Gespräch mit Bianca Klose über die Entwicklungen in der rechtsextremen Szene

»Befeuert durch enthemmte Hetze«

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) besteht seit 2001 und gehört zu den wichtigsten Akteuren im den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und für eine demokratische Alltagskultur in der Stadt. Die »Jungle World« sprach mit Projektleiterin Bianca Klose über aktuelle Entwicklungen in der rechtsextremen Szene.
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Die extreme Rechte scheint sich im Umbruch zu befinden. Die NPD ist aus den Landtagen verschwunden, etliche Kameradschaften wurden verboten oder haben sich aufgelöst und mit den Parteien »Die Rechte« und »Der III. Weg« ist neue Konkurrenz entstanden. Wie wirkt sich all das auf die militante Neonaziszene aus?

Seit Holger Apfel, der damalige Bundesvorsitzende der NPD, vor einigen Jahren die »seriöse Radikalität«, also ein Bemühen um Mäßigung nach außen, als Losung ausgegeben hat, hat die Partei für die militante rechtsextreme Szene nachhaltig an Attraktivität verloren. Um diese Klientel buhlen jetzt »Die Rechte« und »Der III. Weg«. Beide Parteien bieten sich bundesweit für verbotene oder aufgelöste Kameradschaften als Plattform an, um ihre Aktivitäten relativ verbotssicher unter dem Schutz des Parteienprivilegs fortzusetzen.
Ein Beispiel aus Berlin ist die Kameradschaft »Frontbann 24«. Nach dem Verbot der Gruppe im Jahr 2009 entstand aus dem Kreis ihrer Mitglieder ein Berliner Landesverband von »Die Rechte«, der seine Aktivitäten jedoch rasch wieder einstellte.
Der im März 2015 offiziell gegründete »Stützpunkt Berlin« der Partei »Der III. Weg« spielt bisher eine eher untergeordnete Rolle. Hier organisieren sich neben Personen, die zuvor im Rahmen der rassistischen Mobilisierung gegen Geflüchtetenunterkünfte in Erscheinung getreten waren, auch Aktive aus dem Umfeld der NPD. Deren neuer Landesvorsitzender Uwe Meenen zum Beispiel pflegt freundschaftliche Kontakte zu Mitgliedern der Partei. Michael Regener, der ehemalige Sänger der rechtsextremen Band Landser, veröffentlichte vor kurzem sogar ein eigenes Lied für sie, obwohl er bislang stets als Unterstützer und als Mitglied der NPD aufgetreten ist.

Haben vielleicht auch die Wahlerfolge der AfD und die Pegida-Demons­trationen einen katalysierenden Einfluss auf die militante Neonaziszene?

Sich als Vollstrecker eines imaginierten Volkswillens zu präsentieren, war und ist zentral für das Selbstverständnis militanter Rechtsextremer. Sie gerieren sich als Vertreter einer vermeintlichen schweigenden Mehrheit und ziehen daraus die Legitimation für ihr gewalttätiges Handeln. Wir erleben derzeit ein politisches Klima, in dem rassistische, antisemitische, autoritäre und antidemokratische Positionen eine große öffentliche Präsenz erhalten. Prominente Vertreter der AfD spielen auf dieser Klaviatur mit und inszenieren zudem in regelmäßigen Abständen symbolische Tabubrüche, ohne dafür effektiv sanktioniert zu werden. Sie erfahren vielmehr gerade auch deshalb Zuspruch von einem Teil der Wählerinnen und Wähler.
Wenn aggressive Parolen gegen Minderheiten in den sozialen Netzwerken und auf der Straße verbreitet werden, erhöht das natürlich auch das Selbstbewusstsein gewaltbereiter Rechtsextremer und ihre Bereitschaft, gegen als Feinde markierte Gruppen vorzugehen. Mittel- bis langfristig ist zu erwarten, dass im Kielwasser des Aufstiegs der AfD auch militant rechtsextreme und neonazistische Gruppierungen einen Aufschwung erleben. Welch gefährliche Auswirkungen das Zusammentreffen von langjähriger konservativer Hegemonie, rechter und rassistischer Mobilisierung sowie militanten Neonazistrukturen für Linke, nicht-weiße Menschen und andere haben kann, zeigt der Blick nach Sachsen.

Im Münchner NSU-Prozess wurden kürzlich Verbindungen der Terrorzelle zur organisierten Kriminalität thematisiert. Liegt ein Grund für die offenbar vorhandene Anschlussfähigkeit von Neonazistrukturen an solche der organisierten Kriminalität vielleicht darin, dass es sich bei beiden meist um archaisch geprägte Männerbünde handelt?

Hypermaskulinistische Männlichkeitsentwürfe sind ganz klar ein fester Bestandteil rechtsextremer Ideologie. Stärke zu zeigen gegenüber denjenigen, die als Feinde ausgemacht wurden, hat eine große Bedeutung für Rechtsextreme. Da mag es sicherlich lebensweltliche Berührungspunkte mit Teilen der organisierten Kriminalität geben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass Protagonisten beider Milieus wirtschaftliche Synergieeffekte einer Zusammenarbeit für sich entdeckt haben, etwa wenn es um die Organisation von Konzerten oder den Vertrieb von Merchandise-Artikeln geht.

Welche Rolle spielen Frauen in der Szene? In der öffentlichen Wahrnehmung militanter Neonazis kommen sie ja – Beate Zschäpe zum Trotz – noch immer kaum vor.

Obwohl sie gleichermaßen politisch aktiv sind, werden Frauen in der Öffentlichkeit weiterhin unterschätzt und nicht als aktive rechtsextreme Täterinnen wahrgenommen. Das wird zum Teil auch gezielt genutzt, um sich einen Anschein der »Normalität« zu geben. Frauen übernehmen teilweise wichtige Funktionen in militanten Gruppierungen. Dazu zählen häufig strukturelle Aufgaben, beispielsweise die Organisation von Aufmärschen, aber auch die Aufnahme von persönlichen Kontakten und das Netzwerken. Dabei werden sie häufig als freundlich und umgänglich wahrgenommen. Dass sie auch töten oder gewalttätig und aggressiv auftreten, wird weniger durchschaut.

Kann man grob abschätzen, wie viele Gewalttaten aus dem militanten Neonazimilieu heraus verübt werden und wie viele von Menschen, die nicht Teil dieser Szene sind?

Die MBR erhebt dazu keine eigenen Zahlen, aber dem BKA zufolge soll es sich in etwa zwei Dritteln der Fälle, in denen Tatverdächtige ermittelt werden konnten, bei diesen um Personen handeln, die den Behörden vorher nicht als Rechtsextreme oder überhaupt als Straftäter bekannt waren. Das deckt sich mit unseren Beobachtungen. Ich erinnere mich an einen Fall aus dem vorletzten Sommer in Berlin-Marzahn. Am Vorabend des Jahrestages des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen wurden aus einer Gruppe heraus brennende Fackeln auf das Gelände einer Unterkunft geworfen. Das waren keine langjährigen rechtsextremen Kader, sondern Personen, die vorher in einschlägigen Kontexten wie bei Bärgida oder anderen rassistischen Aufmärschen aktiv waren und die sich offenbar durch die enthemmte Hetze befeuert fühlten.

Lässt sich der Anstieg der Fallzahlen bei rechter und rassistischer Gewalt zumindest zum Teil auch durch ein besseres Monitoring – zum Beispiel durch Einrichtungen wie die MBR – zurückführen?

Das verstärkte Monitoring durch zivilgesellschaftliche Organisationen und das Publizieren eigener Fallzahlen tragen natürlich zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei. Der dramatische Anstieg der Zahlen ist aber ganz sicher kein statistischer Effekt, sondern Ergebnis einer realen Enthemmung von Menschen in einer rassistisch geführten Debatte über den Zuzug und die Integration von Geflüchteten. Das zivilgesellschaftliche Monitoring gab es größtenteils schon vor der derzeitigen rassistischen Mobilisierung. Der Anstieg der Fallzahlen bildet also tatsächlich eine gesellschaftliche Tendenz ab.
Manch einer vergleicht die derzeitige Situation in Deutschland mit den frühen neunziger Jahren. Halten Sie diesen Vergleich für passend?
Parallelen zur Situation zu Beginn der neunziger Jahre fallen natürlich ins Auge. Längst nicht nur klassische Rechtsextreme versammeln sich drohend vor Unterkünften von Geflüchteten. Es häufen sich Angriffe bis hin zu Brandanschlägen auf Schutzsuchende. Es gleicht einem Wunder, dass es noch keine weiteren Toten gab. Gleichzeitig reagiert

Politik mit weiteren Verschärfungen des Asylrechts und tut damit teilweise das, was der Mob auf der Straße lautstark fordert.
Gibt es auch Unterschiede?

Ein wichtiger Unterschied zu 1992 ist, dass ein Teil der Medien deutlich verantwortungsbewusster mit der eigenen Rolle umgeht und sich größtenteils um eine differenzierte Berichterstattung bemüht. Das Gleiche gilt für die vielen Engagierten aus allen gesellschaftlichen Schichten, die sich aktiv einbringen und deutlich positionieren. Ein anderer gravierender Unterschied ist, dass es Anfang der neunziger Jahre nicht zur parlamentarischen Etablierung einer Rechtsaußen-Partei kam. Die Konsequenzen des rasanten Aufstiegs der rechtspopulistischen, teilweise sogar rechtsextremen AfD sind bislang noch gar nicht abzusehen.