »kein anständiger« Asylsuchender versuchen würde, Silvester in Köln zu feiern. Am 5. Januar hörte sich dies in der Zeit schon ganz anders an. Dort sagte der Sozialwissenschaftler, die meisten seien wegen ihrer »Unbekümmertheit« nach Köln gefahren und hätten nichts Böses vorgehabt.
Dass so viele Nordafrikaner oder Flüchtlinge nach Köln fahren, hat mehrere Gründe. Nordrhein-Westfalen werden viele Flüchtlinge aus Nordafrika zugewiesen. Für diese sind drei Städte im Land interessant: Köln, Düsseldorf und Dortmund. In diesen Städten gibt es größere maghrebinische Communities. Warum viele jugendliche Flüchtlinge in den Innenstädten feiern, konnte Aladin el-Mafaalani beantworten, der an der Fachhochschule Münster tätig ist. Er sprach im Ruhrgebiet mit Jugendlichen, die ihm ihre Lage schilderten: In den Unterkünften für Jugendliche sind Partys und Alkohol verboten. Zu privaten Partys würden nur wenige eingeladen. In Clubs und Kneipen erhielten die meisten wegen der Türsteher keinen Zutritt. Außerdem fehle ihnen dafür das Geld. Den jungen Flüchtlingen bleibe also nicht viel anderes übrig, als in den Innenstädten zu feiern.
In Vereinen aus der maghrebinischen Community herrscht angesichts der Debatte die Sorge vor einer Stigmatisierung von Deutsch-Maghrebinern. Rachid Amjahad von der Gesellschaft für Kultur und Wissenschaft des Maghrebs und Vertreter anderer Vereine äußerten sich zu den Ereignissen an Silvester. Im vergangenen Jahr habe man sich konsequent auf die Seite der Opfer gestellt, so Amjahad. Der Einsatz in diesem Jahr ist aber aus Sicht der Maghrebiner problematisch. Man wolle »Racial-Profiling-Maßnahmen zu Lasten vieler unbescholtener Deutscher maghrebinischer Herkunft nicht hinnehmen«. Die Deutsch-Maghrebiner warnen davor, Sicherheit gegen Bürgerrechte auszuspielen. Beides seien »unabdingbare Merkmale unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung«. Auch sind die Vereine unzufrieden mit der Bezeichnung »Nafris«, diese sei stigmatisierend. Von der Polizei wünschen sie sich mehr Zusammenarbeit und weniger Aktionismus. Großrazzien und Kontrollen wie an Silvester schädigten das Vertrauen in den Staat.
So scheint sich in diesem Jahr unter anderen Vorzeichen ein Vorgang zu wiederholen, der aus dem Vorjahr bekannt ist: Etliche Medien greifen erst einmal unhinterfragt die Darstellungen der Polizei auf. Im vergangenen Jahr berichteten sie zunächst über einen gewöhnlichen Verlauf der Silvesternacht, bis bekannt wurde, dass es zu massenhaften sexuellen Angriffen gekommen war. In diesem Jahr berichteten sie zunächst von einem erfolgreichen Polizeieinsatz. Nun wird deutlich, dass die Großkontrollen nach rassistischen Zuschreibungen erfolgten. Ob die Polizei so gehandelt hat, um Nordafrikaner künftig von der Teilnahme an Großveranstaltungen abzuschrecken, oder ob das Vorgehen dem großen Erfolgsdruck geschuldet waren, lässt sich bislang nicht beantworten.