In Budapest versammelten sich Neonazis aus halb Europa

Das Wandern ist des Nazis Lust

Mehr als 1 000 Neonazis aus ganz Europa gedachten am Wochenende in Budapest der Soldaten der Wehrmacht und der ungarischen Armee. Die Organisatoren hatten an alles gedacht: Neben einer Gedenk­kundgebung und einem Konzert sorgten sie auch für körperliche Betätigung.

Mit schnellen Schritten ziehen am Bahnhof Könyves Kálmán immer wieder Gruppen von Menschen auf dem Gehweg vorbei. Mal sind es 50 Menschen, dann 20 oder auch nur Zweiergruppen. An einer Ampel müssen sie stehen bleiben, weshalb es leicht ist, die Gruppen zu zählen. Sie alle tragen große Rucksäcke, manche Wanderstöcke oder Stirnlampen. Es sind vorwiegend Männer, aber auch Frauen und Kinder. Der Marsch beginnt in der Innenstadt von Budapest, das Ziel ist ein 60 Kilometer entferntes Dorf. Für die Strecke haben die Teilnehmer 17 Stunden Zeit, erfahrungsgemäß schaffen es nur knapp 80 Prozent bis ans Ziel. Die Route ist klar vorgegeben und wird mit GPS verfolgt, regelmäßig warten Kontrollposten auf die Teilnehmer.
Erst am Ziel wird offensichtlich, um welche Sorte Veranstaltung es sich handelt. Zu sehen sind Hakenkreuzfahnen, militärhistorische Fahrzeuge und Personen in Uniformen der Wehrmacht, der ungarischen Armee und der Waffen-SS. All das soll den sogenannten Marsch der Ehre »historisch ­illustrieren«, wie es die Organisatoren auf ihrer deutschsprachigen Homepage beschreiben. So kann es passieren, dass man Personen in der Innenstadt antrifft, die sich vermummt haben und eine SS-Uniform tragen.
Die Teilnehmer tragen neben Flecktarnuniformen auch den klassischen Skinheadlook und Kleidung, die in jedem beliebigen Modegeschäft gekauft sein könnte. Auf den ersten Blick ist eine gezielte politische Botschaft nicht erkennbar, doch diejenigen, die hier laufen, tun das nicht aus Spaß oder sportlichem Ehrgeiz. Anlass des Marsches ist das jährliche Gedenken zum »Tag der Ehre«, an dem der ungarischen und deutschen Soldaten gedacht wird, die im Winter 1944/1945 versuchten, den Kessel der Roten Armee zu durchbrechen und aus Budapest zu flüchten. Die Ausbruchsversuche scheiterten, sie kosteten mehr als 100 000 Soldaten und 40 000 Zivilisten das Leben. Während den »Kame­raden« von einst die Freiheit winkte, wenn sie den Marsch überlebten, bekommen die erfolgreichen Teilnehmer heutzutage eine Urkunde.
Zusätzlich zu dem Marsch fand in diesem Jahr erstmals nach längerer Unterbrechung eine öffentliche Nazikundgebung statt. Hauptorganisatoren der Veranstaltung waren vor allem die »Hammerskins Ungarn«, der rechtsextreme Verband »Jugendbewegung der 64 Grafschaften« (Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom, HVIM) und die Skinheadgruppe »Skins4Skins Ungarn«. Als Rahmenprogramm des Marsches veranstalteten sie gemeinsam mit »Blood &    Honour Ungarn« zwei Konzerte in einer ehemaligen Kneipe. Dort spielte am Freitag zum »Willkommenskonzert« unter anderem der deutsche Liedermacher »Rommel«. In den Jahren 2014 und 2015 war der Thüringer Liedermacher »Bienenmann« alias Tobias Winter aus Kahla aufgetreten.

Hakenkreuzfahnen, militärische Fahrzeuge und Personen in Uniformen sollen den sogenannten Marsch der Ehre »historisch 
illustrieren«, wie es die Organisatoren schreiben.

Eine Kooperation zwischen der »Hammerskins Nation« und dem Netzwerk »Blood & Honour« ist nicht die Regel. Beide konkurrieren besonders im millionenschweren Musikgeschäft. Das in Deutschland verbotene Netzwerk »Blood & Honour« wurde Mitte der achtziger Jahre in England gegründet, um der nationalsozialistischen Politik eine subkulturelle Organisation zu verschaffen. Ian Stewart, Sänger der Band Skrewdriver, gründete die Vereinigung und veranstaltete Festivals unter dem Titel »Rock against Communism«. Die »Hammerskins« dagegen kommen aus den USA. Sie wurden ebenfalls in den Achtzigern gegründet und sehen sich als elitäre weiße Bruderschaft. Ihre Struktur ähnelt der von Rockergruppen wie den Hells Angels oder Bandidos. So gibt es den Wahlspruch »Forever Hammerskins – Hammerskins Forever«, Mitglieder werden nach einer Aufnahmeprüfung und einer Zeit als Anwärter bestätigt, sie tragen das Logo der gekreuzten Hämmer als Tätowierungen. Die gesamte Organisation ist in »Chapter« aufgeteilt. Besonders in den USA fielen die Hammerskins mit Gewaltverbrechen gegen die nichtweiße Bevölkerung auf. Im Gegensatz zu »Blood & Honour« verfügen sie allerdings nicht über einen paramilitärischen Flügel. Beide Gruppen spielen mit Zahlencodes. Der terroristische Arm von »Blood & Honour« nennt sich »Combat 18«, 18 für die Buchstaben AH, diese wiederum für Adolf Hitler. Das interne Hilfsnetzwerk der »Hammerskins« nennt sich »Crew 38«, 38 für die Buchstaben CH, die für »Crossed Hammer« stehen.
In Deutschland konnten die Hammerskins sich vor allem nach dem Verbot von »Blood & Honour« im Jahr 2000 ausbreiten. Hauptsächlich wurden sie in der Musikbranche tätig – anders als »Blood & Honour«. Mitglieder der sächsischen Sektion unterstützten direkt das NSU-Trio. Nach dem Verbot arbeiteten die ehemaligen Mitglieder von »Blood & Honour« unter neuen Namen weiter und bildeten weiterhin bewaffnete Zellen. Diese deutschen Neonazis verfügen über sehr gute Verbindungen vor allem nach Ungarn, Schweden und Italien. Das belegen verschiedene Konzerte im Ausland und Bands, die wiederum in Deutschland spielten.
In Budapest fanden die Hauptveranstaltungen am Samstag statt, dem eigentlichen »Tag der Ehre«. In der ­Vergangenheit waren Neonaziveranstaltungen verboten worden, unter ­anderem die der rechtsextremen Partei Jobbik, während die Regierungs­partei Fidesz von Viktor Orbán stets Kundgebungen abhalten konnte. Am Tag vor dem diesjährigen »Tag der Ehre« veröffentlichten die Hammerskins ihren Treffpunkt, eine kleine ­Kirche mit Gedenkstein für die gefallenen ungarischen Soldaten im ersten Budapester Bezirk. Am Gedenkstein, der an die »Helden« erinnert, stehen zwei in Bronze gegossene Soldaten, die sich die Hand reichen. Einer trägt den Stahlhelm und den Mantel der Wehrmacht, der andere den typischen un­garischen Militärhut sowie einen Oberlippenbart – so viel Klischee muss sein. Sie symbolisieren die Verbindung der beiden faschistischen Achsenmächte.
Etwa 50 Meter vom Gedenkort entfernt hat sich eine Delegation der deutschen Nazipartei »Der III Weg« in einem Hotel eingenistet. Am Eingang des Hotels sammeln sich die Mitglieder, ehe sie im Block mit Kränzen und Parteifahnen durch die Straße in Richtung der Kirche ziehen. Unter den etwa 15 Deutschen befinden sich der Parteivorsitzende Klaus Armstroff, der »Gebietsleiter Mitte«, Matthias Fischer, sein Stellvertreter Tony Gentsch sowie der »Gebietsleiter West« Julian Bender. Der Brandenburger Fischer hält wenig später vor einigen hundert Neonazis eine Rede im Park hinter der Kirche, der »III. Weg« legt zwei Kränze nieder. Ebenfalls anwesend sind Neonazis aus Tschechien, Österreich und eine Gruppe von »Blood & Honour Griechenland«. In den vergangenen Jahren waren bereits Mitglieder des »III. Weg«, aber auch der NPD zum sogenannten Heldengedenken nach Budapest angereist. Der Nauener NPD-Funktionär Maik Schneider, der vergangene Woche wegen Brandstiftung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, nahm in den Jahren 2014 und 2015 am »Marsch der Ehre« teil. Der Gedenkort war in der Vergangenheit bereits mehrfach Ziel dieser Veranstaltung, sowohl durch die Gruppe »Skins4Skins«, wie auch durch die HVIM. Ungestört können die Neonazis in diesem Jahr erneut der Soldaten der Achsenmächte in der Budapester Innenstadt gedenken.

Am Gedenkstein stehen zwei in Bronze gegossene Soldaten. Einer trägt den Stahlhelm der Wehrmacht, der andere den ungarischen Militärhut und Oberlippenbart – so viel Klischee muss sein.

Anschließend bereiten die Neonazis den »Marsch der Ehre« vor. In drei Gruppen simulieren sie den »Ausbruch« der ungarischen Armee und der Wehrmacht aus dem sowjetischen Kessel. Die Gruppen müssen 25, 35 oder 60 Kilometer bewältigen. Der Lauf beginnt am späten Nachmittag. Mehr als 1 000 Neonazis nehmen teil, in den vergangenen Jahren waren es jeweils sogar knapp 2 000. Die Polizei hält sich zurück und ist kaum präsent. Auch der Protest von Gegnern bleibt die meiste Zeit unsichtbar.
Nur an der Burg Buda haben sich knapp ein Dutzend Gegendemonstranten eingefunden, vorwiegend Mitglieder der »Europäischen Linken« und eines zivilgesellschaftlichen Zirkels. An ihnen laufen vor allem die Neonazis vorbei, die die Kontrollpunkte an der Marschstrecke besetzen. Auf der Burg findet währenddessen eine Veranstaltung der Regierungspartei Fidesz statt, die in den vergangenen Jahren in ­Kooperation mit dem Militärmuseum organisiert wurde.
Die rechtsextreme Partei Jobbik verzichtete offenbar auf ihre Veranstaltung am zentralen Heldenplatz. Dort war sie in der Vergangenheit mit paramilitärischen Uniformen und Forma­tionen aufmarschiert.
Auch am Tag nach den Gedenkveranstaltungen sind im Stadtgebiet vor allem junge Männer mit ihren Ruck­säcken zu sehen. Am Gedenkstein stehen die beiden Figuren der faschistischen Soldatenbrüder wieder allein. Nur die Kränze zu ihren Füßen erinnern an die neonazistische Veranstaltung. Jogger laufen vorbei, eine ältere Frau mit Hund begutachtet die Kränze und murmelt etwas auf Ungarisch vor sich hin. Der Spuk ist vorbei, das ist eine schöne Sache. Doch erneut konnten die Neonazis ihren Marsch in europäischer Verbundenheit abhalten, ohne Störungen oder Repression.