Kämpfe und Bündnisverhandlungen zwischen syrischen Islamistengruppen

Bürgerkrieg im Bürgerkrieg

In Nordwestsyrien bekämpfen sich die Jihadisten aus der syrischen Opposition neuerdings gegenseitig. Der Konflikt trägt dazu bei, die unübersichtliche Situation zu entzerren. Zahlreiche Gruppen haben sich mit der ehemaligen al-Nusra-Front zusammengeschlossen.

Der syrische Bürgerkrieg ist an Verworrenheit kaum zu überbieten. Auf der unüberschaubaren Liste bewaffneter Gruppen, die an ihm beteiligt sind, nehmen Islamisten besonders viel Raum ein. Zahlreiche Koalitionen kämpfen an diversen Fronten, wobei manche Gruppen punktuell mit Kräften zusammenarbeiten, die an anderer Stelle ihre Gegner unterstützen. Besonders bunt geht es im Lager der sogenannten Opposition zu. Unter dem Dach der Freien Syrischen Armee (FSA) sind mittlerweile viele Islamisten vereint, da­neben gibt es aber auch diverse jihadistische Gruppen und Splittergruppen, die sich in immer neuen Allianzen wiederfinden. Seit einer Woche bekämpfen sich Jihadistengruppengrupen in ­ihrem Haupteinflussgebiet um Idlib, einer Stadt im Nordwesten Syriens, ­gegenseitig. Von einem Bürgerkrieg im Bürgerkrieg ist die Rede.
Das kommt nicht völlig überraschend. Schon lange herrschen Konkurrenz­verhalten, Spaltungen und häufige Seitenwechsel vor. Keine Gruppe will ­gerne Einfluss abgeben und sich dem Kommando einer anderen unterstellen. Obwohl die meisten dieser Gruppen bisher im Bündnis Jaish al-Fatah zusammengeschlossen waren, konnte von Kooperation kaum die Rede sein. Weil ­keine gemeinsamen Entscheidungsstrukturen existierten, bestand das Bündnis nur auf dem Papier und umfasste vielschichtige Allianzen, die sich misstrauisch gegenüberstanden. Zugleich wechselten Gruppen oder Teile von ihnen regelmäßig die Seiten.
Zuletzt gab es Bemühungen, diesen Flickenteppich zu bereinigen. Zahl­reiche Beobachter schrieben dabei der ehemaligen al-Nusra-Front eine zent­rale Rolle zu. Zuvor hatte die Türkei die konkurrierende Ahrar al-Sham (AS) ­gezielt gefördert, um die damalige al-Nusra-Front zu einem Entgegenkommen zu nötigen. Tatsächlich erklärte diese im Juli 2016 ihre Beziehungen zu al-Qaida – die als größtes Hindernis galten – für beendet, benannte sich um in Jabhat Fatah al-Sham (JFS) und gab sich moderater. Seit dem Spät­sommer galt daher eine Fusion der verschiedenen Jihadistengruppen als ­relativ wahrscheinlich.
Beflügelt wurden entsprechende Pläne auch dadurch, dass das sonst so fragile Bündnis zeitweilig den Belagerungsring um Aleppo sprengen konnte. Die folgende endgültige Niederlage in der Stadt führte jedoch zu Spannungen. Insbesondere der AS wurde vorgeworfen, im Zuge ihrer Beteiligung an der türkischen Operation in Nordsyrien wichtige Ressourcen abgezogen zu haben, die im Kampf gegen das Regime des syrischen Präsidenten Bashar ­al-Assad benötigt worden wären. Diese Beteiligung ist im jihadistischen Lager umstritten, weil die Türkei keinen Gottesstaat anstrebe und die verhassten USA in die Opera­tion involviert seien – wenn auch geringfügig. Seit auch noch die russische Luftwaffe, die mit Assad gegen die Opposition kämpft, bei al-Bab, das der »Islamische Staat« (IS) kontrolliert, für die türkischen Truppen bombt, ist der Einsatz der AS völlig in Verruf geraten.
Zudem befürchteten einige Jihadisten, man könne sich durch eine Fusion mit der JFS angreifbar machen. Zum einen weil ­diese – als Nachfolger der al-Nusra-Front – bei einigen Staaten als Terror­organisation gelistet ist, zum anderen weil Zweifel daran bestehen, ob sie ihre Verbindungen zu al-Qaida vollständig gekappt hat. Es stand also das mühsam aufgebaute Image einer moderaten Opposition auf dem Spiel und damit die Anerkennung als Verhandlungspartner bei internationalen Gesprächen. Führern der JFS zufolge soll sich etwa der Shura-Rat der AS – gegen die Stimmen mancher ihrer militärischen Führer – aus diesen Gründen gegen eine Fusion ausgesprochen und damit den Konflikt provoziert haben.
So kam es in verschiedenen Orten zu Gefechten um deren Kontrolle. Zunächst sah es so aus, als könnte vor ­allem die AS davon profitieren, da sich fast 20 andere Gruppen gegen die JFS stellten und sich der AS anschlossen. Allerdings brachen auch Konflikte ­innerhalb der AS aus. Einige ihrer Untergruppen und Führungspersonen wechselten – auch aufgrund anhaltender Differenzen wegen der Beteiligung an der türkischen Operation – auf die Seite der JFS. Diese verkündete am Wochenende, dass sie ebenfalls mit fast 20 anderen Gruppen zu einer neuen Organisation zusammengehen werde, die sich Tahrir al-Sham (TS) nenne. Somit hat sich das Feld auf zwei etwa gleich große Organisationen reduziert. Vorerst.
Wie es weitergeht, ist schwierig einzuschätzen. Die Kämpfe könnten sich fortsetzen oder in eine friedliche Koexistenz übergehen. Derzeit sind die Kämpfe abgeklungen. Insbesondere die AS scheinen unter inneren Spannungen zu leiden und relativ instabil zu sein. Gut möglich, dass weitere Teile zur TS überlaufen. Jedenfalls bringt die neue Situation etwas mehr Klarheit, weil sich in der TS im Wesentlichen jene Kräfte sammeln, die die türkische Intervention nicht unterstützen. Durch das Zusammengehen mit der ehemaligen al-Nusra-Front nehmen sie das Risiko in Kauf, als terroristische Organisation eingestuft zu werden und keine internatio­nale Anerkennung zu erhalten.
Die TS weist durchaus eine hohe ideologische Konvergenz mit dem IS auf. Eine Distanzierung von der türkisch geförderten AS würde eine Annäherung an den IS zumindest plausibel machen. Zwar gilt eine solche nach wie vor als unwahrscheinlich, doch auszuschließen ist das nicht. Mit der Rückeroberung Palmyras, der Offensive in Deir al-Zur und dem Widerstand in Nordsyrien hat der IS immerhin deutlich gemacht, dass nach wie vor mit ihm zu rechnen ist. Und er ist für Jihadisten glaubwürdig, weil er keine ­widersprüchliche Bündnispolitik verfolgt, bei der indirekt mit Feinden ­kooperiert wird. Eben dies war ja ein Knackpunkt beim Scheitern des ­Fusionsprozesses.