Der Korruptionsskandal beim Baukonzern Odebrecht

Skandale in zwölf Ländern

Der brasilianische Baukonzern Odebrecht steckt tief in einem Korruptions­skandal. Dies hat Auswirkungen in vielen lateinamerika­nischen Ländern. An vielen Großprojekten, an denen der Baukonzern beteiligt war, gibt es bereits seit Jahren Kritik.

An Verschwörungstheorien mangelt es nicht, seit am Donnerstag vergangener Woche Teori Zavascki bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Der Richter am Obersten Gerichtshof Brasiliens befand sich auf dem Weg zu einem Kurzurlaub bei Paraty, südlich von Rio de Janeiro, als sein Kleinflugzeug abstürzte. In den sozialen ­Medien wird nun wild spekuliert, ob es sich um Sabotage handelte.
Ob Unfall oder nicht, an Feinden hat es Zavascki gewiss nicht gemangelt. Schließlich war er als Oberster Richter zuständig für den Fall »Lava Jato« (­Autowaschanlage). Damit ist der Korruptionsskandal rund um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras gemeint, bei dem Geld des Konzerns und großer Bauunternehmen an brasilianische Parteien für deren Wahlkampffinanzierung geleitet wurde. Immer wieder tauchen Listen von hochrangigen Politikern auf, die Schmiergelder im Austausch gegen Bauauf­träge angenommen haben sollen.
Der Vorsitzende von Transparency International, José Ugaz, forderte deshalb eine vollständige Klärung der Ursache des Absturzes: »In Anbetracht des sensiblen Falls, an dem der Richter Zavascki arbeitete, muss es eine volle Untersuchung geben, um zu bestätigen, dass es ein Unfall war.« Die große ­Frage ist nun, wer Zavasckis Nachfolger wird. Eigentlich müsste Präsident Michel Temer einen Nachfolger für das Oberste Gericht bestimmen, der dann den Fall weiterbearbeitet. Aber hier besteht ein Interessenskonflikt: Temer könnte einen ihm vertrauten Juristen bestimmen, um laufende Untersuchungen gegen ihn selbst und politische Verbündete zu behindern. Die Organisation brasilianischer Anwälte forderte die Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, Cármen Lucia, auf, einem bereits nominierten Richter den Fall zu übertragen oder ihn selbst zu übernehmen. Egal was passiert, Zavasckis Nachfolger wird sich erst durch Aktenberge arbeiten müssen, die Untersuchungen zu »Lava Jatos« werden sich um Monate verzögern.
Die wegen Korruption inhaftierten Manager des Baukonzerns Odebrecht dürfte das wenig freuen. Zavascki war kurz davor, die Kronzeugenregelungen mit 77 inhaftierten Mitarbeitern des Konzerns zu formalisieren, neue Anschuldigungen gegen Politiker waren zu erwarten. Die Konzernmanager, darunter Firmenpräsident Marcelo Odebrecht, kooperieren mit der Justiz, um ihre eigene Haftzeit verkürzen. Der Urenkel des deutschstämmigen Firmengründers Emil Odebrecht wurde im März vergangenen Jahres zu 19 Jahren und vier Monaten Haft wegen Bestechung und anderer Wirtschaftsdelikte verurteilt.

Über zwei Jahrzehnte unterhielt der Konzern das Korruptionsnetzwerk in mindestens zwölf Ländern, um an öffentliche Aufträge zu kommen.

Doch für den weltweit tätigen Baukonzern sind die Untersuchungen in Brasilien nur ein Teil des Problems. Odebrecht wurde auch von der Schweiz und den USA vor einem US-Bundesgericht in New York angeklagt. Am 21. Dezember vergangenen Jahres gab Odebrecht zu, über ein kompliziertes Netzwerk von Briefkastenfirmen insgesamt 788 Millionen US-Dollar Bestechungsgeld gezahlt zu haben. Über zwei Jahrzehnte unterhielt der Konzern das Korruptionsnetzwerk in mindestens zwölf Ländern, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Odebrecht plädierte auf schuldig und vereinbarte eine Strafzahlung von 3,5 Milliarden US-Dollar, die höchste Strafzahlung wegen Korruption, die es je gab. Den unrühmlichen Rekord hielt zuvor das deutsche Unternehmen Siemens, das 2008 mit der US-Justiz eine Zahlung von 800 Millionen US-Dollar vereinbarte.
Insbesondere in lateinamerikanischen Ländern haben die Enthüllungen vor dem New Yorker Gericht Folgen. Am Donnerstag vergangener Woche wurden die Büroräume von Odebrecht in der Dominikanischen Republik von der Polizei durchsucht und die Regierung kündigte bestehende Verträge mit dem Bauunternehmen. In Kolumbien wurde Anfang Januar Gabriel García Morales festgenommen. Er war der Vizeminister für Transportwesen während der Regierungszeit von Präsident Álvaro Uribe Vélez (2002–2010). Morales soll Odebrecht den Auftrag für den Bau einer großen Überlandstraße zugespielt haben. Auch ein Senator der Partei Uribes ist angeklagt. Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat angekündigt, den Korruptionsfall vollständig aufzuklären. Das ist verständlich, sind doch alle angeklagten Politiker mit seinem Amtsvorgänger und Rivalen Uribe verbündet.
Am 16. Januar wurde Odebrecht von der Kolumbianischen Infrastrukturkonferenz ausgeschlossen, das Unternehmen kann sich nun nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen. Mit dem gleichen Ziel hat Panama Odebrecht aus der Handelskammer ausgeschlossen. Auch der peruanische Präsident Pedro Pablo Kuczynski erklärte, »es wird keine Verträge mit Odebrecht in Peru mehr geben«. Das Unternehmen soll 29 Millionen US-Dollar an peruanische Staatsfunktionäre gezahlt haben. Eine parlamentarische Kommission soll Unregelmäßigkeiten während der Regierungszeit der Präsidenten Alejandro Toledo (2001–2006), Alan García (2006–2011) und Ollanta Humala (2011–2016) untersuchen. Allerdings sind viele Abgeordnete vermutlich selbst tief in die Korruption verwickelt, weshalb Umwelt- und Menschenrechtsorganisa­tionen an der Ernsthaftigkeit der peruanischen Aufklärungsbemühungen zweifeln.
Für Odebrecht brechen also harte Zeiten an. Die Unternehmensführung denkt über eine Namensänderung nach. Francisco Viana, Kolumnist für die brasili­anische Wirtschaftszeitschrift Infomoney, sieht im Prestigeverlust ein »Todesurteil für die Marke«. Dies sah die Ratingagentur Fitch ähnlich und stufte vergangene Woche die Bonität von Odebrecht auf CC herab – »sehr risikoreich«.
Bislang trifft die Empörung vor allem die korrupten Politiker und Unternehmer. In einem Artikel lenkte Mirtha Vázquez von der peruanischen Sozial- und Umweltorganisation Grufides den Blick auf die Infrastukturprojekte, die durch die Korruption erst möglich gemacht wurden. Diese hätten enorme negative Konsequenzen: »Die sozialen und ökologischen Kosten solcher Projekte spielten in der Vergangenheit keine Rolle, es war egal, wie viele Leute vertrieben wurden und ohne Zugang zu Land und Wasser blieben und ob die Flüsse zerstört werden: All dies wurde durch die Korruption möglich gemacht.« Auch der uruguayische Soziologe und Ökologe Eduardo Gudynas machte in einer Studie auf die »intime Verbindung von Extraktivismus und Korruption« aufmerksam.
Ein Beispiel dafür ist der drittgrößte Staudamm der Welt, Belo Monte in Brasilien, der kurz vor der Fertigstellung steht. Gegen das Projekt seien 25 Klagen anhängig, etliche Auflagen des Umweltministeriums seien missachtet, zahlreiche Gesetze zum Schutz der Umwelt und indigener Gemeinden gebrochen worden, so Christian Russau im Gespräch mit der Jungle World. Als Vorsitzender des Dachverbands kritische Aktionäre verfolgt er den Fall seit Jahren. Die brasilianischen Regierungen – auch die der Arbeiterpartei unter Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff – haben alle Vergehen mit dem Verweis auf das »nationale Interesse« beiseite gewischt und per Dekret die Baugenehmigung durchgesetzt. »Es fällt ins Auge, dass nun dieselben Politiker, die Belo Monte möglich gemacht haben, auch auf den Listen von Lava Jato auftauchen«, so Russau. Von Belo Monte profitiert nicht zuletzt Siemens: Einige der Turbinen für den Staudamm werden von dem deutschen Joint Venture Voith Hydro geliefert, an dem der Konzern 35 Prozent der An­teile hält.