Donald Trump will die Ära des Freihandelsregimes beenden

Im Stahlgetwitter

Mit der Präsidentschaft Donald Trumps könnte die Ära des Frei­handels­regimes enden. Wie eine von nationalkapitalistischer Machtpolitik geprägte Welt aussehen wird, weiß noch niemand, aber gemütlicher wird sie sicher nicht sein.

Die Bourgeoisie ist kein zuverlässiger Verbündeter im Kampf um Bürgerrechte und Demokratie. Das ist längst bekannt. Dass sie aber die Grundlage ihrer globalen Geschäftstätigkeit nicht etwas entschlossener verteidigt, überrascht dann doch ein wenig. Immer wieder hat Donald Trump seine Entschlossenheit bekundet, die seit einem Vierteljahrhundert bestehende Basis des globalisierten Kapitalismus, das Freihandelsregime, zu zerstören. Für alle, die nicht geglaubt haben, dass er das ernst meint, hat er bei seiner Rede zur Amtseinführung noch einmal gesagt, er wolle die USA schützen vor »den Verwüstungen durch andere Länder, die unsere Produkte herstellen, unsere Firmen stehlen und unsere Jobs zerstören«. Deutlicher noch: »Wir werden zwei einfachen Regeln folgen: Kauft amerikanisch und stellt amerikanisch ein.«
Konkrete Maßnahmen könnten auf härteren Widerstand stoßen, zweifellos wird die von Trump angekündigte Wirtschaftspolitik zum Streit mit diversen Kapitalfraktionen führen. Derzeit aber gibt es weder Kapitalflucht noch Drohungen mit einem Investitionsboykott oder auch nur scharfe Kritik. Brav lobte die US-Handelskammer Mitte Januar erst einmal Trumps Steuersenkungs- und Deregulierungspläne sowie die »klügere Energiepolitik«, bevor sie dezent mahnte, der Präsident möge doch bitte nicht vergessen, dass »wir auf einem Markt verkaufen, der zu 95 Prozent außerhalb der USA besteht«.
Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, Trump habe sich mit marxistischer Wirtschaftstheorie befasst und sei zu dem Schluss gekommen, dass nur eine Kapitalvernichtung in gigantischem Ausmaß die Voraussetzungen für einen neuen Aufschwung schaffen könne. Eher dürfte ihm das im Silicon Valley populäre Konzept der disruption, der Zerstörung traditioneller Geschäftsmodelle und Branchen, bekannt sein. Die IT-Industrie will dies allerdings durch Innovation bewirken, während Trump eine Art Neomerkantilismus anstrebt, der nicht Gold, sondern die Industrieproduktion als im Land zu hortenden Schatz betrachtet.
Dieses Wirtschaftsprogramm hat eine ideologisch geprägte, archaische und machistische Note. Starke weiße Männer sollen im Schweiße ihres Angesichts, wie die Bibel es fordert, Mauern bauen und Kohle fördern – eine Vorstellung, die in diversen rechten Milieus, wo man den dubiosen Finanzgeschäften der Wall Street ebenso misstraut wie dem Treiben der Nerds im Silicon Valley, gut ankommt. Trumps Anhängerinnen und Anhänger ziehen den patriarchalen Unternehmensführer dem anonymen shareholder vor und der neue Präsident verspricht als oberster Patriarch eine straffe Führung auch im Umgang mit missliebigen Konzernen.
Trump beansprucht also nicht weniger als den Primat der Politik über die Ökonomie. Der unter gemäßigten Rechten wie den meisten Linken vorherrschende Glaube, damit könne er nicht durchkommen, beruht auf der Erfahrung der vergangenen 30 Jahre, in denen es wirtschafts- und sozialpolitisch kaum einen Unterschied machte, ob Sozialdemokraten oder Konservative, Demokraten oder Republikaner regierten. Da keine einzige Regierung ernsthaft versucht hat, die Bourgeoisie an einem etwas strafferen Zügel zu führen, kann man aber nicht wissen, ob der moderne Kapitalismus tatsächlich immun gegen politische Eingriffe ist.
Rechte Regierungen lehnten solche Eingriffe bislang ab, linke Regierungen letztlich auch, und es fehlte der Druck von Klassenkämpfen und sozialen Massenbewegungen. Trump verfügt über eine Massenbasis, die allerdings unorganisiert ist. Er hat nach seiner Amseinführung deutlich gemacht, dass er als Präsident die Medien als traditionelle Instanz der kommunikativen Vermittlung zwischen Regierung und Bevölkerung zu ignorieren gedenkt.
Obwohl Vergleiche mit dem Führer unangemessen sind, zeigt Trumps Politikstil, dass er ein Führer sein will, der, zugleich volkstümlich und entrückt, nicht an die Regeln gebunden ist, eigenmächtig ohne Rücksicht auf nachweisbare Fakten definiert, was die Wahrheit ist, und sich direkt an die Bevölkerung wendet. Er verfügt aber auch über große Macht in den ihm angeblich verhassten Institutionen, da derzeit kaum ein Republikaner sich offen gegen ihn zu stellen wagt und das Establishment der Partei mit seiner Hilfe Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche, eine möglichst vollständige Privatisierung des Sozial- und Bildungswesens sowie eine weitreichende Deregulierung der Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsgesetze durchsetzen will.

Trump braucht vor allem ­spektakuläre Erfolge, die eine ­rücksichtslose Machtpolitik ihm vorläufig verschaffen kann.


Trump kann mit seinen Plänen scheitern; dass er es ernst meint, steht nunmehr aber außer Frage. Er hat Repräsentanten der Stahl-, Kohle und Ölindustrie auf wichtige Posten berufen. Handelsrepräsentant sollte ursprünglich Dan DiMicco werden, ehemals Geschäftsführer des Stahlkonzerns Nucor und Autor des Buchs »American Made: Why Making Things Will Return Us to Greatness«. Er glaubt, US-Produzenten würden »von Handelsbetrügern, vor allem China, gekreuzigt«. DiMicco muss sich nun mit dem Posten eines Beraters begnügen, Handelsrepräsentant wird Robert Lighthizer, der als Anwalt für die Stahlindustrie Schutzzölle durchzusetzen versuchte und als ehemaliger stellvertretender Handelsrepräsentant Ronald Reagans DiMicco diplomatische Erfahrung voraus hat. Mit dem Ökonomen Peter Navarro, Autor des Buchs »Death by China« und zukünftig Präsident des Nationalen Handelsrats, bilden sie die Troika einer protektionistischen Politik.
Den wirtschaftspolitischen Zielen entsprechen die außenpolitischen Feindbilder und Freundschaftsangebote. Unter den Wirtschaftsmächten belegen die USA mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa 18 Billionen Dollar weiterhin den ersten Platz, gefolgt von China mit mehr als elf Billionen Dollar – allerdings würde die EU als Bundesstaat mit 16 bis 17 Billionen Dollar den zweiten Platz einnehmen. Russland mit seinem BIP von etwa 1,3 Billionen Dollar spielt ökonomisch in einer anderen Liga und kann allenfalls wegen seines Atomarsenals als Weltmacht gelten.
Soll das Freihandelsregime durch nationalkapitalistische Machtpolitik ersetzt werden, sind die wichtigsten Gegner also China und potentiell eine einige EU. Ökonomisch ist Russland nur in der Energiepolitik von Bedeutung, als potentieller Verbündeter im Kampf gegen den Klimaschutz oder in der Preispolitik. Bei der Förderung der Spaltungstendenzen in der EU aber kann Putin ein hilfreicher politischer Partner sein. Rechtspopulisten, Rechsextremisten und Linksnationalisten mögen ihn, seine Trolle und Kredite können zwar nur ohnehin vorhandene Kräfte stärken, immerhin ist hier jedoch klar, welche Rolle er spielen kann. Anders im Fall Chinas, dem Russland ökonomisch und technologisch hoffnungslos unterlegen ist und auf das es auch politisch keinen Einfluss nehmen kann. Ohnehin kann Russland für die USA, aber auch für China, nur Juniorpartner sein – eine Rolle, die Putin nicht behagen dürfte.
Mit der Nominierung Rex Tillersons als Außenminister hat Trump deutlich gemacht, dass er den Multilateralismus durch eine Serie bilateraler Deals ersetzen will. Der ehemalige CEO von Exxon Mobil ist zudem ein Repräsentant der traditionellen Industrie. Nicht ersichtlich ist, was man Putin anbieten will und wie er zur Größe Amerikas beitragen soll. Kaum auflösbar ist zudem der Widerspruch zwischen einer Zusammenarbeit mit Russland im Nahen Osten und einer härteren Linie gegen dessen Verbündeten Iran. Dass die angekündigte Verlegung der US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem nun als erst einmal zu diskutierendes langfristiges Projekt bezeichnet wird, trägt auch nicht zur Klärung der außenpolitischen Ziele Trumps bei.
Unklar bleibt zudem, wie die Trumponomics in den USA funktionieren sollen. Allein die Erlaubnis, wieder gehörig die Umwelt zu verschmutzen, macht den Bau eines Kohlekraftwerks noch nicht rentabel. Die Abkehr vom Freihandel erhöht die Produktionskosten und damit Preise für Investitions- wie Konsumgüter. Allenfalls ein großangelegtes Konjunkturprogramm könnte den Wohlstandsverlust für einen Teil der Bevölkerung kompensieren, doch da Trumps Steuersenkungspläne die Staatseinnahmen um etwa 13 Prozent senken würden, er mehr für die Rüstung ausgeben will und die Republikaner eine höhere Staatsverschuldung vehement ablehnen, ist nicht ersichtlich, woher das Geld dafür kommen soll.
Etwas klarer ist das Bild in der Handelspolitik. Die USA werden sich aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zurückziehen, nicht anders dürfte es dem TTIP-Abkommen mit der EU ergehen. Vermutlich will Trump zügig eine privilegierte Partnerschaft mit Großbritannien aushandeln, die auch anderen EU-Staaten einen Anreiz für einen Austritt gibt, und darüber vielleicht schon vor den Wahlen in Frankreich mit Marine Le Pen sprechen. Wie sich die Parole »America First« mit solchen politisch motivierten Handelsabkommen vereinbaren lässt, ist noch nicht absehbar. 
Worauf Trump hinaus will, lässt hingegen sein Streit mit BMW erkennen. Der Konzern produziert bereits in den USA, auch für den Export in andere Länder, will aber eine weitere Fabrik in Mexiko errichten. Deshalb droht Trump dem Unternehmen mit Strafzöllen, BMW soll gezwungen werden, auch die neue Fabrik in den USA zu bauen und von dort aus unter anderem nach Mexiko zu exportieren, in ein Land, das Trump wohl für so erpressbar hält, dass es keine Strafzölle verhängen kann.
Er könnte recht behalten. Eine erfolgversprechende Wachstumspolitik ist das zwar nicht, die Folgen der höheren Produktionskosten ebenso wie die Reaktionen der Unternehmer und anderer Länder sind nicht kalkulierbar. Trump braucht aber vor allem spektakuläre Erfolge, die eine rücksichtslose Machtpolitik ihm vorläufig verschaffen kann. Überdies erwartet er wohl, dass seine Gefolgschaft Freude an der Demütigung schwächerer Länder und einer rabiaten Politik der nationalen Größe im Stil Wladimir Putins hat.
Auch damit könnte er recht behalten. Ressentiments, ideologischer Wahn und ein mehr oder minder offener Wunsch nach disruption, der Zerstörung als unerträglich empfundener Zustände um der Zerstörung selbst willen, haben Trump die Präsidentschaft verschafft. Es wäre naiv zu erwarten, dass seine Wählerinnen und Wähler auf einmal anfangen, rational zu denken, und sich von ihm abwenden, nur weil die Trumponomics ihnen nicht sofort ihre Brieftaschen füllen – zumal mit Chinesen, Mexikanern, »globalisierter Elite«, Demokraten, Protestierenden, Medien und vielen anderen eine ausreichende Zahl von Sündenböcken bereitsteht, wenn die Erfolge des »größten Jobproduzenten, den Gott jemals erschaffen hat« (Trump über Trump), zu wünschen übrig lassen.